© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Zirkus Sarrasani: Nach knapp 100 Jahren nun die Pleite
Wildtierdressur am Ende
Volker Kempf

Am schönsten fand die sechsjährige Lotte bei ihrem letzten Zirkusbesuch die Nummer, bei der ein Pferd einen Clown von sich warf. Elias Canetti würde das sicher ganz ähnlich sehen: "Das schönste Standbild des Menschen wäre ein Pferd, wenn es ihn abgeworfen hätte."

Der Zirkus Sarrasani wurde noch in einer Zeit gegründet, als man die stolzen Reiterstandbilder zu schätzen wußte: Im April 1902 erfüllte sich der Glashüttenbesitzer Hans Stosch aus Posen mit der Gründung eines Wanderzirkusses einen lange gehegten Traum. Unter dem exotischen Namen "Sarrasani" begeisterte er als Dompteur von Eseln, Schweinen, Gänsen und Bären das Publikum.

Gerade der Bär war als Zirkustier besonders "geeignet": Er war imposant, bekannt aus Märchen und Mythen, galt als gefährlich, und da er sich auf zwei Beine stellen ließ und dabei zu laufen vermochte, konnte er vortrefflich vermenschlicht werden. Ihn zu zähmen und als drolligen Tanzbären vorzuführen brachte die Macht des Menschen über die wilde Kreatur besonders klar zum Ausdruck und verbannte den Respekt vor der Natur in die Vergangenheit.

Dieser Tradition blieb der Zirkus Sarrasani bei allen Änderungen hin zu mehr Varieté, Illusionsshow und Las-Vegas-Atmosphäre á la David Copperfield immer treu. Bis zuletzt sollte eine Show mit Tigern das Publikum entzücken. Um so entzückter sind jetzt die Tierschützer, daß Sarrasani pleite ist.

Ob die Zuschauer allerdings aus Tierliebe ausblieben oder weil ihnen das Fernsehen aufwendigere Shows darzubieten vermag, wie André Sarrasani, Urenkel des Zirkusgründers, annimmt, ist indes eine andere Frage. Recht groß ist schließlich die Naivität des Publikums angesichts der vorgegaugelten Glitzerwelt auf der Manege. Als besonders amüsant werden nach wie vor Tiere empfunden, die in lächerliche Situationen gezwängt und respektlos in Röcke gesteckt werden sowie alberne Hüte aufgesetzt bekommen. Daß gerade Wildkatzen oft unter Psychopharmaka stehen, nimmt der Zuschauer – befangen von Illusionen – kaum wahr. So entgeht ihm denn auch, daß der Zirkus im Prinzip nur ein Zoo auf engstem Raum ist, der einen Teil seiner Tiere dazu abrichtet, etwas zu tun, was sie freiwillig nie tun würden.

Nicht selten leistet die Lokalpresse mit ihrer oft unkritischen Berichterstattung einem verzerrten Bild von der Wirklichkeit Vorschub. Im flapsigen Ton heißt es dort meist, wie lustig die Elefanten-, Pferde- und Raubtiernummern waren, nach dem Motto: Wir hatten unseren Spaß – die Tiere auch! Daß beispielsweise Elefanten die meiste Zeit an der Kette verbringen müssen und dies ebensowenig mögen wie einen Handstand vorzuführen, liest man hingegen nicht.

Würde man die an den Zirkustieren angewandten Dressur-Methoden an Menschen anwenden, würde der Betreffende sofort festgenommen werden. So geschehen mit einem Dompteur in Israel. Dessen Familienmitglieder mußten im Gleichschritt marschieren. Dabei habe er, so die Polizei, Frau und Kinder geschlagen und "Tier-Dressur-Methoden" angewandt – d. h. Peitschenknall, Schreckschüsse und Nahrungsentzug.

Wenn einem Zirkusgast der Anblick eines Tieres weh tut, so muß nicht unbedingt seine Wahrnehmung falsch sein. Krokodilstränen werden dem Aus des traditionsreichen Zirkus am allerwenigsten die Tiere nachweinen. Sarrasani droht unterdessen an, seine Kunststückchen künftig auf Galaveranstaltungen zu präsentieren. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, insofern seine Wildkatzen und anderen Tiere davon verschont bleiben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen