© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Landtagswahlen: Wahlanalytiker und Meinungsforscher Dieter Walz sieht die CDU vorn
"Auch die PDS wird zulegen"
Karl-Peter Gerigk

Herr Dr. Walz, die Bundesregierung verliert seit geraumer Zeit an Zustimmung bei den Wählern. Sie könnte zur Zeit, wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre, mit den Grünen keine Regierungsmehrheit mehr bilden. Bedeutet dies den Anfang vom Ende für Gerhard Schröder?

Walz: Die aktuelle Situation ist für die Bundesregierung natürlich kritisch. Dennoch kann man nicht erwarten, daß dieses momentane Stimmungsbild Gerhard Schröder von seinem Weg abbringt, gerade in der Ökonomie sparsam zu wirtschaften. Außerdem denke ich, daß dies eher ein Zwischenhoch für die CDU ist – die Zeiten für die Sozialdemokraten werden wieder besser, und die Umfragewerte werden sich sicherlich auch wieder verbessern. Es gibt oft nach einem großen Wahlsieg einen kleinen Einbruch.

Im Saarland gewinnt die CDU einiges an Boden. Könnte das Land von Reinhard Klimmt in die Hände der Schwarzen fallen?

Walz: Die Möglichkeit besteht. Allerdings ist es derzeit nicht sicher, ob die CDU die Mehrheit der Stimmen und Sitze erringen wird. Wenn sie die Regierung übernehmen wollte, wäre sie auf einen Koalitionspartner angewiesen. Die FDP wird jedoch kaum den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Es sieht hier auch eher nach einer rot-grünen Koalition im Saarland aus. Wenn jedoch beide kleinen Parteien den Sprung über die Fünf-Prozent Hürde nicht schaffen, dann wäre die Möglichkeit gegeben, daß die CDU mit knappem Vorsprung vor der SPD eine Mehrheit erzielt. In den nächsten zwei Wochen kann noch einiges geschehen.

Versucht sich Klimmt im Disput mit Schröder zu profilieren?

Walz: Das ist eindeutig. Er versucht sich bei seiner Wählerklientel weiterhin beliebt zu machen, indem er eine Politik für die kleinen Leute verspricht. Die SPD hat in der letzten Zeit einiges gutgemacht. Aber es hat nicht ausgereicht, um die CDU im Saarland zu überholen. Es gibt einen großen Anteil von noch nicht entschiedenen Wählern. Klimmt wird nichts unversucht lassen, sich bis zum Wahltag auch weiterhin auf Kosten der Bundes-SPD zu profilieren. Die SPD wird auf diese Weise wohl auch weiter zulegen.

Jörg Schönbohm wird in Brandenburg eine große Leistung bescheinigt, was die Partei anbelangt. Auch seine Bürgernähe wird in den Medien gelobt. Meinen Sie, es gibt einen Denkzettel für Manfred Stolpe?

Walz: Sicherlich kann die SPD in Brandenburg deutlich verlieren. Dies wird aber weniger auf Manfred Stolpe zurückzuführen sein, als auf die Einschätzung der Arbeit der Bundesregierung. Dies wird alle SPD-Verbände in den Bundesländern im Mitleidenschaft ziehen. Möglicherweise spielt auch die Regierungspolitik in Brandenburg eine Rolle. Aber ein Stimmenzuwachs für die CDU wäre das Verdienst von Jörg Schönbohm in erster Linie.

Ein Woche nach dem Saarland und nach Brandenburg wird in Sachsen gewählt. Hat hier die FDP mit Rainer Ortleb die Chance, in den Landtag zu kommen?

Walz: Auch wenn die FDP bei den Wahlen in Brandenburg und dem Saarland besser abschneidet, sind für sie die Chancen, in Sachsen in den Landtag zu kommen, gering. Die Situation für die FDP ist insgesamt recht kritisch – auch im Westen sieht es nicht besser aus.

Bei den Wahlen im Oktober in Berlin, hat die CDU die besten Chancen. Bleibt die Hauptstadt schwarz-rot?

Walz: Die CDU war in vielen neuen Ländern weit abgeschlagen und ist zum Teil nicht einmal in der Koalition. Aber in Berlin ist eine Regierung ohne die CDU kaum vorstellbar. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es zu einer Koalition zwischen CDU und FDP kommt, dies vor allem, weil die FDP den Einzug in das Abgeordnetenhaus nicht schafft. Die Koalition zwischen der SPD und der PDS ist ebenso unwahrscheinlich. Von daher ist wohl anzunehmen, daß in Berlin alles beim Alten, also bei einer Koalition zwischen der CDU und der SPD bleiben wird.

Folgt man Ihren Aussagen, erwarten Sie insgesamt für die CDU Zuwächse und für die SPD Wahl-Pleiten. Leitet dies einen Wechsel der Machtverhältnisse ein, im Bundesrat und später auch im Parlament?

