© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Prostitution: Familienministerium will das "älteste Gewerbe" als Beruf anerkennen
Streit um "käufliche Damen"
Frank Philip / Gerhard Quast

Physische und psychische Zerstörung, Alkohol- und Drogensucht, Obdachlosigkeit und vielfach auch Gewalt von Freiern und Zuhältern gehören zum Alltag vieler Prostituierter. Diesen Zuständen im Rotlichtmilieu deutscher Städte möchte Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) ein Ende bereiten – oder sie zumindest erträglicher gestalten. Für Anfang nächsten Jahres plant die rot-grüne Koalition daher einen Gesetzesentwurf, wonach Prostitution nicht mehr als "sittenwidriges Gewerbe" gelten soll. Davon verspricht sich die Ministerin eine Verbesserung der sozialen Absicherung der Frauen. Bislang können diese sich nicht bei den gesetzlichen Krankenversicherungen anmelden. Nur über Umwege, beispielsweise durch die Verschleierung des tatsächlichen Gewerbes, oder bei bestimmten Privaten können sich Prostituierte versichern lassen. Eine weitere Konsequenz des neuen Gesetzes wäre die gerichtliche Einklagbarkeit der vereinbarten Honorare.

Auch die Straffreiheit für Zuhälterei wird geprüft

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat mit ihrer Ankündigung, Prostitution künftig als Beruf anzuerkennen, verständlicherweise sehr geteilte Reaktionen hervorgerufen. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz lehnt diese Einstufung kategorisch ab. Politiker der Grünen begrüßten den Vorstoß zur "Entdiskriminierung" der Prostitution. Vorstandssprecherin Antje Radcke betonte, es könne nicht sein, daß "Millionen von Männern" eine Dienstleistung in Anspruch nähmen, für die Frauen bestraft würden. Der CDU-Rechtsexperte Norbert Geis hielt dagegen, die Bevölkerung empfinde die Tätigkeit einer Prostituierten nach wie vor als gegen die guten Sitten verstoßend. Er sprach von einer "Mißhandlung unseres Rechtssystems", sollte die Prostitution in dieser Weise aufgewertet werden. Etwas deftiger reagierte der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch. Er warf der Regierung vor, "die eigene Klientel mit linken und feministischen Leib- und Magen-Themen zu befriedigen". Bergmanns Äußerungen seien ein verheerendes Signal an junge Frauen und ein Zeichen eines "maroden Wertesystems", ergänzte schließlich die CSU.

Rückendeckung bekam Bergmann von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die beteuerte: "Wir lehnen Prostitution ab. Christine Bergmann will aber damit Schluß machen mit der elenden Heuchelei, die Prostitution akzeptiert, dabei aber die Frauen verdammt und die Freier begünstigt, weil Dirnenlohn nicht eingeklagt werden kann."

Bereits im Januar 1998 hatten SPD und Grüne einen ähnlichen Gesetzestext vorgestellt. Dieser Vorschlag wurde von der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP zurückgewiesen.

Hinzugekommen sind nun jedoch Überlegungen, ob "die Förderung zu Prostitution", also Zuhälterei, in Zukunft straffrei bleiben könne. Derzeit prüft das Ministerium entsprechende Vorschläge. Diese Überlegungen können jedoch selbst liberale Unionsabgeordnete, wie der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöllner, oder der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Norbert Spinrath, nicht nachvollziehen. Der Staat müsse alles daransetzen, daß die "verbrecherische Zuhälterei in keiner Weise legalisiert, sondern intensiv bekämpft" werde, so Unionspolitiker Zöllner. Dem kann Spinrath nur beipflichten. Bei der beabsichtigten Neuregelung müsse klargestellt werden, daß Zuhälterei weiterhin strafbar sei.

Um die Dimensionen des Phänomens "Prostitution" abschätzen zu können, wären genaue Zahlenangaben hilfreich. Doch die Schätzungen schwanken erheblich zwischen 50.000 und 400.000 Frauen. Neben den "Hauptberuflichen" sind darin auch jene Frauen mitgezählt, die nur gelegentlich auf den Strich gehen. Feministische "Hurenorganisationen" geben in der Regel höhere Zahlen an, um so zu belegen, daß "jede Frau eine potentielle Hure" ist, ebenso wie natürlich jeder Mann ein potentieller Freier sei.

Auch deren Zahl wüßte man gerne. Nach komplizierten Berechnungen gelangten die Statistiker von der Zeitschrift Emma für die alten Bundesländer zu dem Ergebnis, jährlich hätten zwölf Millionen Männer Kontakt mit einer Prostituierten. Nach Meinung der Berliner Huren-Selbsthilfegruppe "Hydra" waren drei Viertel aller erwachsenen Männer in Deutschland schon einmal bei einer "käuflichen Dame". Der Umsatz des horizontalen Gewerbes liegt nach ihren Schätzungen bei elf Milliarden Mark, eine Summe, die der großer Industriekonzerne entspricht.

