© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


Bündnis für Arbeit: Der Mittelstand wird von der Bundesregierung vernachlässigt
"Wir sind der Kuli der Nation"
Karl-Peter Gerigk

Herr Vogel, seit Jahren gibt es den "Runden Tisch" zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Was dabei herauskam, war bisher nicht so viel. Auch der nun vereinbarte Elf-Punkte-Plan bleibt in vielen Bereichen nebulös. Ist das Bündnis für Arbeit nicht ein bloßer Mediengag?

Vogel: So weit würde ich nicht gehen. Ich unterstelle dem Bundeskanzler schon die ernsthafte Absicht, Erfolg zu suchen bei diesen Gesprächen, vor allem hinsichtlich der Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit. Denn dies ist sein primäres Ziel, von dem er schon seit dem Amtsantritt gesagt hat, daß er sich am Ende der Legislaturperiode an der Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik messen lassen würde. Arbeitgeber und Gewerkschaften können sich diesen Gesprächen nicht entziehen, wollen sie sich nicht den Vorwurf machen lassen, an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht mitgewirkt zu haben.

Was ist aus Ihrer Sicht das Positivste an den Vereinbarungen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, und was bringt dies für den Mittelstand?

Vogel: Ich habe nur von unverbindlichen Absichtserklärungen gehört. Die Arbeitgeber haben sich bereit erklärt, über Überstundenabbau zu diskutieren, über Altersteilzeit und über das Thema Ausbildungsplätze, aber von konkreten Vereinbarungen kann man weiß Gott nicht reden. Und was den Mittelstand anbelangt, so wäre genau er derjenige, der in den Fragen Ausbildungsplätze und Arbeitsbeschaffung mit an den "Runden Tisch" gehören würde. Denn es ist der Mittelstand, der rund 96 Prozent aller etwa 3,6 Millionen deutschen Unternehmen repräsentiert, der über 60 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigt, der über 80 Prozent aller Ausbildungsplätze stellt, der in den Jahren 1996 bis 1998 über 45.000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat, während die Großindustrie 420.000 Arbeitsplätze vernichtet hat. Dieser Mittelstand wurde von Bundeskanzler Schröder nicht eingeladen, weil er keine einheitliche Lobby hat. Daher hat sich der Deutsche Mittelstands-Bund zum Ziel gesetzt, zu einer einheitlichen Willensbildung und Interessenvertretung einen wesentlichen Beitrag zu leisten.

Es wurden viele Versprechungen bezüglich der Ausbildungs- und Arbeitsplätze gemacht. Ist dies jetzt der von der Regierung propagierte aktive Sozialstaat oder das Eigeninteresse der Industrie, weil diese Fachkräfte doch auch braucht?

Vogel: Das ist ja das fatale an der Situation, daß trotz hoher Arbeitslosigkeit Fachkräfte an allen Ecken und Enden fehlen. Nehmen Sie die Metall- und Elektroindustrie als Beispiel: Hier fehlen 170.000 Fachkräfte. Und durch Überstudenabbau schafft man nicht einen einzigen Arbeitsplatz. das Argument der gewerkschaften lautet: Der Abbau von 1,8 Milliarden Überstunden schafft x Arbeitsplätze. 1,8 Milliarden hört sich großartig an, doch im Endeffekt bedeutet dies eine einzige Überstunde pro Arbeitnehmer und Woche. Die größte Enttäuschung für mich ist jedoch die Tatsache, daß das Thema "Unternehmenssteuerreform" augenscheinlich überhaupt nicht auf den Tisch kam. Arbeitgeberpräsident Hundt hat bereits vor den Bündnistreffen am 5. Juli wörtlich gesagt: "Wir müssen uns neben der Unternehmenssteuerreform auch auf ein Grundkonzept zur Reform der Sozialversicherung und auf die Orientierungen über eine längerfristige Tarifpolitik verständigen. Gelingt dies nicht, in diesen drei sensiblen Bereichen weiterzukommen, verliert die ganze Veranstaltung ihren Sinn." Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Gewerkschaften fordern die Verkürzung der Arbeitszeit als solidarischen Beitrag aller Arbeitnehmer, um Arbeitsplätze zu schaffen. Der Chef des DIHT, Herr Stihl, sagt, dies sei praktisch nicht möglich. Was stimmt denn nun?

