© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Kasino-Sozialismus
von Roland Baader

m Zuge der Globalisierung und weltweiten Deregulierung der Finanzmärkte rasen riesige Devisenmengen um den Globus. Der monetäre Sektor ist nicht mehr im Einklang mit dem Waren- und Leistungsaustausch-Sektor, sondern hat sich gefährlich verselbständigt. Es gehört zu den vielen Lügen über die Marktwirtschaft, daß diese Milliardenflutwelle spekulativen Geldes, zusammen mit den Hedge-Fonds und sonstigen Derivate-Blasen, die Folge eines "Turbo-" oder "Kasino-Kapitalismus" sei, dem die Politik also – so wird gefolgert – Einhalt gebieten müsse. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Zunächst einmal ist ein Kasino kein Sündenpfuhl. Wer spielen will, soll spielen, solange er es mit seinem eigenen und ehrlich erworbenen Geld tut. In Deutschland und den meisten anderen Ländern darf das Glücksspiel – von den Spielbanken über Lotto und Totto bis zu den Landeslotterien – nur vom Staat betrieben werden. Ein heuchlerisches Gehabe, den Privaten jede Art von Spielbetrieb als Lasterhöhle zu verbieten und selber das Milliardengeschäft als Monopol exzessiv zu betreiben.

Was die Finanzmärkte angeht, sollte man zunächst einmal festhalten, daß das reale Güter- und Leistungsvolumen der Welt jährlich um rund zwei bis drei Prozent wächst, die Menge des staatlichen Geldes jedoch um zehn bis fünfzehn Prozent. Das neu geschaffene Geld ist nur zum geringen Teil Kredit, der in reale und rentable Investitionen fließt, der Rest ist "heiße Luft". Bei einem Großteil dieser heißen Luft handelt es sich um die Gegenbuchung zur astronomischen Staatsverschuldung. Wenn also die Bürger ihre Ersparnisse in Staatsanleihen anlegen, dann sind das Guthaben, denen kein realer Wert mehr gegenübersteht; und zwar weil der Staat das geliehene Geld nicht wie ein Unternehmer in rentable Investitionen gesteckt hat, aus deren Erträgen er die Schuld zurückzahlen könnte, sondern in Rentenzahlungen, Pensionen, Politikergehälter, Wohlfahrtsprogramme, Entwicklungshilfe etc. etc. – also in den Konsumsektor, aus dem nichts mehr zurückfließen kann. Und auch derjenige (kleine) Teil der jährlichen Neuverschuldung, der in staatliche Investitionen fließt, ist mit Gewißheit verloren, weil Bürokraten eben keine Unternehmer sind und somit auch nicht wirtschaften können (und auch nicht müssen).

Man schaue sich nur die Deutsche Bundesbahn als staatliches "Investi-tionsprojekt" an. Wenn ein privater Unternehmer ein solches Monopol gehabt hätte, so wäre sein Unternehmen gewiß zum reichsten Konzern Europas geworden. In staatlicher Hand aber wurde die Bahn zu einem der größten Schuldenbuckel der Weltgeschichte.

Wohin also sollen diese riesigen Geldberge fließen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder auf die Warenmärkte oder in die Finanzmärkte. Im ersten Fall entsteht eine Güterpreis-Inflation, im letzteren Fall eine sogenannte "asset inflation", das heißt eine Aufblähung der Immobilien-, Aktien- und Bonds-Preise. Daß sich dieses Geld auf der Suche nach den jeweils besten Renditen begibt, ist weder ökonomisch schädlich noch unmoralisch. Mit Kapitalismus haben riesige Geldmengen aber herzlich wenig zu tun, denn im Markt entsteht neues Geld nur als gesicherter Kredit, hinter dem der unerbitterliche Rückzahlungszwang mittels Zwangsvollstreckung und Konkursgericht steht. Alles übrige Geld, das nicht den laufenden Transaktionen an den Waren- und Dienstleistungsmärkten dient, nimmt im Kapitalismus die Form von Ersparnissen an, also von Geld, das aus erbrachter Leistung stammt und nicht konsumiert wird. Erst wenn der Staat als Mitspieler und Geldmonopolist auftritt, vergiftet er mit seinen Papiergeldmassen den Güter- und Leistungskreislauf des Kapitalismus und setzt ein fast unendliches Schuldenkarussel in Gang. Auch echte (mit Marktgeld versehene) Kapitalisten würden natürlich spekulieren, aber angesichts der Knappheit des gedeckten Kreditgeldes nur in einem sehr begrenzten Umfang, der weder ganze Bankensysteme noch ganze nationale Währungen oder gar das ganze Weltfinanzsystem gefährden könnte. Erst das staatliche Geldsystem samt seinen Geldzauber-Institutionen wie Notenbanken, Schatzämter, Internationaler Währungsfonds, Weltbank etc., türmt die Geld- und Devisenvolumina der Nationen und der ganzen Welt zu unvorstellbaren Flutwellen auf, die dann um den Globus rollen.

Wie das konkret abläuft, kann man seit zwei Jahrzehnten besonders gut am Beispiel Japan beobachten. Die astronomischen Konjunktur- und Konsumbelebungs-Programme der japanischen Regierung waren das Treibgas für die Asien Bubble, die früher oder später platzen mußte. In den neunziger Jahren hat der japanische Staat das größte Stimulierungsprogramm aller Zeiten aufgelegt. Das führte die Yen-Zinsen gegen Null. Der dadurch ausgelöste Liquiditätsschub hatte unvorstellbare Dimensionen und entsprach mit rund dreitausend Milliarden Mark in etwa dem Dreifachen aller bisherigen Finanzierungskosten aus der Wiedervereinigung Deutschlands. Wer sich zum Nulltarif verschulden und die geliehenen Gelder hochverzinslich anlegen kann, wäre dumm, wenn er es nicht in exzessivem Maße tun würde. Und die Japaner sind nun mal nicht dumm. Ein großer Teil dieser Liquidität wurde ins Ausland – und vor allem in die asiatischen Tigerländer und die US-Finanzmärkte gelenkt und hat dort überall zur Inflation der Vermögensanlagen (asset inflation) geführt. Derzeit (März 1999) steht ein neues Tausend-Milliarden-Stimmulierungs-Paket auf der Agenda der Kamikaze-Politiker Japans.

Im Prinzip ist Spekulation nichts schlechtes, auch nicht die Devisenspekulation großen Stils, denn sie fungiert wie eine Art Gesundheitspolizei gegen unsolide Politik – auch gegen schlechte Finanz- und Wirtschaftspolitik – und bringt nur morsche und unsolide errichtete Institutionen (inklusive Währungen) zum Einsturz. Aber was sich heute auf den Weltfinanzmärkten abspielt, hat das Ausmaß einer normalen Spekulation um Lichtjahr-Dimensionen verlassen. Es ist nur noch Wahnwitz. Aber das ist, wie gesagt, nicht Kapitalismus, sondern allenfalls "Staatskapitalismus" (das was Walter Eucken den "Wirtschaftsstaat" genannt hat), der als Sozialismus-Variante dem echten (privaten) Kapitalismus feindlich gegenübersteht. Politiker, die den "Kasino-Kapitalismus" beklagen, handeln wie ein Bauer, der seine fruchtbaren Äcker mit Unkrautsamen bewirft und dann jammert, wenn die Saat aufgeht. Und die politischen Weltklempner, die ständig nach Kontrollen der internationalen Finanzbewegungen rufen, verhalten sich wie Brandstifter, die empfehlen, alle Häuser abzureißen, damit sie selber sie nicht mehr in Brand stecken können.

Überlegen wir doch: Geld, echtes Geld, ist ein Synonym für Kredit und Schuld. Im Kapitalismus kann Geld nur durch ein Leistungsversprechen entstehen. Und hinter diesem Leistungsversprechen steht der unerbittliche Zwang zur Leistung (bei Risiko des Existenzverlustes, wenn nicht geleistet wird). Als "handliches" – in kleinen Einheiten austauschbares – Geldzeichen hat der Kapitalismus in den ersten hundert Jahren seiner Geschichte ein Material gewählt, das knapp – also nicht beliebig vermehrbar war, sowie fälschungssicher. Und dieses Geldzeichen war das Gold. Mit Gold aber hätten die Regierungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts weder Wohlfahrtsstaaten noch große Kriege führen können. Damit die Politik die Herrschaft über das gesamte Leben der Menschen antreten und die Bürger (in kapitalistischen Ländern nur teilweise, in sozialistischen Ländern aber vollständig) enteignen und in ihren Dienst stellen konnte, haben die Regierungen überall auf dem Globus die Goldwährung abgeschafft und staatliche Monopole zur Papiergeldausgabe geschaffen.

Das ist ein machtpolitischer Vorgang. Der Staat hat niemals eigenes Geld, denn er leistet entweder nichts oder er leistet schlechter als private Anbieter, so daß ihm niemand freiwillig etwas bezahlen würde. Deshalb erfindet er einen angeblich legalen Abgabezwang: die Steuern. Mit diesem Instrument können die Bürger teilenteignet oder teilversklavt werden. Es bleibt sich ja letztlich gleich, ob man jemandem die Hälfte seines Vermögens wegnimmt – oder die Hälfte des Ertrages, den das Vermögen abwirft. Und es bleibt sich im Endeffekt ebenso gleich, ob ein Bürger während der Hälfte eines jeden Jahres unendgeldlich Sklavenarbeit verrichten muß oder ob man ihm die Hälfte seines Jahreslohns über Steuern und Abgaben entzieht. Da jedoch diese Art der Enteignung oder Versklavung nicht unbegrenzt ausgedehnt werden kann, weil die Bürger sonst entweder revoltieren oder jede über die Sicherung des Existenzminimums hinausgehende Arbeit einstellen würden, müssen Staat und Politik einen Weg finden, wie sie die Menschen "friedlich", still und leise noch mehr ausbeuten, enteignen und versklaven können. Und das ideale Mittel hierzu ist das Papiergeld. Mit ihm läßt sich nicht nur Inflation (heimliche Enteignung) betreiben; es kann auch benutzt werden, um die verschiedensten Enteignungsarten zu verschleiern. Besonders gut funktioniert das bei der Staatsverschuldung – das heißt bei der Zwangsverschuldung (und somit auchZwangsenteignung) der heute und der künftig lebenden Bürger durch Geldzauberer in den Finanzministerien.