Prostituierte verklären "horizontales Gewerbe"

Ist es die Verlockung des "schnellen Geldes", die junge Frauen dazu bewegt, ihren Körper zu verkaufen? Hierzu "Hydra": In erster Linie gingen Huren – wie sie sich selbst bezeichnen – "anschaffen", um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. "In kaum einem anderen Beruf können Frauen in unserer Gesellschaft in kurzer Zeit so viel verdienen, ohne Voraussetzungen wie Zeugnisse oder Berufsabschlüsse mitbringen zu müssen." Schließlich geraten die selbstbewußten Huren ins Schwärmen: "Der Reiz des Rotlichtmilieus, die Tabuverletzung und der Verstoß gegen die Moral, die Lust an der eigenen und die Neugier auf die Sexualität der anderen, die Vorstellung von Femme fatale und Wein, Weib und Gesang reizen sehr zum Einstieg."

Diese mit "Lust an der Prostitution" betitelte romantische Verklärung durch "Hydra" stimmt vor allem deshalb nachdenklich, weil die "erste autonome Hurenorganisation in Deutschland" (gegründet 1980) – ähnlich wie bis vor kurzem auch die Frankfurter Prostituiertenselbsthilfe "Huren wehren sich gemeinsam" (HWG) – durch Steuermittel finanziert wird. In den 80er Jahren erhielt "Hydra" Mittel für eine Beratungsstelle aus dem Selbsthilfetopf für Alternativprojekte des Berliner Senats. Im Zusammenhang mit der Zunahme der Immunschwäche Aids übernahmen schließlich die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und die Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen die finanzielle Unterstützung der Berliner Hurenorganisation.

Gänzlich ungeniert und frei reden die Damen des "horizontalen Gewerbes" auf ihren Internet-Seiten über ihren "Beruf": Hier findet man, daß Prostitution "ein attraktiver Job" sei. Durch gesellschaftliche Veränderungen in den letzten Jahren sei er jedoch nicht leichter geworden. Um so wichtiger sei es, "der rücksichtslosen Benachteiligung von Prostituierten im Sozial- und Versicherungsrecht und der Kriminalisierung durch das Strafrecht" (etwa durch Sperrgebietsverordnungen) zu beenden.

Ob die von Bergmann vorgeschlagene Aufwertung der Prostitution dem kriminellen Milieu den Boden entziehen und das Elend von Drogen-, Straßen- und Kinderstrich verringern kann, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Sicher ist, daß die Anerkennung als Berufszweig eine gewisse finanzielle Absicherung und damit eine Linderung der Leiden für die Prostituierten bringen würde. Aber die moralischen und sittlichen Dämme würden durch die Bewertung der Prostitution als "ganz normaler Beruf" weiter aufgeweicht. Eine weitere Erosion der Schamgrenze – in weiten Teilen der Bevölkerung durch die permanente und penetrante Berieselung mit pornographischen Bildern ohnehin kaum noch vorhanden – wäre die Folge.

"Weißes Kreuz": Verstoß gegen die Gebote Gottes

Trotzdem wird der Gesetzgeber wohl nicht umhinkommen, die gegenwärtige Rechtslage einer Reform zu unterziehen, wie sie selbst in christlichen Kreisen – trotz moralischer Bedenken –als längst überfällig angesehen wird. Als Beispiel für diesen Standpunkt mag die differenzierte Kritik des "Weißen Kreuzes" stehen. Pastor Karl-Heinz Espey, Generalsekretär des evangelischen Fachverbandes für Sexualethik und Seelsorge, unterstrich gegenüber der evangelischen Nachrichtenagentur idea, daß außereheliche Sexualbeziehungen zwar ein Verstoß gegen die Gebote Gottes seien. Mit dem Gesetzentwurf werde somit ein Verhalten legalisiert, das der jüdisch-christlichen Ethik völlig widerspreche. Dennoch sei ein gesetzlicher Rahmen für Prostitution besser als der gegenwärtige rechtsfreie Raum, der Prostituierte zum Freiwild für Freier und Zuhälter mache. Anstatt Prostituierte mit moralischen Zeigefingern zu verurteilen, sollten Christen mehr Beratungsstellen für ausstiegswillige Frauen einrichten, forderte Karl-Heinz Espey.

Daß solche Hilfestellung durchaus notwendig ist, machen Äußerungen der nordrhein-westfälischen Prostituiertenorganisation "Madonna" deutlich, wonach viele Frauen "früher oder später" an den Punkt kämen, "an dem sie über Ausstieg nachdenken". Ein solcher Ausstieg ist um so eher zu erreichen, je weniger Isolierung und Kriminalisierung stattfindet.


 
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