Vogel: Letzteres. Nehmen wir als Beispiel das Thema Altersteilzeit. Die Kernfrage ist doch: Wie soll das Ganze finanziert werden? Selbst in den einzelnen Gewerkschaften herrschen unterschiedliche Ansichten. Die IG Bau, Agrar, Umwelt will über kapitalgedeckte Zusatzrenten die Alterssicherung stärken, die IG Bergbau, Chemie, Energie plädiert für Branchenlösungen, die ÖTV hat sich sogar für ein Tariffondgesetz stark gemacht. Die IG Metall beharrt auf einem Finanzierungbeitrag der Arbeitgeber. Das Problem sind jedoch die Lohnnebenkosten, die nicht weiter steigen dürfen. Der Weg dahin ist einfach: Deutliche Entlastungen kleiner und mittlerer Betriebe von Steuern und Sozialabgaben bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ohne jegliche Gegenfinanzierung, sondern durch Ausgabenkürzungen – sprich Subventionsabbau.

Die Arbeitgeber verweisen oft auf das Beispiel USA und das Jobwunder dort. Sind dies nicht nur eine Masse an Billigjobs für gering qualifizierte Arbeitnehmer, und ist dies für eine leistungsstarke Wirtschaftsstruktur in Deutschland überhaupt sinnvoll?

Vogel: Der Eindruck, daß in den USA nur Billigjobs geschaffen wurden, ist falsch. Es werden dort sogar hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen, namentlich im Dienstleistungssektor und im Technologiebereich. Das von mir genannte Dilemma in der Metall- und Elektroindustrie macht deutlich, daß in Deutschland die Rahmenbedingungen leider ganz anders sind als in den USA.

Kurt Beck, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, hat eine Nullrunde für Arbeitnehmer vorgeschlagen. Ist das angesichts der sinkenden Realeinkommen der letzten Jahre überhaupt durchzusetzen?

Vogel: Politisch nur schwer. Von den 298 Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion sind 244 Mitglied einer Gewerkschaft, und daß die Gewerkschaften unisono mit Empörung auf diesen Vorschlag reagieren würden, war nicht anders als zu erwarten. Wer aber von sozialer Gerechtigkeit redet, darf nicht nur Rentner und Arbeitslose zur Kasse bitten. Daher halte ich persönlich diesen Vorschlag durchaus für überlegenswert.

Denken Sie, das Resümee Schröders auf seiner Pressekonferenz, im ganzen eine gute Politik für den ökonomischen Aufschwung zu betreiben, trifft auch auf den Mittelstand zu?

Vogel: Ganz und gar nicht. Nehmen Sie nur die verheerenden Auswirkungen des 630-Mark-Gesetzes oder des Gesetzes zur Scheinselbständigkeit. Nehmen Sie die für mich verfassungswidrige einkommensteuerliche Spreizung von Betriebs- und Privateinkünften. Denken Sie an die geplante Erhöhung der Erbschaftsteuer, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Es gibt vieles hinzuzufügen. Der Mittelstand ist und bleibt für mich der "Kuli der Nation".

Und Schröders nachträgliche Kritik an Lafontaine?

Vogel: Der strategische Ansatz von Lafontaine war falsch. Wer nur etwas von Nationalökonomie versteht, der weiß, daß die von ihm favorisierte Kaufkrafttheorie nur bei Vollbeschäftigung funktionieren kann. Seine Vorstöße zu Zinssenkungen durch die Deutsche Bundesbank und später durch die EZB haben im Ausland großen Schaden angerichtet. Schröder weiß das. Er hat sich inzwischen freigeschwommen und kann sich nicht nur öffentlich sondern auch offen äußern. Dadurch wird sich jedoch nach meinem Dafürhalten die Grundsatzideologie der SPD nicht ändern.

 

Klaus R. Vogel, geboren 1939 in Essen, studierte Betriebswirtschaft in Würzburg und Köln. Nach dem Examen folgten 16 Jahre im Bereich der Betriebsberatung. Seit 1982 ist er Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Mittelstand-Bundes (DMB).


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen