© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Sparpaket: Finanzminister Eichel in Fürstenwalde auf Tour
Konzerne verpflichten
Victor V. Capè

Die Landtagswahlen stehen vor der Tür, und die Regierungsmannschaft macht Landpartie. Hans Eichel besucht Fürstenwalde, um sein Sparpaket zu erläutern. Der Saal im Bürgerhaus der 60.000 Einwohnerstadt ist nur zum Teil gefüllt, und nur zaghaft kommt etwas Applaus auf, als der Finanzminister den Raum betritt. Mit bei dem Auftritt ist auch der Kandidat für den Landtag des Wahlkreises von Fürstenwalde, Joachim Kolbe. Der gelernte Schlosser und Ingenieur erklärte, warum er sich für ein Amt im Landtag für geeignet hält und erläuterte die Notwendigkeit einer Kontinuität der Politik für das Land, das einen weiteren Erfolg der SPD benötige.

Hans Eichel betonte in seiner Rede, daß er die Lafontainsche Politik gar nicht geändert, sondern fortgesetzt und in vielen Bereichen bereits umgesetzt habe. Gerade für sozial Schwache werde viel getan. So ist am 1. Januar diesen Jahres die Wohngeldnovelle in Kraft getreten, die höhere Zuschüsse ermögliche. Ziel seiner Reform bei den Steuern sei vor allem aber die Verbesserung der Einkommen, um Kaufkraft zu steigern. "Bei den Steuerentlastungen, die in den nächsten Jahren bis 2002 30 Milliarden Mark ausmachen sollen, werden vor allem kleine Unternehmen und Familien entlastet", so Eichel. "Der Eingangssteuersatz wird von 25,9 Prozent auf 23,9 Prozent gesenkt und der Spitzensteuersatz sinkt von 53 auf 48,5 Prozent." Auch das Kindergeld sei um 30 Mark erhöht worden, wobei dies in der Tat jedoch eher eine leichte Verbesserung darstellt. Doch werde eine Familie mit durchschnittlich zwei Kindern um jeweils 3.000 Mark im Jahr entlastet. Für das nächste Jahr sei eine weitere Erhöhung geplant, erläuterte Eichel seine Vorstellungen und Vorhaben.

Dabei sei es auch ganz wichtig, daß die Unternehmen entlastet werden, und dies durch die Senkung der Lohnnebenkosten. Die Erhöhung der Benzinpreise um sechs Pfennige führe nicht nur zur der Möglichkeit der Finanzierung der Steuersenkungen, sondern auch dazu, daß der Verbrauch an Energie gedrosselt werde und der Umgang mit Rohstoffen sich weniger verschwenderisch, aber dafür ökonomisch und ökologisch sinnvoller vollziehe.

Auch die großen Unternehmen und Konzerne müßten weiter besteuert werden. Sie dürften sich nicht durch irgendwelche Gesellschaftskonstruktionen dem Steuerzugriff des Staates entziehen. So habe DaimlerChrysler bei einem Gewinn von über 30 Milliarden Mark in Deutschland nicht einen Pfennig Steuern gezahlt.

Dies liefe darauf hinaus, daß Gewinne durch das Volk in der Gesellschaft und im Staate Bundesrepublik Deutschland realisiert werden, jedoch lediglich einige Gruppen oder Staaten hiervon profitierten. Ein Konzern könne sich nicht der Verantwortung für das Gesellschaftssystem und für das Sozialsystem entziehen, da diese ja auch durch Ausbildung, Bereitstellung von Infrastruktur und Mittel der Politik erst notwendige Voraussetzungen für das Wirtschaften schaffen. Der Bürger dürfe nicht nur als Konsument betrachtet werden, ansonsten werde nur eine nach betriebswirtschaftlichen Interessen ausgerichtete Profitmaximierungpolitik in einem "globalen Markt" betreiben. Das gesamte Steuer- und Sparpaket sei unter der soziale Prämisse richtig einzuschätzen.

Auch die Rente könnte längerfristig nicht auf dieselbe Weise weiterfinanziert werden wie bisher. Dies sei sozial unausgewogen. Es sei augenblicklich erforderlich, die Renten an die Inflationsrate anzupassen, um die Kassen wieder zu füllen. Später sei eine Steigerung wieder möglich. Dies sei nicht nur ökonomisch vernünftig, sondern auch sozial gerecht, Gut- und Besserverdienenden an ihre eigenen Altersvorsorge stärker zu beteiligen und sie auf ein selbstverantwortliches Handeln zu verpflichten. "Die Menschen können, wenn sie können, schon früh für ihre Rente selber sparen", sagte Eichel.

Nicht zu sparen, bei einer Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 1,5 Billionen Mark, sei unsozial und fördere lediglich das Bankensystem und deren Einfluß, da 22 Prozent der Steuern heute schon zur Tilgung verwendet werden müßten.

Die Regierung könne nicht nur durch eigene Ausgaben Investitionsanreize geben, sondern müsse auch durch Nachfragestimmulierung für einen besseren Ausgleich sorgen.

Die Höhe der Mittel des Aufbau für den Osten sei hingegen gerechtfertigt und nicht nur sozial, sondern auch im Interesse der Gesellschaft. Im laufenden Haushaltsjahr seien bisher 6,5 Milliarden Mark für die neuenLänder ausgegeben worden. Weitere 800 Millionen seien für den Abbau der Jugendarbeitlosigkeit und weitere zehn Millarden Mark für weiter Wiederaufbaumaßnahmen verwendet worden. Die Investition für die Verkehrsinfrastruktur sei vor allem aus Brüssel gezahlt worden.

Es sei ein grundsätzlicher Fehler, daß der Aufbau Ost beim Mittelstand im wesentlichen über Kredite finanziert worden sei. Neben den Zuschüssen, die zum Teil in dunkeln Kanälen versickerten, war die Eigenkapitalbasis vieler kleine Firmen zu schwach. Die kleinen Unternehmer seien so in Abhängigkeit von Kreditanstalten geraten. Dies sei nicht in jedem Falle auch günstig für die Wirtschaft, denn andere würden sich hingegen des Steuerzugriffs des Staates durch Kapitalverschiebungen ins Ausland entziehen. Dieses Verhalten treffe die erforderliche mittelständische Struktur des Ostens und behindere ihren Aufbau.

Bei den Fragen der anwesenden Bürgern aus Fürstenwalde kamen vor allem die Sparmaßnahmen im Gesundheitbereich zu Sprache. "Ich bekomme nicht mal die wichtigsten Medikamente und weiß nicht, ob die billigen auch wirklich gut sind", sagte ein alter Mann erregt. Eichel wies darauf hin, daß nicht die Ausgabe durch einzelne Ärzte die Kosten im Gesundheitwesen so drastisch gesteigert hätten, sondern die kostspielige Apparatemedizin und die steigende Zahl an Ärzten. Aber vor allem erregte die Anwesenden, daß Manfred Stolpe in der Vergangenheit 100.000 Mark von Landesmittel für privaten Zwecke verwendet haben soll. Hans Eichel konnte dazu nichts sagen.


 
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