© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Umweltkriminalität: Wie Altöl, Elektronikschrott, Batterien und Giftstoffe "entsorgt" werden
Zu Lasten künftiger Generationen
Helmut Müller

Der Politik obliegt es, Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, ökologisch-sozial verträgliche Entwicklung zu schaffen, die zukünftige Generationen nicht gefährdet. Vermutungen und Fakten sprechen aber eher dafür, daß die Bedingungen für eine Zukunftsfähigkeit beim jetzigen Stand der Dinge nicht vorhanden sind. Das hat einerseits damit zu tun, daß mächtige Lobbyistengruppen die Politiker immer mehr unter Druck setzen, andererseits hängt die Belastung unserer Umwelt sehr stark von demographischen Daten ab.

In besonderem Maße wiegt bei der im nächsten Jahrhundert zu erwartenden Verdoppelung der Weltbevölkerung dann selbstverständlich der wachsende Anteil hochgiftigen Abfalls. Je mehr brisanter Müll anfällt – weltweit schon jetzt etwa 500 Millionen Tonnen pro Jahr –, desto gefährdeter ist die Mitwelt, weil Unmengen solchen Problemstoffes von fahrlässig handelnden Firmen, Privatpersonen oder kriminellen Organisationen entsorgt werden. Dabei reichen die Delikte von in die Kanalisation geschütteten Lösungsmitteln eines Bastlers bis zum groß abgewickelten Geschäft mit Hunderten von Tonnen hochgiftigen Abfalls. Es sind in erster Linie gewissenlose Sondermüllhändler und -verwerter, von denen derzeit eine große Gefährdung unserer Umwelt ausgeht. Diese Müllverschieber sind sehr erfinderisch: Als Filterstaub, Lackschlämme, Putzmittel oder Brennstoffe wird der Sondermüll gegen fette Gewinne verschoben. Im einen Land kassieren sie für die Entsorgung, im anderen für die "Ware". Und obwohl die Behörden darüber alarmiert sind, tappen sie vielfach im Dunkeln, weil die zuständigen Polizeistellen schlicht und einfach unterbesetzt sind.

Wie hoch der Umfang des weltweiten Sondermüllgeschäftes ist, kann nur abgeschätzt werden. Die Schäden, die zum Beispiel 1998 durch den illegalen Sondermüllhandel entstanden, betrugen zwischen 30 und 40 Milliarden US-Dollar. Nicht eingerechnet der als Recycling getarnte Sondermüllhandel, der inzwischen so lukrativ ist wie Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel. Bevorzugte Abnehmer für das Gift sind Afrika und jetzt vermehrt Osteuropa.

Nicht selten wird der Sonderabfall an Firmen oder Personen weitergegeben, die gar keine Bewilligung besitzen und die den Dreck illegal beseitigen, wie ein 1995 mit der Entsorgung von 48 Fässern mit tödlichen Zyanidverbindungen betrauter Nürnberger Malermeister: Statt diese wie vereinbart nach Rotterdam zu bringen, stellte er sie einfach an der Fernstraße ab.

Wie hoch die Gewinnspannen sind, zeigt ein anderer Fall: Zwischen 1992 und 1994 deckte Greenpeace illegale Exporte von rund 2.500 Tonnen Altpestiziden aus Deutschland nach Rumänien und Albanien auf. Die regulären Entsorgungskosten hätten zwischen 8.000 und 10.000 Mark pro Tonne betragen!

Welche Langzeitwirkung der Müll haben kann, zeigt ein Beispiel aus Österreich: In den 70er Jahren wurden bei Wiener Neustadt, in der sogenannten Fischer-Deponie, Fässer mit einem "Giftcocktail" aus krebserregenden Lösemitteln, Abbeizern und Weichmachern entdeckt. Schon ein kleiner Schluck daraus führt zum Tod. Die illegal gelagerten Fässer bedrohen noch immer Österreichs größtes Trinkwasserreservoir. Bis heute wurde erst ein kleiner Teil der Fässer geborgen. Zwar wurden insgesamt 90 Prozesse angestrengt, doch wurde noch kein Hauptschuldiger gefunden. Die Sanierungskosten von umgerechnet rund 300 Millionen Mark wird wohl der österreichische Steuerzahler aufzubringen haben.

Für Schlagzeilen sorgten auch 2.000 Tonnen Altpestizide, die zwischen 1992 und 1994 von Deutschland nach Rumänien gebracht wurden. Lediglich 465 Tonnen konnten in Siebenbürgen aufgespürt werden. Die Pestizide waren nicht nur in Fässern, sondern auch in Flaschen und Kartons untergebracht. Im Mai 1994 mußten alle noch auffindbaren Giftfässer nach Deutschland zurückgebracht werden. Ebenfalls in diesen Jahren verschob die Firma Schmidt-Cretan 480 Tonnen Altpestizide als "humanitäre Hilfe" nach Albanien. Auch diesen Sondermüll mußte Deutschland schließlich zurücknehmen.

