© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Zeitschriften: "Castrum Peregrini" vereint literarische Gattungen
Einheit im Verschiedenen
Baal Müller

Seit 1951 erscheint in dem Amsterdamer Verlag Castrum Peregrini eine gleichnamige Zeitschrift, die lyrische, essayistische und andere literarische Beiträge enthält, insgesamt aber weit mehr und anderes ist als eine gewöhnliche Literatur- oder Kulturzeitschrift: Sie versteht sich als eine "Zeitschrift über Zeitzeugen und ihre Dokumente". Sie hält fest, wie einzelne Menschen sich in schwierigen Situationen verhalten haben. Es wird gefragt: "Was gab ihnen die geistige Kraft, sich der Tyrannei ihrer Umgebung und dem Vorurteil ihrer Zeit entgegenzustellen?"

Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus den Lebensumständen der Verlagsgründer und lautet: die Dichtung. Die Beschäftigung mit Poesie, mit dem humanistischen Erbe von Antike und Renaissance und insbesondere mit dem Werk Stefan Georges ermöglichte dem späteren spiritus rector des Castrum Peregrini, Wolfgang Frommel, und seinen zumeist jüdischen Freunden, die Zeit der Verfolgung psychisch zu überstehen.

Als im Sommer 1942 in den Niederlanden die Deportation der Juden begann, gelang es Frommel, der sich seit 1939 in Holland aufhielt, einige Freunde in seiner Amsterdamer Wohnung zu verstecken. Die größtenteils noch sehr jungen Leute, die in wechselnder Besetzung in dem Grachtenhaus unterkamen, ertrugen die Bedingungen ständiger Unsicherheit durch intensive gemeinsame Lektüre. Dadurch entwickelte sich ihre Notgemeinschaft bald zu einem festverschworenen Kreis, und es bildete sich im Kleinen etwas von dem, was George in seinem bekannten Gedicht als "Geheimes Deutschland" beschwört.

Wolfgang Frommel hatte bis dahin ein unruhiges und bewegtes Dichter- und Wandererleben geführt. Nachdem der 1902 geborene Sohn des Theologieprofessors und badischen Hofpredigers Otto Frommel als Student in Heidelberg die erste sozialistische Hochschulgruppe – unter dem Einfluß des späteren SPD-Politikers und Widerstandskämpfers Theo Haubach –, gegründet hatte, geriet er seit 1923 unter den Einfluß Stefan Georges, der sein weiteres Werk entscheidend prägte.

Von seinen sozialistischen Ideen abgekommen, behielt Frommel allerdings das Bündische und Reformpädagogische seiner frühen Bestrebungen bei und transformierte sie zu einer geistesaristokratischen Utopie. 1930 gründete er mit dem Typographen Edwin Landau den Verlag "Die Runde", in dem neben den Texten befreundeter Dichter wie Percy Gothein und Achim von Akerman vor allem Werke der abendländischen Tradition erschienen.

Frommels zwei Jahre später veröffentlichtes Buch "Der dritte Humanismus" ist die theoretische Darlegung seiner politischen und pädagogischen Ziele und stellt einen wichtigen Beitrag zur Konservativen Revolution dar. Er vertritt die These, daß der wissenschaftlichen Aneignung der Antike in Renaissance und Humanismus und ihrer dichterischen Wiederbelebung in der deutschen Klassik nun eine politische Rückbesinnung folgen müsse. Frommels "Dritter Humanismus" wurde viel beachtet: Während ihn etwa Siegfried Kracauer scharf kritisierte, hatte er in dem Orientalisten Carl HeinrichBecker, von 1925 bis 1930 preußischer Kultusminister, einen Förderer und Fürsprecher. Nach 1933 begab sich Frommel in entschiedene Opposition zum neuen Regime. Als Leiter der unter dem Titel "Vom Schicksal des deutschen Geistes" vom Südwestdeutschen Rundfunk und bald darauf vom Reichssender Berlin ausgestrahlten Mitternachtssendungen versuchten Frommel und seine Autoren – darunter Carlo Schmid und Max Kommerell – ihre Kritik am Nationalsozialismus unter möglichst subtiler Umgehung der Zensur an den Hörer zu bringen. Nachdem diese camouflierte Opposition schließlich unmöglich und auch "Der dritte Humanismus" verboten wurde, verließ Frommel 1937 Deutschland und gelangte nach mehreren Zwischenstationen nach Amsterdam, wo er unter anderem sein George-Buch "Templer und Rosenkreuz" verfaßte und nach Kriegsende Ernst Jüngers Schrift "Der Friede" herausgab.

Den eigentlichen Anlaß für die Gründung der Zeitschrift lieferte der Tod einer Freundin Frommels, die – nur wenige Wochen nach Ende des Krieges – beim Baden in der Nordsee ertrank. Man widmete ihr im Oktober 1945 ein Gedenkbuch, das den Titel "Castrum Peregrini" trug. Der Name, der auf deutsch "Pilgerburg" bedeutet, stammt von einer bei Haifa befindlichen Festung des Tempelordens, welcher zum Schutz der christlichen Pilger im Heiligen Land gegründet worden war. Nach dieser Festung hatten die Untergetauchten ihr Versteck benannt, und unter diesem Namen erscheint bis heute fünfmal jährlich und mit einem Gesamtumfang von rund 400 Seiten das Castrum-Peregrini-Heft.

Bekannte Autoren stehen in der Zeitschrift wie selbstverständlich neben Unbekannten: weder erhält der Leser den Eindruck, daß erstere hofiert, noch daß letztere bloß gefördert würden oder ein "Forum" erhalten sollen, wie es in sonstigen, entweder etablierten oder dem Nachwuchs dienenden Literaturzeitschriften der Fall ist. Die von Castrum gepflegte, weniger "aufarbeitende" als vielmehr erinnernde Behandlung der Vergangenheit hebt sich wohltuend von den üblichen Mahnungen, Schuld- und Gedenkritualen der selbsternannten Opferanwälte ab.

Gerade die aktuelle Ausgabe zeigt mit ihrer Mischung aus Poesie, Essay und autobiographischer Erinnerung, daß der "authentische geistige Charakrer", den Martin Buber der Zeitschrift bescheinigte, noch fortlebt und liefert einen Überblick über die wesentlichen Schwerpunkte des Periodikums: Der George-Kreis ist mit Beiträgen von Daniel Hoffmann über Karl Wolfkehl und von Bertram Schefold über Georges Konzept einer anderen Moderne vertreten; die Erinnerungen von P. O. Drescher an das "Abenteuer einer Freundschaft" im besetzten Frankreich entsprechen dem biographischen Interesse der Zeitschrift ebenso wie die "Stationen eines Weges" der Islamwissenschaftlerin Gisela Wendt, und die Lyrik wird unter anderem von Konstantin Kavafis und Mario Luzi repräsentiert.

Trotz dieser Fülle an Themen und literarischen Gattungen gibt es insgesamt doch eine Einheit im Verschiedenen: Irgendwo zwischen konkreter Freundschaft und abstrakter Dichtung ist sie zu suchen. baal müller

"Castrum Peregrini' erscheint bei der Castrum Peregrini Presse, Postbox 645, 1000 AP Amsterdam. Das Jahresabonnement kostet 89 DM; für Neuabonnenten und als Geschenkabonnement 60 DM.


 
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