© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Streit in der SPD: Bei den Landtagswahlen im Herbst droht die Quittung
Schmerzliche Reformen
Michael Wiesberg / Thorsten Thaler

Der Streit, der innerhalb der SPD um das Sparpaket, die Renten- und Steuerreform und soziale Gerechtigkeit geführt wird, ist weit mehr als nur ein innerparteilicher Zwist. Bei Lichte betrachtet kreist diese Auseinandersetzung um die Zukunft des deutschen Sozialstaates, der an die Grenzen seiner Finanzierbarkeit geraten ist. Die traditionalistische SPD-Linke will nicht wahrhaben, daß diese Entwicklung die logische Konsequenz eines jahrzehntelang genährten Anspruchdenkens ist, das alle Bonner Parteien in der Erwartung bedienten, entsprechende Wählerstimmen einfahren zu können.

Heute greift die Erkenntnis um sich, daß der Sozialstaat deutscher Prägung ständig steigende finanzielle Lasten verursacht, die eine immer weiter geöffnete Steuer- und Abgabenschere nach sich ziehen. Diese hat eine zunehmende Einengung des unternehmerischen Entscheidungsspielraums zur Folge. Aus staatlicher Sicht ist anzumerken, daß an die Stelle klarer ordnungspolitischer Konzepte das Diktat der leeren öffentlichen Kassen getreten ist, die mehr und mehr zum eigentlichen Steuerungsinstrument der Fiskalpolitik werden und damit den staatlichen Gestaltungsraum drastisch reduzieren.

Durch die Internationalisierung der Märkte, die einen erheblichen Druck auf das Übermaß der arbeitsmarktpolitischen Regulierungen und sozialen Standards in Deutschland ausüben, droht dem deutschen Sozialstaatsmodell das Aus, wird nicht bald die Notbremse gezogen. Wie dieser zu reformieren ist, damit auch in Zukunft noch von einem Sozialstaat die Rede sein kann, darum dreht sich im Kern der aktuelle Streit in der SPD.

Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland zeigt, daß das Bild weiter durch eine weitgehende Verweigerung der Konsequenzen des Anpassungsdruckes der Weltmärkte geprägt ist. Der durch diese Verweigerung verursachte Wegfall unterdurchschnittlich produktiver Arbeitsplätze erhöht zwar über Rationalisierungsmaßnahmen die gesamtwirtschaftliche Produktivität, heizt aber den beschäftigungspolitischen Teufelskreis weiter an. Höhere Sozialkosten müssen über immer höhere Lohnzusatzkosten finanziert werden, die auf Unternehmerseite den Zwang zu erhöhter Produktivität weiter forcieren. Eine erhöhte Produktivität aber führt zu höherer Arbeitslosigkeit, die ihrerseits wieder höhere Sozialkosten produziert. Dieser beschäftigungspolitische Teufelskreis kann nur durch eine grundsätzliche Neuakzentuierung des Sozialstaates durchbrochen werden, wie sie im sogenannten Schröder-Blair-Papier zumindest angesprochen wird.

Je länger die Konsequenzen der veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verweigert werden, desto schmerzlicher werden die Reformen ausfallen, die kommen werden und müssen. Daß diese Reformen vom Wähler, der jahrzehntelange Wahlgeschenke gewöhnt war, nicht goutiert werden, versteht sich von selbst. Die SPD wird daher bei den kommenden Landtagswahlen mit einer entsprechenden Quittung rechnen müssen. So droht den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten im Saarland und in Brandenburg, wo am 5. September neue Landesparlamente gewählt werden, der Verlust ihrer absoluten Mehrheit. Nicht von ungefähr versuchen sich Reinhard Klimmt und Manfred Stolpe seit einigen Wochen laustark gegen den Kurs Schröders zu profilieren. Der Kanzler scheint jedoch wild entschlossen, diese drohenden Niederlagen seiner Partei in den Ländern im gesamtstaatlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

Für die Landtagswahlen in Thüringen am 12. September und in Berlin am 10. Oktober sieht die Situation der SPD nicht viel besser aus. In beiden Bundesländern liegt die bislang in Großen Koalitionen mit der CDU als Juniorpartner mitregierende SPD in Meinungsumfragen weit abgeschlagen hinter der Union. Ganz zu schweigen von Sachsen, wo CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bei der Landtagswahl am 19. September seine absolute Mehrheit spielend verteidigen dürfte.

Die Quittung für die SPD dürfte also sehr schmerzlich ausfallen, weil sie es vor der Bundestagswahl des vergangenen Jahres versäumt hat, den Bundesbürgern reinen Wein einzuschenken. Diese Quittung könnte, je nach Schwere, zu einer Zerreißprobe für die Sozialdemokraten selbst und damit der Berliner Regierungskoalition führen.


 
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