1997 entdeckten die deutschen Behörden den bis dahin größten Giftmüllskandal in der Bundesrepublik: Eine "Reststoffverwertungsfirma" deklarierte hochgiftige Flüssigabfälle als "Altöl" und verkaufte sie als "Brennmaterial". Außerdem wurden giftige Ölschlämme als "Bauschutt" und "Eisenschlamm" zu Mischdünger verarbeitet. In fünf Jahren wurden 26.000 Kubikmeter gefährlicher Altstoffe illegal entsorgt und dafür über 15 Millionen Mark eingestrichen.

Das klassische Land der Umweltkriminalität ist Italien: 1988 bis 1989 ließ die Müllentsorgungsfirma Jelly Wax S.a.r.l. insgesamt 7.500 Tonnen Industriemüll in den Libanon und nach Venezuela transportieren. Nach Bekanntwerden des Skandals mußte der italienische Staat für rund 24 Millionen Dollar den Müll zurückschaffen lassen. 1995 wurde der in der Reggio Calabria gebürtige Geschäftsmann Giorgio Comerio der Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung verdächtigt, der gravierende Umweltschäden angelastet werden. Comerio soll an der Versenkung mehrerer mit Industrie- und Atommüll beladener Schiffe im Mittelmeer beteiligt gewesen sein.

Der Süden Italiens, wo es kaum Müllverwertungsanlagen gibt, bietet sich für Umweltverbrechen in besonderem Maße an. So gibt es in der ganzen Campagna nur eine einzige Anlage geben. Daher kann sich die organisierte Kriminalität auf diesem Gebiet eine goldene Nase verdienen: Auf umgerechnet sechs Milliarden Mark wird der Profit aus diesem Geschäft geschätzt. Eine beliebte Methode ist es, den Müll auf ausgesuchten Mulden abzuladen und darauf Siedlungen zu errichten. Bereits vor Jahren mußten deshalb etliche Brunnen wegen Verseuchung des Grundwassers geschlossen werden.

Dies sind einige Fälle, die nur ansatzweise die Problematik der globalen Umweltkriminalität aufzeigen können, wobei das Sondermüllgeschäft nur ein – wenn auch wesentlicher – Aspekt der Umweltkriminalität ist. Zu dieser zählen schließlich genauso die Verseuchung von Lebensmitteln mit Dioxin wie in Belgien, die skrupellose, Mensch und Umwelt gefährdende Urangewinnung in der ehemaligen DDR und die Quecksilber-Verseuchung vor Jahren in Japan, die Tausende Opfer forderte.

Allerdings, wenn ein menschenverachtender Staat oder starke, mit der Politik verbandelte Interessensgruppen dahinter stehen, dann ist guter Rat teuer. Daher wird trotz aller sonstigen Mängel unseren mitteleuropäischen Staaten, voran den deutschsprachigen, noch am ehesten eine Bewältigung dieses Problems zugetraut. Aber ohne internationale Zusammenarbeit sowohl auf politischem Gebiet wie auf dem von Justiz und Exekutive (Interpol, Europol usw.) wäre auch das nicht mehr vorstellbar.

Um die Umweltkriminalität wirksam zu bekämpfen, braucht es Spezialisten wie Umweltkriminologen, braucht es Beamte, die im Erkennen von Problemfällen ebenso geschult werden wie im Abfallwirtschaftsgesetz. Vorbeugen ist auch hier besser als heilen, daher sollte bessere Aufsicht walten zu lassen hier oberstes Gebot sein. Erzeuger sind strenger in die Pflicht zu nehmen, Strafen sollten empfindlich erhöht werden.

Auf einer höheren Ebene aber muß endlich dafür gesorgt werden, daß tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise unseres Wirtschaftens als auch unseres Konsumverhaltens erfolgen. Wird die Zuwachsrate der Belastung unserer Umwelt mit Schadstoffen nicht drastisch gesenkt, so wird die Aufnahmefähigkeit der Natur nicht nur lokal, sondern auch global in Frage gestellt.

Eine andere Wirtschaftsweise und ein anderer Politikmodus müssen nicht zwangsläufig zu weniger Wohlstand führen, sowenig wie ein umweltentlastender Strukturwandel die Wirtschaft belasten muß. Die ökologische Umorientierung der Wirtschaft muß nichts mit grüner Spinnerei zu tun haben. Es geht einfach nicht an, daß die jetzt lebenden Menschen sich gegenüber den zukünftigen Generationen verantwortungslos und undemokratisch verhält. Die Gegenwart hat uns nicht wichtiger zu sein als die Zukunft.


 
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