© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Regierungssitz
von Hans-Peter Rissmann

Durch den Hintereingang eilt Kanzler Schröder ins ehemalige DDR-Staatsratsgebäude, seinem derzeitigen provisorischen Amtssitz in Berlin. Anschneiden einer Marzipantorte im Innenhof mit dem Regierenden Bürgermeister Diepgen, das ist die einzige Geste, die vom geschichtsträchtigen Antritt der Bundesregierung an ihrem neuen Sitz zeugt. Lässig grinsend eilt der Kanzler an den bunten Scheiben mit realsozialistischen Motiven vorbei an seinen Schreibtisch. "Jetzt wird gearbeitet und nicht lange gefackelt", lautet die zackige Botschaft dieser Bilder. Schröder möchte den Eindruck unterlaufen, die "Berliner Republik" habe mit Pomp und Pathos zu tun. Nein, die vielbeschworene Bonner Bescheidenheit soll hier demonstrativ bemüht werden.

In Wirklichkeit versalzt die Trödelei beim Bau des Regierungsviertels dem Kanzler den gloriosen Start in der ihm sichtlich symapthischeren Hauptstadt an der Spree. Die Baustellen im Spreebogen beim Reichstag sind immer noch eine Kraterlandschaft, das kolossale Kanzleramt nur im Rohbau zu sehen. Doch Architektur ist formgewordene Politik – und so sieht der Regierungssitz aus wie die Politik des neuen Deutschland: Die Gerüste stehen, es wird viel Staub aufgewirbelt und Lärm gemacht, aber vom Ergebnis des Neuen ist noch nicht viel zu sehen.

Schon wird in den Berliner Medien geunkt, die neue Hauptstadt führe gar nicht dazu, daß die dem Bonner Raumschiff entwachsenen menschenscheuen Politiker dem Volke näher kommen. Um den Reichstag herum und in der Berliner Mitte entstehe ein inzestiöse Blase in der sich wiederum Politiker und Medienleute auf den Füßen stünden und die Problembezirke so weit entfernt blieben, wie die Ausläufer des Ruhrgebietes bei Bonn.

Nun ja, jedenfalls ist der ganze Umzug eine große Umstellung. Bonner Beamte beziehen noch für Generationen (15 Jahre) einen Mietzuschuß von fünf DM pro Quadratmeter. Fischer, Trittin und andere können nicht mehr am Rhein joggen, sondern müssen sich an der Panke und der Spree ihren Weg bahnen. Und allein die Taxifahrer: Von wegen multikulturelles Berlin! Hier sind die Droschken noch (im Gegensatz zu Bonn!) fest in der Hand der Alteingesessenen. Und mit ihrem unüberbietbaren Charme sagen sie dem Gast, was Sache ist. Unter anderem, wie wurscht den meisten Berlinern der ganze Rummel um die "Bonner Mischpoke" ist. Und: "Die sollen nur mal kommen!"

Nun kommen sie und außer ein paar Touristen steht niemand am Wegesrand, niemand schwingt Fähnchen wie auf dem Bonner Marktplatz. "War was?" Die Politik geht unter im Getriebe der Großstadt – das ist Berlin.


 
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