© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Theater: "Doktor Faustus" in der Dresdner Versöhnungskirche
Ringen um Vergebung
Helene Scharl

Das Leben ist langweilig. Gar manches versuchte ich schon. Studierte Philosophie und Theologie, Naturwissenschaften und Medizin. Erfüllung fand ich in keinem Studienfach. Aber es treibt mich innere Unruhe um, mehr zu erfahren: Ursache und Wirkung, Inhalt, Form und Zweck, Zusammenhänge und Wechselwirkung. Vielleicht suche ich erst mal Zerstreuung und Entspannung, gewinne dem Leben die angenehmen Seiten ab, genieße. ‘N Kumpel, mit dem man rumhängen kann, finde ich allemal. Den gesamten Tag läuft der Fernseher – Talkshows, Nachrichten und Serien. Abends, in irgendeinem Discoschuppen, versuchen wir die Mädchen anzumachen. Doch das Leben ist langweilig, denn es fehlt der "Kick". So oder ähnlich würde in unseren Tagen Doktor Johann Faust sein Leben beschreiben und den Pakt mit dem Teufel nicht nur begründen, sondern auch rechtfertigen.

Die Liste der Faust-Stoff-Bearbeitungen ist lang, am bekanntesten ist gewiß die Version des Johann Wolfgang von Goethe. Aber gerade seine Faust-Sicht ist nicht Inhalt der Inszenierung des Dresdner Brettl. Das Stück "Die tragische Geschichte vom Leben und Tod des Doktor Faustus" von Christopher Marlowe (1564–1593) kam auf der "Bühne" der Versöhnungskirche zur Aufführung.

Der 1564 in Canterbury geborene Christopher Marlowe gehörte zu den bedeutendsten schauspielernden und dichtenden Zeitgenossen William Shakespeares. Wegen seiner freisinnigen Ansichten schuf sich Marlowe Feinde und beendete das Studium der Theologie in Cambridge nicht. Später erwarb er den Magistertitel der Schönen Künste und führte ein unstetes Leben. Mit großem Erfolg schrieb Marlowe für Londoner Theatergruppen, die seine historischen Stücke ("Tamerlan der Große", "Der Jude von Malta", "Das Massaker von Paris" und andere) zur Aufführung brachten. In einem Wirtshaus wurde er bei einer Messerstecherei im Jahre 1593 getötet.

Marlowes dramatisierte Faust-Saga lehnt sich eng an eine englische Übersetzung des deutschen Volksbuches an. Seine Sichtweise vermittelt die mittelalterlichen Vorstellungen von Schuld und Strafe. Uns tritt Faustus als vielschichtiger Charaktermensch entgegen: zerrissen zwischen unbedingtem Machtstreben und schrankenloser Wißbegier. Geistig unbefriedigt verwirft Doktor Faustus (Tom Quaas) das Schulwissen jener (jeder?) Zeit. Seine Zweifel spricht Faustus aus und benennt das Ziel: "Ein guter Magier ist ein mächtiger Gott: Hier plag dein Hirn, Faust, um Gottähnlichkeit."

In den Disputen des Originaltextes steht die intellektuelle Auseinandersetzung mit Mephostophilis (Friedrich-Wilhelm Junge) im Vordergrund. Die in Dresden gebotene Fassung legt den Handlanger Luzifers als genervten und gelangweilten gefallenen Engel aus, der seine Meinung vorwiegend mittels Mimik ausdrückt. Vielleicht lag es an der späten mitternächtlichen Stunde, oder die harten Kirchenbänke drückten zu sehr, daß der Regieeinfall langsam langweilig wirkte.

Kurz nachdem Faustus den für 24 Jahre ausgehandelten Pakt unterschrieb, wird dem Strebenden bewußt, daß ihm der Verkauf seiner Seele nicht die erhoffte grenzenlose Erweiterung seiner Macht und seines Wissens einbrachte. Die Dienste des Mephostophilis erschöpfen sich in possenhaften Streichen an Fürstenhöfen. Ein letztes Ringen um Reue und Vergebung von Doktor Faustus bleibt halbherzig.

Auf Volksebene spielt sich ähnliches zwischen Alf Mahlo als Clown Robbi und Stallknecht Rudi, den Rainer König verkörperte, ab. Nur wer die Magie um eine Pinte Freibier oder die nächstbesten Mädchen bemüht, der wird in Esel oder Affen verwandelt. Die Moral von der Geschicht’: Versuche wider bessres Wissen nichts!

Regie führte Klaus Dieter Kirst. Das eindrucksvoll einfache Bühnenbild und die differenten wie charakterisierenden Kostüme entwarf Henning Schaller. Gespielt wurde auf drei Ebenen: Vor dem von Reinhold Metzger dekorativ gestalteten Hauptvorhang spielt die Nebenhandlung mit Clown Robbi und dem Stallknecht Rudi, im Bühnenraum die Haupthandlung um Faust und Mephostophilis, sowie das Engelspaar über der Bühne.

Die Figurinen der sieben Todsünden gestalteten die Studenten Manuela Langer und Stefan Möller des Studienganges Theaterplastik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, die mit diesen Theaterrequisiten ihre Diplomarbeit vorlegen. Sie verkörpern die sieben Todsünden, die arrogant in die Höhe gereckte Nase die Hofart, die gierigen Hände die Habsucht – und der gewaltigen Phallus die Unzucht.

Die überlieferten Tischreden Martin Luthers berichten von einer Aussage des Hausherrn, als über den Doktor Faustus die Rede war: "Der Teufel gebraucht der Zauberer Dienste wider mich nicht; hätte er mir gekonnt und vermocht Schaden zu tun, er hätte es lange getan. Er hat mich wohl oftmals schon bei dem Kopf gehabt, aber er hat mich dennoch müssen gehen lassen. Ich hab ihn wohl versucht, was er für ein Geselle ist. Er hat mir oft hart zugesetzt, daß ich nicht gewußt habe, ob ich tot oder lebendig sei ..."

Manche Stimmen meinten später, daß die Urgestalt des Faust eben Luther sei und diese Legende von seiten der Papisten in Umlauf gesetzt worden wäre: Der Zeitraum zwischen der Rückkehr des Reformators von der Wartburg bis zu seinem Tode beträgt – 24 Jahre.


 
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