© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Kolumne
Prunksucht
von Klaus Hornung

Protz ist heute Trumpf in der EuropäischenUnion wie in vielen ihrer Mitgliedsländer. Das läßt sich auch am neuen Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg ablesen, den man sich für lumpige 1,2 Milliarden Mark erbauen ließ. Fragen drängen sich auf: Wie können "Volksvertreter" sich guten Gewissens einen solchen Bau genehmigen, deren Völker allesamt von ruinösen Schulden belastet sind? Und: Was hat dieses Parlament eigentlich zu tun, dessen politisches Gewicht im umgekehrten Verhältnis zu seinem Aufwand steht?

Der Bau symbolisiert ungewollt zentrale Merkmale des sogenannten "westlichen Zivilisationsmodells": Mehr scheinen als sein (im Umkehrsatz zum einstigen preußischen Selbstverständnis). Das viele Glas soll demokratische Transparenz suggerieren, aber das Labyrinth im Inneren des Baus spiegelt in wahrhaft atemberaubender Weise die heutige Richtungs- und Konzeptionslosigkeit des europäischen Hauses wider. Die Architektur symbolisiert die reale Lage: politische Schwäche (des Parlaments wie Europas insgesamt) und Selbstbedienungsmentalität, die von Großmannsucht verdeckt werden soll. Bangemann ist kein Einzelfall.

Nicht zufällig hat sich ja François Mitterand, der angebliche Hirt aller Mühseligen und Beladenen in seinem Land, mit seiner Bausucht hervorgetan. Auch mit dem Glaspalast in Straßburg wollte die französische Vormacht Europas eine politische Kathedrale zum eigenen Ruhm schaffen nach dem Grundriß eines Napoleon-Hutes. Die Brüsseler Europa-Paläste standen Pate als protzige, funktional triste und menschenfeindliche Kathedralen der Moderne, in denen der Geist nie geweilt hat und nie weilen wird, traurige Symbole einer Pseudo-Politik, die sich hier ebenso ungewollt wie treffend manifestiert.

Ich hege Zweifel, ob die Väter Europas nach dem Krieg, die Adenauer, Schuman, de Gasperi sich das Europa der Zukunft so vorgestellt haben. Auch Jean Monnet, einer der europäischen Architekten, hat spät, zu spät bekannt, daß er, wenn er nochmals zu beginnen hätte, beim Bau Europas mit der Kultur statt mit der Wirtschaft beginnen würde. Nun treten die "Schäden des Angerichteten" (Botho Strauß) immer deutlicher hervor, der Primat des Ökonomischen und Materiellen hat längst begonnen, Europa zu erdrücken: "Le style est l’homme meme", die Architektur offenbart den Charakter einer Epoche bis zur Kenntlichkeit. Die derzeitige Synthese aus Protz, Geschichtslosigkeit, "Selbstverwirklichung" und heimlicher Zukunftsangst erinnert an das späte Rom, irgendwo nach Caracalla. Europa wird nur eine Zukunft haben, wenn eine Generation hervortritt, die das erkennt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen