© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Mazedonien: Traditionsreiche Festspiele in Ohrid
Internationale Präsenz
Gerd Sauer

Wenn Mazedonien im Sommer auf den Beinen ist, dann meist auf dem Weg nach Ohrid. Nach wie vor ist es für die Bürger der kleinen ex-jugoslawischen Republik schwer, ins westliche Europa zu kommen. Da bleibt man im Lande und fährt in den schönen Küstenort, der an Geschichte, Kultur und Nachtleben viel zu bieten hat. Für den Kunsttouristen ist der preiswerte Besuch von Konzerten, Dramen und Opern jedes Jahr garantiert. Schon im 39. Jahr werden die Festspiele hier gefeiert, wo ein gutes Hotelzimmer fünfzig und die teuerste Eintrittskarte zehn Mark kostet.

Eine Traditionspflege der klassischen Musik setzte in Mazedonien erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein, und Anfang der sechziger Jahr haben sich einige Künstler versucht, mit ihrer Arbeit an die großen Vorbilder Salzburg oder Edinburgh anzuknüpfen. In der restaurierten Kirche St. Sophia, die eine der reichsten Ikonenausstattungen mittelalterlicher Kirche besitzt, wurden anfangs lediglich kleine Konzerte gegeben. Bald stiegen die Stadt und später auch die mazedonische Teilrepublik als Sponsoren ein, und seit 1980 haben Theater und Oper gleichermaßen Hausrecht in und auf dem Vorplatz der Kirche. Knapp sind die Gelder für die Kultur, gleichwohl wird in Mazedonien besonders das Sprechtheater gepflegt.

Kulturminister Unkovski war über lange Jahre Starregisseur an zahlreichen Bühnen Osteuropas, kümmert sich vorzugsweise ums Drama. Das wird in der Haupstadt Skopje finanziell so weit wie möglich unterstützt. Für die jungen Pianisten des Landes ist an der Akademie auch gut gesorgt. Die Oper hat da schon mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen. Und das nicht nur, weil kürzlich die Bühneneinrichtung eingestürzt ist. Jeder muß wieder aufgebaut werden, aber viele Opern werden ohnehin nicht gegeben. Seit Jahren gab es keine Premiere mehr, viele Orchestermusiker wandern in den Westen ab, und für die Hauptpartien müssen nicht selten Gäste aus Bulgarien oder Jugoslawien herangeschafft werden.

Dennoch ist das Opernhaus nach Meinung von Snezana Cadikovska, musikalische Leiterin des Ohrid-Sommers, nicht besonders gerne zu Gast in Ohrid. Zu ungünstig sind die Bühnenverhältnisse auf dem Kirchplatz. In diesem Jahr war es Verdis Troubadour, den das Opernhaus von Skopje dort präsentierte.

Eine Festspielhalle soll in Ohrid in fünf Jahren errichtet sein, schon jetzt legt man auf Internationalität großen Wert. Frau Cadikovska: "Die Gelder für den Ohrid-Sommer fließen für unsere Verhältnisse durchaus reichlich. Wir haben die Möglichkeit, etwa einen Weltklasse-Pianisten wie den Russen Nikolaj Lugansky oder das Radiosymphonieorchester des ORF einzuladen. Sponsorengelder kommen uns dabei zupaß, aber auch für den Staat ist dieses Festival natürlich die beste Möglichkeit, Mazedonien gerade im Künstlerischen nach außen hin zu präsentieren."

Deshalb gibt sich das 2005 Jahre alte Ohrid, das seit sechs Jahren der Europäischen Festspiel-Vereinigung angehört, jedes Jahr die Ehre. Ohrid sah das kurzlebige mazedonische Zarentum. Fast tausend Jahre sind es her, daß Samuil den byzantischen Herrschern empfindliche Niederlagen einbrachte und in der kleinen Stadt residierte. Schon wenige Jahre nach seinem Tod ging die Selbstständigkeit des Reiches verloren, wenigstens zur Kirchengeschichte des Ostens konnte man danach noch Westliches beitragen. Aus der Ohrider Schriftschule von Kliment und Naum ging über mehrere Jahrhunderte theologische Literatur hervor, die die Entwicklung der orthodoxen Kirche nachhaltig beeinflußte. Seitdem ist zwar einige Zeit vergangen, aber dem jungen mazedonischen Staat, über Jahrhunderte von den Türken besetzt und erst Ende dieses Jahrhunderts wieder zu selbständigem Leben erweckt, reichen auch solch lange zurückliegende Ereignisse zur Legitimierung der nationalen Identität.

Von überall her winken die Sonnen-Fahnen, unter denen viele Bühnen und Musiker sich versammelt haben. Ein Strindberg aus Albanien, Koltes’ "Einsamkeit der Baumwollfelder" aus Slowenien oder die Rotterdamer Tanzakademie. Frau Cadikovska: "Gerade für unsere jungen Musiker, die oft nur noch im Ausland gute Möglichkeiten sehen, ist dieses Festival eine Möglichkeit der Selbstbetätigung. Nach all den schwierigen Jahren scheint unsere Zukunft gesichert. Nicht zuletzt durch zahlreiche Kooperationen mit anderen Festspielen in Europa stehen wir in Kontakt zur Kulturszene des Kontinents."


 
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