© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Interview: Günter Rohrmoser über Österreichs Parteienlandschaft und die political correctness
"System ist innerlich verkommen"
Andreas Mölzer

Herr Professor Rohrmoser, Sie sind über ein Referat bei einer Reformsitzung der Kärntner Volkspartei kurzfristig in die Brackwsser der österreichischen Innenpolitik geraten. Haben Sie sich gewundert, daß Sie sich auf Grund eines politikwissenschaftlichen Vortrages auf einmal auf den Seiten der Wiener Enthüllungsgazetten wiedergefunden haben?

Rohrmoser: Was die Charakterisierung Brackwasser der österreichischen Politik angeht, so fürchte ich, daß man das Phänomen, das Sie im Auge haben, nicht auf Österreich begrenzen darf. Das hätte in Deutschland genauso, vielleicht noch um einige Akzente fanatischer geschehen können, was da passiert ist. Aber ich muß sagen, die Reaktion hat mir doch sehr zu denken gegeben, weil sie doch mein durch Erfahrung geprüftes Gemüt und meine Vorstellungen noch erheblich überboten hat. Wenn wir uns einmal auf den Kern dieses Vorgangs besinnen, dann hat ja vor allem die Zeitschrift Profil eine wahre Meisterleistung vollbracht.Der Sache nach ging es darum, auf einen geschichtlich wohlvertrauten Vorgang hinzuweisen, da nämlich aus geringfügigen, quantitativ bedeutungslosen Anfängen, wenn der Ansatz richtig, die Erkenntnislage zutreffend und die Wahl der Mittel und der Methoden adäquat waren, sich aus solchen geringfügigen Anfängen Bedeutendes, ja manchmal Geschichte Veränderndes entwickelt hatte. Das war der Vergleichspunkt.

Ist es nicht so, daß diese sogenannte Enthüllung ein Triumph oder auch ein Veitstanz der political correctness ist, wobei allein schon die Namensnennung des Braunauers dazu genutzt wird, um etwas wie einen faschistoiden Diskussionsvorgang darzustellen?

Rohrmoser: Ich hatte ausdrücklich in diesem Zusammenhang gesagt, daß Hitler ein Idiot und ein Verbrecher gewesen ist, aber daß natürlich zur Erklärung des Vorganges, wie aus einem simplen Mitglied einer Partei nach 20 Jahren der Herr Europas geworden ist, diese Charakterisierung nicht ausreicht. Und da die Charakterisierung Hitlers als eines Idioten und Verbrechers von einer österreichischen Zeitung so interpretiert wird, als habe es sich um eine Art Verherrlichung gehandelt, und ich hätte auf ihn als Vorbild hingewiesen, ist in sich von solcher hysterischen Absurdität, daß damit auch das ganze Phänomen, das Sie mit der political correctness ansprechen, eigentlich selber damit ad absurdum geführt wird.Ich meine, das Phänomen PC bedeutet, wenn wir es so weiter exekutieren und auch noch mißbrauchen, um innerparteiliche Querelen oder Intrigen auszutragen, daß es dazu führen wird, daß unser Gesichtskreis so mit Tabuformeln und Verbotstafeln umstellt ist, daß man sich öffentlich überhaupt nicht mehr äußern darf. Das wird, wie Kant ja bereits richtig vorausgesehen hat, zur Abschaffung des Denkens selber führen. Denn Kant hat gesagt, zum Denken gehört die öffentliche Beteiligung und der öffentliche Austausch, und wenn der in einer Republik nicht mehr möglich ist, dann kann auch nicht mehr gedacht werden. Man kann selber nicht mehr denken, wenn die öffentliche Mitteilung, wie das in totalitären Staaten ja am perfektesten geschehen ist, untersagt und verboten ist. Das ist der ernsthafte Hintergrund des von Ihnen bezeichneten Vorgangs.

Nun ist es ja so, daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, da hier einerseits innerparteiliches Kleingeld in der Kärntner Volkspartei gewechselt wurde, andererseits aber von diesen politisch korrekten Medien Ihre Ausführungen in Hinblick auf den Kulturkampf, auf die Wertediskussion und auch in Hinblick auf das Sozialsystem, daß diese sehr konservativen Aussagen diskreditiert werden sollten durch die Verbindung mit dem Namen Hitlers.

Rohrmoser: Ihre Frage enthält folgende Elemente: Das eine ist, wenn eine Partei wie die Volkspartei, die inzwischen so viele Prozentpunkte bei den Wahlen verloren hat, daß sie auf die dritte Stelle zurückgesunken ist, wenn sich in einer solchen Partei ein Kreis von jungen Leuten entschließt, sich um die geistige Erneuerung dieser Partei auch von Grund auf zu bemühen, und ein solcher Versuch bereits in den Ansätzen in innerparteiliche Kämpfe, wenn man sie überhaupt so charakterisieren kann, hineingezogen und mißbraucht wird, demonstriert diese Partei vor der ganzen Öffentlichkeit, daß sie nicht erneuerungsfähig ist. Das zweite ist, da die Publizistik, von der man wohl annehmen kann, daß sie die Hintergründe durchschaut, nichts destoweniger versucht, auch aus solchen Vorgängen für den politischen Kulturkampf, der ja heute die westlichen Demokratien mehr oder weniger erfüllt, noch sensationelles Kapital zu schlagen, und darin eine willkommene Gelegenheit sieht, diese alte Masche zu erneuern, daß man zwischen sogenannten konservativen Gedanken und dem Hitlerismus einen Zusammenhang herzustellen versucht. Das zeigt eben, in welch einem Ausmaße diese politischen Systeme innerlich intellektuell verkommen und verroht sind, und man muß den Verdacht der mangelnden Erneuerungsfähigkeit der Parteien dann auf das System als Ganzes übertragen. Und diejenigen, die da auf den Zweigen sitzen und die Äste absägen, auf denen sie selber sitzen, wird an der Fortsetzung ihres destruktiven Tuns nichts hindern, weil die eigene Dummheit das schon verhindern wird.

Apropos Dummheit: Sie kennen die österreichische Parteienlandschaft ja sehr gut, als Referent bei Veranstaltungen, als Berater nicht nur der Volkspartei. Wie beurteilen Sie denn mit Blick auf das jetzige Geschehen die Entwicklung dieses Parteiensystems?

Rohrmoser: Das Parteiensystem in Österreich hat sich so entwickelt, wie man es bereits vor Jahren vorhersehen konnte. Punkt eins: Die SP ist mit dem Ende des sozialdemokratischen Zeitalters in die Lage geraten, auf welche Blair bisher die wirkungsvollste Antwort gefunden hat. Es stellt sich die Frage, ob Schröder in Deutschland eine solche finden wird. Die SP wird solange gehindert, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, solange ihr als Mehrheitsbeschaffer die Volkspartei zur Verfügung stehen wird. Und was die Volkspartei angeht, ist bereits vor 20 Jahren vorhersehbar gewesen, daß diese liebevolle eiserne Umklammerung durch eine doch so stark aus sozialistischen Traditionen genährte und gespeiste Partei auf die Dauer zu dem Schicksal führen wird, das die Democrazia Christiana in Italien ja bereits hinter sich hat. Wenn man damals geglaubt hat, daß eine aus dieser Entwicklung der Volkspartei resultierende Neugründung durch Jörg Haider, denn das war es ja der Sache nach, sich dann als der große Retter der Republik erweisen konnte, so konnte man damals noch Hoffnungen haben. Nämlich solange man sicher sein konnte, daß Haider von einer wirklich neuen geistigen Durchdringung einer neuen geschichtlichen Lage ausgehen und auch die intellektuelle Innovationsfähigkeit entwickeln würde, die auf die Dauer wenigstens davon abhalten würde, in den Geruch eines populistischen, pragmatischen Politikers zu geraten, der von den Schwächen der anderen Parteien zehrt und lebt. Das ist meine große Sorge, daß Jörg Haider womöglich sein Ziel erreichen kann, weil die anderen dafür sorgen, aber daß die großen Hoffnungen, die sich mit ihm und seiner Parteigründung verbunden haben, aus den genannten Gründen nicht in Erfüllung gehen.Ich habe grade ein Buch abgeschlossen, das Anfang Oktober unter dem Titel "Kampf um die Mitte – Moderner Konservativismus nach dem Scheitern der Ideologien" erscheinen wird. Vielleicht trägt es einiges dazu bei, diese Partei vor diesem Schicksal zu bewahren, daß ihr das Aus drohen könnte.

In Frankreich ist die Rechte zersplittert, in Deutschland liegt sie ohnmächtig und dazu noch zersplittert am Boden, den größten Erfolg bisher an sich von allen hatte Jörg Haider, sicher weil er das größte politische Talent ist, das die europäische Rechte bisher hervorgebracht hat. Aber Erfolg trübt manchmal die Sinne. Ob er also von sich selbst und von seiner Sache die Distanz hat, die Weber als die Voraussetzung zu einer verantwortungsvollen Politik gefordert hat, das wird sich erst nach einem noch größeren Erfolg zeigen.

 

Prof. Dr.GünterRohrmoser Jahrgang 1927, studierte Philosophie, Theologie und Nationalökonomie in Münster und Tübingen. 1955 promovierte er mit einer Arbeit über Shakespeare, 1961 folgte die Habilitation mit einer Arbeit über hegel. Ebenfalls ab 1961 war er Hochschullehrer an der Pädagogischen Hochschule in München und zusätzlich Honorprofessor an der Universität Köln. Seit 1976 ist er Ordinarius an der Universität Stuttgart Hohenheim für Sozialphilosophie und politische Philosophie.

Buchveröffentlichungen u.a.: Wandel des Bewußtseins (Stuttgart 1980); Krise der politischen Kultur (Mainz 1983); Religion und Politik in der Krise der Moderne (Graz/Wien/Köln 1989); Der Ernstfall (Berlin/Frankfurt am Main 1994); Christliche Dekadenz in unserer Zeit (1996); Geistiges Vakuum – Spätfolgen der Kulturrevolution (1997)


 
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