© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


CD: Pop
Verwurzelt
Holger Stürenburg

Die Gruppe Cut wurde 1995 von Gitarrist und Sänger Ray Wilson ins Leben gerufen. Davor hatte er zusammen mit seinem Bruder Steve und Freunden die Band Guaranteed Pure begründet, die Anfang der neunziger Jahre drei Alben veröffentlichte, jedoch nicht über den Stellenwert einer lokalen Größe in Edinburgh hinauskam. 1994, als der Grunge die Welt überzog und verzerrte Gitarren zum Pflichtprogramm jeder Kellerband wurden, war Ray Wilson mit Stiltskin ein sehr angesagter Beitrag zu jener Stilrichtung und hatte in jenem Jahr mit dem Rockkracher "Inside" einen europaweiten Nummer-Eins-Hit.

Auch das erste (und einzige) Album von Stiltskin, "The Mind’s Eye", konnte in die Top 10 einziehen. Als dann jedoch mehrere Musiker Stiltskin verließen, beendete Ray Wilson dieses Kapitel und begründete im Sommer 1995 sein neues Projekt Cut. Bei der Auswahl der Musiker griff er vielfach auf seine Freunde aus Guaranteed Pure-Zeiten zurück. Wilson distanzierte sich nun von den verzerrten Grunge-Klängen, für seinen Geschmack fehlte es hierbei "einfach an dem letzten Fünkchen Melodie". Und auf diese legte er bei seinen bald entstehenden Cut-Songs einen immensenWert. Er wurde mit über 20 neuen Songs bei Virgin Records vorstellig und erhielt umgehend einen Vertrag – was bei der Qualität dieser Songs auch kein Wunder war.

Aber plötzlich bekam Ray Wilson einen Anruf vom Manager des Rock-Sauriers Genesis, deren Frontmann Phil Collins der Gruppe 1996 auf immer und ewig den Rücken gekehrt hatte. Dringend suchte man nun einen ausdrucksstarken neuen Sänger. Das folgende Genesis-Album mit ihm, "Calling all Stations", enthielt mit "Congo", "Shipwrecked" und "Not about us" zwar drei recht erfolgreiche Single-Hits, aber dem Album schien einfach irgend etwas zu fehlen: Nicht Wilsons vokale Leistungen waren schwach, es schien vielmehr, als würden die Genesis-Kompositionen den scharfsinnigen Frontmann einschränken, hemmen, eingrenzen. Wilsons Qualität als Songschreiber wie als Sänger kamen auf "Calling all Stations" nicht zum Zuge – zumal man bei Genesis seit fast zwanzig Jahren nur Collins’ weichgespülte Stimme gewohnt war.

Nach einem umjubelten Auftritt im Sommer 1998 auf dem Nürnberger Festival "Rock im Park" mit Genesis beschloß Ray Wilson, nun sein eigenes Projekt Cut ins Leben zu rufen. Dies sollte kein Solo-Projekt, sondern eine feste Band werden, bestehend aus langjährigen Freunden, seinem Bruder und dem New Yorker Sessions-Bassisten Nir Zidkyahu. Anfang dieses Jahres erschien Cuts Debütalbum "Millionairehead". Der rockig-treibende Titeltrack beschreibt – wie einst bei Ray Davies und seinem Bruder Dave – einen Disput zwischen Wilson und dem früheren Stiltskin-Gitarristen. Mit der ersten Single "Another day" hätte die Band in den achtziger Jahren wahrscheinlich einen Welthit landen können: Hier treffen sanfte, romantische Gitarrenklänge auf einen düsteren Text, der vom Selbstmord eines Freundes von Wilson handelt. Die berühmten Weltschmerz-Lyriker vom Schlage eines Morrissey hätten es nicht besser hinbekommen.

Das Album ist rockig und mitreißend, sehr an The Adventures selig angelehnt, könnte ebenso in den späten achtziger Jahren zu Hause sein. Ohne jemals seine Wurzel aus dieser Dekade zu verschweigen, ist es dennoch auf der Höhe der Zeit.


 
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