© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Rechtschreibung: Die "Wetten dass?"-Reform
Ein Vandalenakt
Ulrich Schacht

Reformation, Reformismus, Reformhaus – wenn es um Religion, Politik oder Lebensvollzug geht, dann war und ist in Deutschland die Reform seit langem nicht zuletzt das, was in anderen Völkern und Staaten Revolution genannt wird: radikale Veränderung von Glauben, Gesinnung und Alltagsverhalten. So könnte man sagen, mit jenem Fünkchen Ironie und Skepsis, das den blutigen Ernst der beiden ersten Varianten nicht ausschließt, aber von der dritten Variante her den Schritt zur Reform-Groteske aus ideologischer Volltrunkenheit nicht mehr weit sein läßt. Womit wir zugleich in der unmittelbaren Gegenwart zwischen Rhein und Oder angekommen wären.

Die neueste Polit-Groteske, die sich im mittlerweile vollkommen "reformbesoffen" bundesrepublikanischen Deutschland (so der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis) Reform nennt, tatsächlich chaotisch ist und nicht zuletzt einen harten politischen Kern gefährlicher Natur in sich birgt, heißt Rechtschreibreform und ist am 1. August dieses Jahres endlich auch ins Stadium ihrer Verbindlichkeit für deutschsprachige Nachrichtenagenturen eingetreten, was vor allem Konsequenzen für die Printmedien hat.

Über die Qualität dieser Reform ist dabei inzwischen alles gesagt: Die Elite der deutschen Schriftsteller von Günter Grass und Siegfried Lenz über Ernst Jünger bis hin zu Martin Walser lehnte sie schlicht ab, die große Mehrheit des Souveräns sowieso. Und in einer Erklärung aus dem Sommer 1997, unterzeichnet von über 600 deutschen Sprach- und Literaturwissenschaftlern, heißt es: "Die sogenannte Rechtschreibreform entspricht nicht dem Stand sprachwissenschaftlicher Forschung. Eine derart fehlerhafte Regelung, die von den bedeutendsten Autoren und der großen Mehrheit der Bevölkerung mit guten Gründen abgelehnt wird und die Einheit der Schriftsprache auf Jahrzehnte zerstören würde, darf keinesfalls für Schulen und Behörden verbindlich gemacht werden."

Genau das aber wurde sie in den letzten zwei Jahren, und zwar vor allem auf Betreiben der Kulturministerialbürokratie sowie diverser Justizebenen bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Die Details dieses rücksichtslosen Durchsetzungsprozesses – gegen die Mehrheit des Souveräns, gegen Teile der Länder- und Bundeslegislative und gegen die sprachkünstlerische wie sprachwissenschaftliche Sachkompetenz der Republik – sind in der Tendenz so demokratiefern, daß man sich gezwungen sieht, von einem tendenziell verfassungsfeindlichen Vandalenakt zu sprechen. Oder wie sonst soll man im Zusammenhang praktizierte Versuche qualifizieren, Volksabstimmungen gegen den "unvergleichbaren Angriff auf das Sprachsystem" der Deutschen (Ex-Rechtschreibkommissions-Mitglied Peter Eisenberg) mit Hilfe von manipulativ gehandhabten Verfahrensregeln oder demagogisch getexteten Abstimmungszetteln ganz zu verhindern oder in ihren Ergebnissen zu marginalisieren?

Geschichten dieser Art ließ man sich bislang aus Afrika zutragen. Zu schweigen von den nachweislichen ideologischen Wurzeln der ganzen Übung, die nicht nur ein Spätprodukt jener Pädagogen-Generation ist, die 1968 auf der Straße Mao, Lenin und andere Spezialhumanisten hochleben ließ, um anschließend – in Amt und Würden – den von allem Wissen(-Müssen) und Können(-Sollen) befreiten, ideologisch dafür aber um so einfacher zu führenden Einheits-Dümmling in Serie produzieren zu können.

Noch tiefer müssen wir hier das Lot senken – und stoßen, so der Germanist und, neben Friedrich Denk, führende Rechtschreibreform-Gegner Theodor Ickler, erst im Sumpf der NS-Pädagogik auf Grund: Die Reform selbst sei "praktisch identisch mit der des Reichserziehungsministers Rust aus dem Jahre 1944". Aber das muß uns nicht wundern. Totalitär Gestimmte von links oder rechts unterscheiden sich zwar begründungsideologisch, nicht aber machttechnisch. Schon gar nicht, was das alte Ziel betrifft: der Neue Mensch!

Doch darf man diesen Zusammenhang überhaupt herstellen, wenn es lediglich um eine Rechtschreibreform geht? Man muß es. Keine Diktatur beginnt am Tag der Machtübernahme; alle beginnen mit dem Zerbrechen von Zivilcourage durch staatsgestützte Parteibürokratien lange zuvor. Wie weit wir sind, zeigt dieser 1. August 1999 paradigmatisch: Die legendäre vierte Gewalt der Republik, die Presse – von Bild bis Spiegel – hat ohne Not, aber dafür restlos kapituliert. Begründung: Weil alle, deshalb auch wir. Da stehen sie nun, die großen und kleinen "Sturmgeschütze der Demokratie" – mit von den eigenen Kanonieren vernagelten Rohren! Das klassische Mitläuferargument als Anleitung zur Unschädlichmachung des Kampfgeräts. Armes Deutschland!

Nur das Fernsehen war live ehrlich wie immer: Es jubelte aus etlichen Moderatorenmündern über die endlich erfolgte Sprach-Gleichschaltung auf das Niveau, das hier besonder tief gepflegt wird. "Wetten dass?", hieß es bei einem der Sender stolz, habe es ja schon immer so gehalten. Wetten, daß deshalb auch diese deutsche Reform ein totaler Erfolg werden wird?!

 

Ulrich Schacht war bis 1998 Chefreporter Kultur der "Welt am Sonntag". Heute lebt er als Schriftsteller in Schweden.


 
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