© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Bundeswehr: Oft bleibt der Leo monatelang im Schuppen
Mängel bei Ausbildung
Philip Bern / Karl-Peter Gerigk

Herr Bauer, was macht ein "Panzermann" heute in der Grundausbildung der Bundeswehr?

Bauer: Man verliert in der Grundausbildung sehr viel Zeit mit organisatorischen Fragen, wie zum Beispiel durch Arzttermine und Einkleidung. Der einzelne Soldat muß sehr viel warten. Diese Zeit wird überbrückt mit Formaldienst. Nach den ersten Wochen wird dann auch Gefechtsdienst angesetzt. Hierbei kann dann morgens um drei bis vier Uhr alarmmäßiges Wecken sein. Dann werden die Soldaten ins Feld verlegt. Dort im Gelände werden sie im Umgang mit der Waffe ausgebildet. Wenn die Soldaten nicht abends in die Kasernen zurückkehren, dann kampieren sie draußen. Solch ein Biwak mit eigener Sicherung, also Wachen, kann Tage bis Wochen dauern. Aber heute wird solche gefechtsmäßige Ausbildung eher weniger durchgeführt als früher. Es hängt aber natürlich davon ab, wer den Dienstplan bestimmt. Ist der Soldat in der Kaserne, zum Beispiel nach einer Schießübung, werden die Waffen gereinigt und wieder abgegeben. Dies bedeutet, daß solch ein Tag schon bis zu 20 Stunden dauern kann. Aber in der Regel ist der allgemeine Zapfenstreich einzuhalten. Wenn nach 23 Uhr nicht noch Ausbildung ist, wird geschlafen.

Bei einer Verkürzung des Wehrdienstes und weiteren Einsparungen, können da die Soldaten noch hinreichend gut ausgebildet werden?

Bauer: Hier müssen Sie unterscheiden zwischen Einheiten, die im Lande verbleiben, und solchen, die für Auslandseinsätze ausgebildet werden. Auch wird differenziert, in welcher Einheit Dienst getan wird. Doch wird nach meiner Ansicht vieles in der allgemeinen Grundausbildung vernachlässigt, auch die Ausbildung des Rekruten an der Waffe und im Gelände. Diese sollte nach zwei Monaten abgeschlossen und der Soldat hiernach zur Sicherung einsetzbar sein, zum Beispiel zum Objektschutz. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, und diesem Ziel kann wegen des organisatorischen Aufwandes grundsätzlich nicht ganz entsprochen werden. Die Grundausbildung kommt meiner Ansicht nach heute zu kurz.

Die Truppe spart bei Material, Personal und Ausstattung, wo sie kann. Welche Auswirkung hat das für den Dienst im Alltag und für die Einsatzfähigkeit?

Bauer: Auch hier muß man wieder zwischen den Kräften der Landesverteidigung und den Krisenreaktionskräften (KRK) unterscheiden. Die KRK bekommen den Hauptteil der Ersatzteile und Zuwendungen auch finanzieller Art. Hier ist die Lage also nicht ganz so katastrophal wie bei den Kräften für die Landesverteidigung. Ich habe schon erlebt, daß ein Panzer, der auch als stillgelegtes Fahrzeug laufende Kosten verursacht, wegen eines Ersatzteils, das 20 Mark kostet, acht Wochen stillgelegt wurde. Es konnte nicht beschafft werden. Dies ist mit der mangelhaften Nachschub- und Versorgungslage zu erklären, die sich wiederum aus der Finanzsitutation und den Prioritäten hier ergibt.

Wird also an den falschen Stellen gespart?

Bauer: Es wird nicht an den falschen Stellen gespart, wir dürften in diesem Bereich gar nicht sparen. Es geht um Sicherheit, und hier ist sicherlich nicht richtig gespart. Das einzige, was wir vor dem Hintergrund einer Sparnotwendigkeit machen können, ist die Konzentration auf die aktuelle Lage, also die Förderung der KRK. Hier liefert die Bundeswehr heute auch die besten Ergebnisse, überall dort, wo sie im Ausland eingesetzt wird.

Muß man dann nicht von einer Zwei- Klassen-Armee sprechen?

Bauer: Es gibt eine qualitative Zweiteilung. Aber anders könnte sie bei einer solchen Haushaltausstattung ihre Aufgaben wohl nicht realisieren. Wir müssen unsere internationale Verpflichtung erfüllen. Und so wie das heute aussieht, sind wir auch in zehn Jahren noch im Kosovo und sicherlich gleichzeitig bei dem nächsten oder übernächsten Auslandseinsatz. Darum brauchen wir neben den Einheiten für die übliche Wehrpflicht auch solche, die in der Lage sind, schnell und gut ausgestattet exterritorial zu agieren. Das ist kostspielig, aber erforderlich. Wenn wir jedoch weiter sagen, die Hauptaufgabe unserer Streitkräfte ist die Landesverteidigung, dann ist der momentane Kurs in der Personal- und Materialaustattung nicht nachzuvollziehen.

Wie ist hinsichtlich der zunehmenden Mittelverknappung die Stimmung unter den Soldaten?

Bauer: Im Ausbilderkreis sehen wir die Lage kritisch. Gerade für die KRK wird immer nach Personal gesucht. Es kann durchaus sein, daß jemand innerhalb von drei Tagen in das Kosovo kommandiert wird. Dann muß er zu seiner Einheit, wo eine zwei- bis dreimonatige Vorausbildung für sein Einsatzgebiet vorgenommen wird. Dies erfordert aber wieder weitere Kräfte, nämlich Ausbilder. Es kommt vor, daß ein Ausbilder von Hamburg nach Hammelburg in Süddeutschland abgezogen wird. Hier ist ein deutlicher Schwachpunkt erkennbar, denn es leidet die Ausbildung der Hauptverteidigungskräfte. Ganze Truppenübungsplätze werden zeitweise längerfristig für die Kosovo-Vorausbildung belegt. Hier ist die Ausbildung der Hauptverteidigungskräfte nur ganz schwer oder überhaupt nicht mehr möglich. Dies alles sind Dinge, die vielleicht noch nicht den Rekruten, aber den Wehrpflichtigen und sicherlich dem Ausbilder und Zeitsoldaten zum Nachdenken anregen und auch demotivierend wirken können.

Macht sich in der Truppe nicht auch unweigerlich Unmut und Unzufriedenheit bemerkbar?

Bauer: Der Unmut ist da, wenn die Probleme im Dienstalltag offensichtlich werden. Es werden Ausbildungsvorhaben ganz kurzfristig abgeblasen, weil es heißt, der Truppenübungsplatz ist nicht mehr frei. Dies bringt dann auch Unzufriedenheit im Ausbilderkreis. Wir müssen uns bemühen, dies nicht an die Rekruten weiterzugeben. Wir versuchen auch dann, die Soldaten eher für den Dienst zu motivieren. Aber versuchen Sie das mal, wenn der Soldat sieht, daß ein Panzer wegen eines Ersatzteil im Wert von 20 Mark zwei Monate nicht einsatzfähig ist.

Wie motivieren Sie den Soldaten bei solchen Schwierigkeiten?

Bauer: Den Sinn der Streitkräfte zu vermitteln, ist hier eher leichter. Diejenigen, die Streitkräfte als unnötig betrachten, haben sowieso verweigert. Denjenigen, die bei der Truppe sind, reicht oft der Verweis auf die deutsche Geschichte, auch der letzten 50 Jahre, um die Notwendigkeit der Verteidigungsfähigkeit einzusehen, damit niemand erst auf die Idee kommt, unser Land anzugreifen. Das andere Problem ist die Motivation, wenn den Soldaten bewußt wird, daß die Mittel zur Ausbildung fehlen. Hier können wir nur zugeben, daß wir keine anderen Möglichkeiten haben, und unser Bestes tun.

Ist die Bundeswehr zur Landesverteidigung einsatzfähig, oder ist die Fähigkeit Deutschlands zur Verteidigung eingeschränkt?

Bauer: Wir können heute davon ausgehen, daß wir eine politische Vorwarnzeit von sechs bis zwölf Monaten hätten, bevor es zu einem Angriff auf Deutschland käme. Aus dieser Perspektive heraus sind wir sicherlich nicht gefährdet. Aber dies bedeutet nicht, daß die Lage gut ist. Die Truppenteile, die gutes Material und gute Ausbildung haben, sind vorwiegend im Ausland gebunden. Die Kräfte, die für die Landesverteidigung zuständig sind, werden bei weitem nicht so gut ausgebildet wie die KRK. Die Truppen der Landesverteidigung haben veraltetes Gerät und Mängel bei Nachschub und Personal und könnten bei einem Angriff die Verteidigung Deutschlands nicht sicherstellen.

Wäre die Umstrukturierung in eine Berufsarmee eine Möglichkeit, Mittel und Menschen besser einzusetzen?

Bauer: Ich bin ein klarer Befürworter der Wehrpflicht. Stellen Sie sich den Verteidigungsfall vor. Wie sollen wir bei einer Berufsarmee hinreichend schnell genügend Soldaten mobilisieren? Im Moment sind wir in der Lage, mit der Reserve eine zahlenmäßig große Truppe zügig aufzustellen. Bei einer Berufsarmee haben Sie 280.000 Soldaten. Wie können wir hieraus eine Million machen?

Eine gut ausgestattete Berufsarmee wäre jedoch nicht zwingend billiger als eine Wehrpflichtarmee. Es gibt Experten, die behaupten, daß eine Berufsarmee mindestens genauso teuer ist. Eine weitere Frage ist, was ich dann für Soldaten in der Armee habe. In manchen europäischen Staaten werden die Soldaten auf den Bahnhöfen rekrutiert. Dementsprechend wäre das Niveau in Teilen der Truppe. Auch so mancher Rambo könnte in einer Berufsarmee sein Betätigungsfeld erblicken.

 

Arne Bauer, Oberfähnrich bei der Bundeswehr, wurde am 15. Juni 1978 in Bonn geboren. Die Gymnasialzeit im Internat  beendete er 1997 mit dem Abitur. Danach trat er als Offiziersanwärter in die Bundeswehr ein. Bis Anfang 1999 absolvierte er eine Ausbildung zum Gruppenführer, Panzerkommandanten und Panzerzugführer, von April bis Oktober 1999 besuchte er die Offiziersschule des Heeres. Seit dem 1. Februar dieses Jahres ist Arne Bauer Panzerzugführer in der 1. Panzerdivision.


 
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