© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Pankraz,
Meister Daian und die Ferien im Schweigekloster

Ziemlich viele junge Leute machen sich in diesen Semesterferien wieder nach Japan oder sonstwohin nach Asien auf, um in sogenannten Schweigeklöstern "Zen" zu üben, was soviel heißt wie "Sich-in-sich-Versenken". Es ist ein merkwürdiger Weg auf dem Grat zwischen Religiösität und Leibesübung, Philosophie und Anti-Philosophie, Erkenntnissuche und bewußtem Sprechverzicht.

Gewiesen hat diesen Weg bekanntlich Gautama Siddartha, genannt "Buddha", der "Erleuchtete". Die Lehren des Gautama Siddartha sind an sich so schlicht und bündig, daß man sich fast scheut, sie unter dem Rubrum der Philosophie abzuhandeln oder gar unter dem Rubrum der Religion. Denn es gibt nichts zu glauben im Buddhismus. Am ehesten könnte man ihn als eine "Haltung" bezeichnen, als eine kulturelle Attitüde. Man könnte aber vielleicht auch sagen: Der Buddhismus ist die Anbetung des puren Nichts, die Überzeugung von der Vergeblichkeit und letztlichen Sinnlosigkeit allen menschlichen Tuns.

Es gibt in Buddhas Sicht keinen Gott, keinen Schöpfer, keine Schöpfung, kein beharrendes Sein, keine unsterbliche Seele. Am allerwenigsten gibt es das Ich, das sich vor dem Nichts üblicherweise so sehr fürchtet. Es ist geradezu lachhaft (und Buddha lacht darüber): Das Ich fürchtet sich vor dem Nichts, und dabei ist es nichtiger als Nichts, es faßt sich nicht, es hält sich nicht, es weiß nichts von sich – und dennoch fürchtet es sich vor dem Nichts!

Der Buddhismus nun ist angetreten, diese Furcht vor dem Nichts, das "Dharma", zu überwinden. Viele Methoden gibt es dazu, viele verschiedene "Wagen". Einer der wichtigsten, besonders für theorieversessene junge Medienadepten, ist das Hineintreiben der sprachlichen Logik ins Paradox. Der Zen-Meister spricht in Paradoxen, um damit die Kompetenz der Sprache für Erkenntniszwecke zu dementieren, und zwar schneidend. Er hält sich nicht mit Diskussionen darüber auf, inwieweit ein Wort einen Sachverhalt adäquat ausdrückt oder auch nicht, ob man es also schärfen, die Sprache reinigen und logisch stringent machen müsse. Sondern er leugnet die Erkenntnisfähigkeit der Sprache insgesamt.

Sprache ist dem Zen-Meister kein Erkenntnisinstrument, sondern ein Angst-mache-Instrument. Und einen Großteil seiner philosophischen Energie, etwa die Hälfte, verwendet er darauf, die prinzipielle Dummheit der Sprache aufzuweisen, zu zeigen, wie sie sich unaufhaltsam in Paradoxe verstrickt.

Die andere Hälfte der zen-buddhistischen Denkenergien gilt der Herstellung von transsprachlichen Erkenntniszuständen, vor allem einer Erkenntniskultur des beredten Schweigens, des schweigenden Zusammenseins, des stummen Zeigens und Verweisens. Jenseits der Worte wird ein feines, fein abgestuftes Arsenal von sparsamen Gesten und Haltungen und Ortszubereitungen und exakten Zeitabpassungen angestrebt, welches höchste Erkenntnis stiften soll und welches wortlos, einfach durch vorbildhafte Präsenz, von Meister zu Meister durch die Zeiten weitergegeben wird.

Schöne Anekdoten sind da unterwegs, etwa von den Meistern Daian und Sozan. Daian hatte einmal beiläufig und vielleicht ein bißchen unvorsichtig den Ausspruch getan: "Sein und Nichts – die verhalten sich zueinander wie Baumstamm und ihn umschlingende Schlingpflanze." Sozan, der davon gehört hatte, machte sich auf die weite Reise zu Daian, um diesem die Frage vorzulegen: "Wenn der Baumstamm aber nun gefällt wird, was geschieht dann mit der Schlingpflanze?" Als er schließlich bei Daian ankam und seine Frage stellte, war der gerade damit beschäftigt, eine neue Lehmwand in sein Haus einzuziehen. Er hörte sich Sozan an, lachte, warf die Schubkarre mit dem Lehm weg und ging davon.

Sozan war zunächst enttäuscht, aber allmählich ging ihm ein Licht auf. "Solange dein Geist angefüllt ist mit Ideen wie Sein oder Nichtsein", so erkannte er, "mit Bedingtem und Unbedingtem, Geburt und Tod, Ursache und Wirkung, solange bist du befangen in Worten und Begriffen und noch fern der Erkenntnis. Erst wenn du nicht mehr zu den Zuschauern, Kritikern, Ideenschwärmern, Wortemachern und Logikern gehörst, sondern dich in den Umgang und in das tätige Zusammensein mit den anderen hineinbegibst, wirst du die Erkenntnis erahnen, die jenseits aller Worte liegt."

Also, der Zen-Buddhismus ist keineswegs so esoterisch, wie es die bekannten Bilder von den ewig meditierenden orangefarbenen Mönchen vorgaukeln mögen. In Wirklichkeit ist er eine überaus praktische Richtung. Indem die Zen-Buddhisten die Sprache resolut von der Erkenntnis abkoppeln, wächst ihnen eine unerhörte Hochschätzung werktätiger, von überflüssigem Geschwätz befreiter Praxis zu, spontan lebensweltlicher Praxis zunächst, doch dann auch sozialpolitischer und kultureller. Vorerst aber wird alles bedeutsam, was wir im Alltag des Lebens spontan tun und lassen. "Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen – das ist die heilige Lehre", lautet eine wichtige zen-buddhistische Devise.

Die meditierenden Exerzitien im Schweigekloster sind dennoch nötig, weil wir im gewohnten Umgang mit dem Lebensalltag die Erkenntnishaltigkeit der gewohnten Alltagsgesten leicht vergessen, weil der metaphysische Horizont der alltäglichen Lebenswelt im Meer des Alltags immer wieder zu versinken droht. In der Klostermeditation wird dieser Horizont gewissermaßen wieder heraufgezogen, wir werden wieder daran erinnert, daß nichts selbstverständlich ist im Leben, daß jede Minute in ihm kostbar und erkenntnishaltig ist.

Schwerlich wird man als westlicher Erzieher etwas gegen ein paar Ferienwochen mitteleuropäischer Azubis in asiatischen Schweigeklöstern haben. Sie verlernen dort nicht nur die Angst vor dem Nichts, sie wappnen sich im günstigsten Fall sogar erfolgreich gegen die Zumutungen moderner Schwatzkultur.


 
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