© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Schule: Abschiedsbrief eines Lehrers an seine "children of universe"
"Nehmt mich Ernst"
Frank Philip

Je nach Bundesland etwas früher oder später fangen in diesen Tagen die Sommerferien an. Schulkinder aus der ganzen Republik jubeln über lange Wochen ohne harte Klassenbänke, Hausaufgaben und Tintenkleckse. Jetzt beginnt die schöne Zeit, wenn sie sich mit ihren Eltern in endlosen Blechlawinen gen Süden quälen, um an den Stränden im sonnigen Italien oder Spanien zu braten.

Aber einige Kinder erwarten bangen Herzens, was nach den Ferien auf sie zukommt. Nach vier Jahren müssen sie Abschied nehmen von ihrer Grundschule, die Klassen teilen sich: die einen streben aufs Gymnasium, andere auf die Real- oder die Hauptschule. In manchen Bundesländern besteht zudem für Unentschlossene und "Spätzünder" die Möglichkeit, eine zweijährige Orientierungsstufe (OS) zu besuchen. Diese Bummelantenstufe, ein Herzensanliegen linker Bildungspolitiker seit den 70er Jahren, ist nicht unumstritten.

Der JUNGEN FREIHEIT liegt das Abschiedsschreiben eines schleswig-holsteinschen Lehrers einer OS vor. "Lassen Sie sich bitte viel Zeit beim Genuß dieses Papieres, und fragen Sie sich dann, ob es sich um eine deutsche Schule handelt", schrieb uns ein Leser. Mit Verwunderung nahmen wir auf, daß dieser rechtschreibstarke Lehrer sich nicht entblödete, anderen Schülern "Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache" zu attestieren. Heute zählt wohl weniger die fachliche als die emotionale Qualifikation. Fortschrittliche Pädagogen warnen vor Lehreinrichtungen mit dem Ziel der Wissensvermittlung ("Um Himmelswillen kein Leistungsdruck"!), dagegen wollen sie den Kindern primär eine angst-, streß- und sorgenfreie Zeit ermöglichen. Schule als reine "Fun-Institution"? Die JUNGEN FREIHEIT stellt den aufschlußreichen Brief in vollem Wortlaut und origineller Orthographie vor.

Time to say ‘Goodbye’

Goodbye - Elternbrief 1999

Liebe Schüler/innen, liebe Eltern der 6g !

In knapp 3 Wochen endet für Euch, dear pupils, die Zeit an der OS am Markt. "Time is running", die 2 Jahre vergingen fast zu schnell. Trotz einiger, weniger stressiger Momente hat es mir persönlich, aber auch den Fachlehrern Spaß gemacht, bei Euch zu unterrichten. Grundlage dieser guter Lehrer/Schüler-Atmosphäre war die in vielen Stunden gemeinsam erarbeitete Klassenordnung. Für mich war die Klasse immer ein Zuhause; unser wirklich immer schön geschmückte Klassenraum, insbesondere zur Weihnachts- und Osterzeit, trug auch bestimmt dazu bei. Die Woche fing schon beim regelmäßigen Stuhlkreis positiv an; hier erzählten wir regelmäßig von unseren Wochenenderlebnissen. Das monatliche Frühstück, die damit verbundenen Arbeitsaufträge und Pflichten, das schöne Aufdecken, Frühstück bei "Candlelight (Kerzenlicht)", haben eine emotional positive Atmosphäre entstehen lassen. Höhepunkt war das festliche "Türkische Frühstück", nachdem wir vorher gemeinsam in einem türkischen Laden eingekauft hatten. Besonders hervorzuheben ist hier noch einmal die besondere Gastfreundlichkeit und Großzügigkeit des türkischen Ladenbesitzers.

Die zahlreichen Parties mit DJ Holly, Fahrten in die Eishalle, ins Spaßbad, zum Weihnachtsmarkt, der Rosenmontag, der "Run for the Working-Hall", die unvergessliche Klassenfahrt, ........... waren einige Aktionen, die die Lernfabrik OS in eine "Fun-Factory (Spaßfabrik)" verwandelt hatten. Das Zusammenwirken aller dieser Faktoren haben unsere Klassengemeinschaft gestärkt und ein sogenanntes "Wir-Gefühl" entstehen lassen.

Unsere gemeinsame Klassenstunde, in der wir jede Woche über Probleme in der Klasse (Aktion Kummer-, Freudekasten), Gewalt in der Schule, in der Familie, in der Gesellschaft, über den Krieg im Kosovo, aber auch über den Frieden, diskutiert haben, war ebenfalls ein Beitrag zu einer friedvollen "School-Atmosphere".

Was ich besonders schön fand, war, dass wir eine internationale Familie aus vielen verschiedenen Nationen waren.

Ich möchte ich bei den Elternvertretern für ihr Engagement bedanken. Die Mitarbeit bei der Eltern hätte intensiver sein können.

Wir, die Lehrer der OS, haben es uns nicht leicht gemacht, die richtige Empfehlung zu den verschiedenen Schulen zu treffen. Nehmen Sie, die nach 2 Jahren intensiver Beobachtung gereifte Entscheidung bitte Ernst. Lassen Sie Ihre Kinder eine freudige, angst- und sorgenfreie Schulzeit erleben. Ständiger Leistungsdruck, Angst vor dem Versagen, kontinuierliche Nachhilfe vom ersten Tag an, führen zu Frustration, Aggression und Schulunlust.

"Viele Wege führen nach Rom". Alle 3 Schulformen können zur Mittleren Reife führen, ermöglichen sogar den Zuggang zu einem Gymnasium. Ich freue mich besonders drüber, dass es mit Sule und Damla zwei türkische Mädchen geschafft haben, eine Empfehlung zum Gymnasium zu bekommen.

Ich wünsche Euch allen, "Children of Universe" viel Spaß, Erfolg, Zufriedenheit und ein "Life in Peace".

"The time has come to say goodbye".

Thanks children, merci, danke für die vielen netten Stunden.

Ich hoffe, es waren auch für Euch zwei schöne Jahre.

Heal the World

Give peace a chance

Yours

Holger K.

P.S. In der nächsten Woche sollte eigentlich unsere abschließende stattfinden. Schwerpunkt unserer Klasse sollte eine sogenannte "Goodbye-OS-6g-Week" sein."

Jaja, ein schöner Abschluß hätte es werden sollen mit "Swimmingday, Picknik, Sportsday" und dem unvermeidlichen türkischen Frühstück "at school", doch leider, leider ist Holger K. "aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht in der Lage, die Schule zu besuchen, bzw. diese Aktion durchzuführen".


 
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