Damit der Betrug nicht allzusehr auffällt, dehnen Staat und Politik den Umfang ihrer "Leistungen" (Öffentliche Güter) unentwegt aus. Das sichert der politischen Kaste immer mehr und noch mehr Macht über das Volk – und kostet sie nichts, denn diese "Leistungen" des Staates müssen die Leistungsempfänger ja selbst bezahlen (plus einem stattlichen Aufschlag für die Einkommen und Pensionen der "Staatsdiener" natürlich). Der amerikanische Ökonom Murray N. Rothhard hat das auf den kurzen Nenner gebracht: "Geld ist das Lebensblut der Wirtschaft, es ist Mittler aller Geschäfte. Herrscht der Staat über das Geld, so hat er bereits einen wichtigen Kommandoposten zur Kontrolle über die Wirtschaft an sich gebracht und ein Sprungbrett zum vollständigen Sozialismus geschaffen."

Das ist der einfache Kern des ganzen politischen Spiels. Und die so entstehende "Liquidität" häufte sich im Laufe der Jahrzehnte zu Tausenden von Milliarden Dollar, Mark, Yen etc. und bläst den Kapitalismus unaufhörlich zu einem "Staatsfinanz-Kapitalismus"" auf. (Im Sozialismus könnte man eigentlich auf Geld verzichten, denn die Menschen sind dort ja ohnehin ganz enteignet und ganz versklavt. Entsprechend "wertlos" ist auch das Geld aller sozialistischen Staaten. Niemand würde dafür kapitalistisches [Teilenteignungs-] Geld hergeben; deshalb müssen alle sozialistischen Staaten Devisenzwangswirtschaft betreiben und einen Zwangs-Umtauschkurs festlegen.)

Kurz: Was als Milliardenflutwelle spekulativen Geldes um die Welt rast, ist überwiegend staatlich erzeugtes oder sozialistisches Geld. Der Kapitalismus muß damit leben, weil ihm die Alternative, zu seinem eigenen Geld (dem Gold) zurückzukehren, unter strengsten Strafen verwehrt wird. Aber mit Kapitalismus hat dieser Abertausend-Milliarden-Irrwitz nichts zu tun. Was am Kapitalismus "Kasino" ist, das ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer betrügerischen Staatslotterie. Leider finden die meisten "Kapitalisten" dieses Spiel ganz angenehm, weil sie seine Regeln zur eigenen Bereicherung nutzen können. Aber die Alternative zum Kasino- (=Staats-) Kapitalismus ist nicht weniger Kapitalismus, sondern mehr. Und das heißt unter anderem auch: Entweder Gold als Geld – oder Konkurrierendes Privatgeld, wie es der Nobelpreisträger und weltbekannte Ökonom Friedrich A. von Hayek vorgeschlagen hat.

Einer der wenigen Journalisten, die das alles durchschauen und auch den Mut haben, es auszusprechen, ist Bruno Bandulet. Die Großcrashs vom Stil der Asienkrise, schrieb er kürzlich, sind weder Folge des Kapitalismus noch der Globalisierung, sondern – überall und immer wieder – die Folge der Tatsache, daß "der Schwanz mit dem Hund wackelt", das heißt das Finanzkapital mit der realen Wirtschaft (statt umgekehrt). Und das wiederum, so Bandulet, ist nur durch das staatliche (sozialistische) Papiergeld möglich geworden, das beliebig vermehrbar – und über Kredite beliebig aufblasbar ist. Die gigantischen Finanzblasen, die an alle Ecken und Enden der Welt aufgepumpt wurden bzw. werden, waren und sind auch nicht Folge der Globalisierung, sondern der Tatsache, daß die Globalisierung von Giga-Strömen ungedeckten Geldes begleitet wird. Anders als beim kapitalistischen Geld, dem Gold, unter dessen Domäne die aus Fehlinvestitionen resultierenden Verluste beim Papiergeld vom privaten Anleger getragen werden müssen, können solche Verluste beim Papiergeld in nahezu beliebiger Größenordnung sozialisiert werden, das heißt via IWF und Konsorten, sowie über Notenbanken und Staatshilfen auf die Steuerzahler der Gegenwart und der Zukunft verlagert werden.

 

Roland Baader, Jahrgang 1940, studierte in Freiburg i. B. bei Friedrich A. von Hayek und in München Nationalökonomie und Soziologie. Von 1968 bis 1985 war er Industriemanager und Unternehmensleiter. Seit 1987 ist er freier Autor. Baader veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt "Die belogene Generation: politisch manipuliert statt zukunftsfähig informiert" (Resch, Gräfelfing 1999), auf dem der hier abgedruckte Text basiert.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen