© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Kennedy-Familie: Der vergessene Tod des Bomberpiloten Joseph F. Kennedy jr.
Absturz über dem Kanal
Alfred Schickel

Der Flugzeugabsturz des 38jährigen John F. Kennedy jr., Sohn des ermordeten US-Präsidenten, läßt das Schicksal der Kennedy-Familie wieder in Erinnerung kommen. Die Mordanschläge auf die prominentesten Mitglieder, John F. Kennedy und Robert F. Kennedy, Staatschef der eine, Justizminister und Präsidentschaftsanwärter der andere, markierten die Höhepunkte in der leidvollen Familiengeschichte. Ihre letzten Hintergründe scheinen bis heute noch nicht restlos geklärt.

Ebensowenig geklärt ist der Tod des ältesten Bruders der beiden ermordeten Kennedys, Joseph F. Kennedy jr. Er tat im Zweiten Weltkrieg als Pilot Dienst und kam am 12. August 1944 bei einem Einsatz über Westeuropa ums Leben. Er steuerte an diesem Tag einen mit Sprengstoff beladenen Spezialbomber, um eine deutsche, verbunkerte Abschußrampe für Flugbomben Fi 103 (V1) an der französischen Küste anzugreifen.

Kurz vor Erreichen des Ziels sollte er mit dem Fallschirm abspringen, während der Bomber mit seiner Sprengladung auf das deutsche Ziel niedergehen sollte. Für derartige Sondereinsätze kamen nur Freiwillige in Frage, da die Überlebenschancen unverhältnismäßig gering waren. Die vorangegangenen Flächenbombardements hatten keinen Erfolg gebracht. Kurz nach dem Start explodierte jedoch Kennedys Flugzeug plötzlich; der Pilot war augenblicklich tot. Wie eine Untersuchung des Unglücksfalls ergab, hatte ein britischer Störsender mit seinem Hochfrequenzimpuls die Explosion an Bord des Flugzeugs ausgelöst. Eigentlich sollte das englische Funkabwehrverfahren (RCM) sich nähernde deutsche Flugbomben erfassen und vor dem Ziel zum Absturz bringen. Die Briten entschuldigten sich später für ihren Fehler mit dem Hinweis, über Kennedys Auftrag "absolut nicht im Bilde" gewesen zu sein (’The British later apologized for their error, stating they were totally unaware of the Kennedy mission‘).

Ihnen war der Vorfall um so peinlicher, als es sich bei dem verunglückten Piloten um den Sohn des früheren amerikanischen Botschafters in London, Joseph Kennedy, handelte, der gleichermaßen mit dem Premierminister wie dem amerikanischen Präsidenten bekannt war und zu den einflußreichsten Männern der Vereinigten Staaten zählte. Er hatte sich seinen Posten am Hofe von St. James nicht als Krönung einer erfolgreichen Diplomatenkarriere erdient, sondern verdankte ihn seiner tatkräftigen Wahlhilfe für Präsident Franklin D. Roosevelt, der seinen großzügigen Sponsor wunschgemäß mit dem Botschafterposten an der Themse belohnte.

Kennedy warnte die USA vor Einmischung in Europa

Dort beobachtete er in den Jahren 1938 und 1939 mit überraschend treffender Scharfsicht die politische Entwicklung zwischen den europäischen Großmächten, insbesondere zwischen Deutschland und Großbritannien.

Dem amtierenden britischen Premierminister Chamberlain freundschaftlich verbunden, befürwortete er während der sogenannten "Sudetenkrise" im Sommer 1938 eine völkerrechtliche Lösung der "Sudetenfrage" und brachte den italienischen Regierungschef Mussolini ins Spiel, der Hitler schließlich zur Einberufung der Viererkonferenz von München veranlaßte, welche mit dem dort vereinbarten Abkommen den Sudetendeutschen das ihnen 1918 verwehrte Selbstbestimmungsrecht gewährte und die aufgekommene Kriegsgefahr bannte. Als es knapp ein Jahr später doch zum Konflikt zwischen Deutschland, England und Frankreich kam, beschwor Joseph ("Joe") Kennedy seinen Präsidenten, die Vereinigten Staaten unter allen Umständen aus den europäischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Gewichtigstes, aber zugleich weithin unbekanntes Zeugnis seiner Warnungen vor einem etwaigen Eingreifen der USA ist sein Telegramm vom 30. September 1939 an Präsident Roosevelt persönlich. Darin lieferte er seinem Staatschef nicht nur eine überaus aufschlußreiche Kriegsgrunderklärung, sondern auch eine geradezu verblüffende Vorschau auf die machtpolitische Zukunft Großbritanniens, wie sie mit dem Niedergang des britischen Weltreiches nach 1945 dann auch tatsächlich eintrat.

Wenige Monate später, im Frühjahr 1940, sah sich Botschafter Kennedy schließlich vor die rätselhafteste Affäre seiner öffentlichen Tätigkeit gestellt. Da wurde sein Landsmann und Mitarbeiter, der Dechiffrierbeamte Tyler Kent, trotz seines Diplomatenstatus von der britischen Polizei verhaftet, vor ein Geheimgericht gestellt und zu Isolationshaft auf einer einsamen Insel verurteilt. Tyler Kent hatte nämlich von einer streng geheimen Korrespondenz zwischen Roosevelt und Churchill über eine spätere gemeinsame Kriegsallianz Kenntnis bekommen und gedachte diese in Gestalt angefertigter Kopien dem amerikanischen Kongreß als Beweis für die heimliche Kriegspolitik des Präsidenten zuzuspielen.

Verdacht eines Komplotts wurde nicht entkräftet

Kennedy fühlte sich durch diesen Vorgang und die weitere politische Entwicklung in Europa auf seinem Posten in London nicht mehr ernst genommen und kehrte 1940 in die Vereinigten Staaten zurück.

Dort entfremdete er sich von der Politik Roosevelts immer mehr, so daß sein Sohn Joseph als Delegierter auf dem Wahlkonvent der Demokraten in Chicago 1940 dem Kandidaten Roosevelt seine Stimme verweigerte hatte – ein Affront, den ihm das Roosevelt-Lager sehr übel nahm. Vater Joseph Kennedy hielt den Präsidenten sogar für so rachsüchtig, daß er ihm Machenschaften beim Absturz seines ältesten Sohnes zutraute, wie er Senator Harry S. Truman, dem späteren Nachfolger Roosevelts, in bitteren Worten andeutete.

Schließlich hatte er seinen Erstgeborenen dafür vorgesehen, einmal Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Statt dessen wurde er das erste Todesopfer der Familie Kennedy im besten Mannesalter, dem sein Neffe John jr. vorvergangene Woche gleichfalls in einer Pilotenkanzel folgte.


 
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