Walz: Im Bundesrat kann sich wohl nur bei einem Sieg der CDU im Saarland etwas ändern. In Brandenburg, Sachsen, Thüringen und auch in Berlin wird wohl alles beim alten bleiben. Auswirkungen auf die nächsten Bundestagwahlen hat dies sicherlich kaum. Nächstes Jahr, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, gibt es dann wieder ganz andere Geschichten. Dann sind diese Landtagswahlen der Schnee von gestern.

Können Sie sich für den Bund nach den Entwicklungen durch die Landtagwahlen auch andere Konstellationen vorstellen? Zum Beispiel eine rot-gelbe Koalition oder eine Ampelkoalition?

Walz: Nein. Dazu sind die einzelnen Listenvereinigungen und die kleineren Parteien zu unerheblich. Der "Ampel" gebe ich kaum eine Chance. Eine sozialliberale Koalition wäre nicht ausgeschlossen, diese könnte auch rechnerisch durchaus eine Mehrheit ergeben. Wenn sich jedoch die "Fundis" bei den Grünen abspalten, wandert die Partei weiter in das neo-liberale Lager, das in vielen Bereichen, gerade in der Wirtschaftspolitik, gut mit Schröder zusammenarbeitet.

Die SPD gibt viele traditionelle Positionen preis. Öffnet sie damit nicht den Spalt für neue Wählerschichten für die PDS?

Walz: Es ist davon auszugehen, daß die PDS leicht zulegt. Diese profitiert natürlich von den Schwächen der SPD und davon, daß die SPD-Wähler nicht unmittelbar zur Union wechseln. Die Union holt eher die Leute aus der neuen Mitte ab. Die PDS wird dadurch zulegen können.

Könnte die PDS auf diese Weise das Zünglein an der Waage werden?

Walz: Mögliche Koalitionen der PDS sind zur Zeit nur mit der SPD denkbar. Die anderen Parteien sind entweder zu klein – oder sie wollen keine Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei. Es könnte allerdings rein rechnerisch in Berlin möglich werden, daß die PDS mit der SPD zusammenarbeitet, zum Beispiel in Schöneberg; das gleiche gilt für Mecklenburg Vorpommern. So gesehen, hat die PDS sicherlich eine gewisse Rolle und auch eine Perspektive.

Die Grünen betreiben die unpopuläre Ökösteuerreform und bezeichnen Steuerförderungen- und entlastungen für die Großindustrie als unsozial. Hat das keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis, wenn man den Leuten an die Börse will?

Walz: Dies ist sicherlich schwierig. Viele sind bereit, einer Reform zuzustimmen. Wenn sie jedoch dann selbst und materiell betroffen sind, wird dies schnell zu einem Lippenbekenntnis. Hier wird die Differenz zwischen Reformbereitschaft und der Unwilligkeit zu persönlichem Engagement offensichtlich. Dies ist natürlich nicht allen vermittelbar. Auch nur ein Teil der grünen Klientel ist in der Tat wirklich opferbereit. Natürlich ist dies auch ein schwieriges Problem, das vor dem Hintergrund der politischen Kommunikation zu sehen ist. Es ist nicht allein die Frage, welche Politik man betreibt, sondern wie man diese vermittelt und was beim Wähler ankommt und handlungsrelevant wird. So gesehen, werden die Grünen sicherlich Probleme bekommen.

Wächst auch wegen des liberalen Kurses der Grünen der Stimmenanteil der PDS?

Walz: Es gibt sicherlich bei den Grünen selber Personen, die durch die innerparteilichen Diskussionen abgeschreckt werden. Es könnte zu Übertritten von den Grünen zur PDS kommen. So kann es neben Verlusten bei der SPD auch zu Verlusten bei den Grünen kommt, neben einem möglichen Mitgliederrückgang. Aber diese Entwicklungen sind bundesweit noch nicht relevant.

Halten Sie es für möglich, daß sich das Elektorat in West und Ost annähert – also das Milieu für die letztliche Wahlentscheidung weniger wichtig wird?

Walz: Ja – sicherlich. Hier nähert sich eher der Westen dem Osten an. Im Westen hatten wir schon seit 50 Jahren die Gelegenheit, uns an die Parteien zu gewöhnen. Im Osten gab es vor zehn Jahren ja noch keine nachzuvollziehenden Parteibindungen. Darum ist dies auch heute eher schwach – und es gibt mehr Wechselwähler. Eine Tendenz, die bei zunehmender Elektoratsdiffenzierung auch für den Westen anzunehmen ist.

 

Dr. Dieter Walz studierte Sozialwissenschaften in Bamberg und Sewanee und promovierte an der Universität Stuttgart. Seit 1996 ist er Projektleiter im Bereich Politik- und Wahlforschung beim Emnid-Institut und gleichzeitig Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder sowie an der Universität Stuttgart.


 
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