© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


EU: Roßkur für die Europäische Kommission
Avanti, avanti!
Johanna Christina Grund

Vieles war ungewöhnlich zum Beginn der Amtsperiode 1999 bis 2004 des Straßburger EU-Parlaments in der dritten Juli-Woche. Noch nie war die Legitimation der 626 Abgeordneten durch die Bürger so gering, weil über die Hälfte von diesen die Wahl verweigert hatte. Zum ersten Mal seit 1979 wählte die nunmehr bürgerliche Mehrheit des Hauses eine Frau auf den Präsidentenstuhl, die französische UDF-Politikerin Nicole Fontaine (57) . Mit 306 gegen 200 Stimmen stach die energische frühere Rechtsanwältin den ehemaligen portugiesischen Staatspräsidenten Mario Soares aus, den die beim Postenschacher im Parlament neuerdings entbehrlichen Sozialdemokraten nominiert hatten. Sie sprachen deshalb von einem "faustischen Pakt" der Schwarzen mit den Gelben.

Nie zuvor trat die Versammlung in solch einem pompösen, erst halbwegs fertiggestellten Glas-, Stahl- und Betonpalast am Ufer der Ill neben dem alten Europaratskomplex zur Sitzungswoche an, der zum einen in die futuristische Welt künftiger Jahrhunderte weist und zum anderen mit seinem bizarren Turm im Zentrum dem Turmbau zu Babel in dem berühmten Gemälde von Pieter Brueghel ähnelt. In einer Zeit der Budgetsanierungen zu Lasten der Rentner und der sozial Schwachen sowie der Massenarbeitslosigkeit in der EU hat der Palast 830 Millionen Mark gekostet. Auch ein Novum in der Geschichte der EWG, EG und EU: Romano Prodi (59), der designierte Kommissionspräsident, stellte schon 24 Stunden nach der Konstituierung des neuen Parlaments eine bis auf vier Funktionäre komplett neue Mannschaft samt ehrgeizigem Programm vor. Ursache dafür ist der unrühmliche Untergang der Santer-Kommission im Sumpf der Korruption.

Prodi, der wortgewaltige Professor aus Bologna, trat vor dem Straßburger Plenum in der gleichen Weise auf wie vor drei Jahren, als er an der Spitze des Olivenbaum-Bündnisses und der neuen italienischen Regierung den Staat aus dem Schmutz der alten bestechlichen Parteienwelt von Christdemokraten, Sozialisten und Republikanern zu retten suchte. "Ich werde alles besser und anständiger machen, die Arbeitsstrukturen revolutionieren und die Institutionen reformieren. Ich werde jedes schwarze Schaf in der Kommission feuern und nicht dulden, daß jemand aus dieser Garde sein Heimatland und dessen nationale Interessen oder gar sich selbst vertritt und nicht immer und ausschließlich der EU dient", versprach er vollmundig. Ein gewisser Vertrauensvorschuß ist ihm durchaus zuzubilligen, doch muß die Eigenwerbung in Bänkelsängermanier solange als Kur des Dr. Eisenbart gelten, wie er durch Personenwahl und Verhaltenskodex nur die Symptome der Krankheit der EU bekämpfen will, nicht aber deren übernational dirigistische Machtfülle und deren zentralistische Regelungswut bändigen kann. Um uns von "Brüssel" zu erlösen, müssen diese bösartigen Wucherungen gesondert entfernt werden.

Der Präsident in spe legt deutlich das Schwergewicht auf eine Verwaltungsreform und will erreichen, daß die 20 Kommissare inmitten ihrer bisherigen Generaldirektionen mit multinationaler Besetzung arbeiten. Keineswegs soll künftig ein Kabinettschef die gleiche Nationalität wie der entsprechende Kommissar besitzen. Im Wechsel der Bezeichnungen der Generaldirektionen von Nummern zu Ressortnamen ist mehr zu sehen als nur ein redaktioneller Akt. Prodi will künftigen Ministerialstrukturen den Weg ebnen, wenn staatliche Regierungsfunktionen total untergegangen und zu Regionalämtern abgewertet worden sind.

Genau auf dieser Linie liegt die Kritik Prodis an der auf dem Kölner Regierungsgipfel beschlossenen nur begrenzten Veränderung der Institutionen zur nächsten Reformkonferenz der EU. Prodi ruft: "Avanti, avanti!" und denkt schon an eine Straffung der Kommission und eine veränderte Stimmengewichtung im Ministerrat. Statt des Vetorechtes fordert er das Majorzsystem, das vor allem die kleinen Vasallen im Völkerkerker de facto entmachtet. Daran aber dürfte er entweder scheitern oder sich die Hörner abstoßen, denn der Widerstand der Mitglieder gegen Totalverzicht auf nationale Lebensinteressen wird von Gipfel zu Gipfel zäher.

Die überaus positive Einschätzung der eigenen Ratspräsidentschaft, mit der kürzlich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Josef Fischer die Öffentlichkeit überraschten, wird daheim und draußen völlig unterschiedlich verstanden. Die "Agenda 2000" ist nur ein fauler Kompromiß. Die Einsparung von sieben Milliarden Mark Nettozahlungen an die EU wurde auch nicht annähernd erreicht. Die Teilnahme am Angriffskrieg auf dem Balkan löst eine Kostenlawine sondergleichen aus. Zusätzlich zu der Belastung durch den Balkan die Osterweiterung, für die Günter Verheugen als Kommissar sein Himmelfahrtskommando antritt. Noch dazu hat die Gutsherrenart des Auftritts von Schröder und Fischer die an deutsche Demut gewohnten Konsorten im Syndikat vergrault. Die Diskriminierung des Deutschen als Arbeitssprache durch die finnische Ratspräsidentschaft kann als Rache durch Sprachverwirrung angesehen werden.


 
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