© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Kosovo: Wie die Kämpfer der UÇK zur bestimmenden Kraft wurden
Großalbanien heißt das Ziel
Michael Wiesberg

Am 3. August berichtete die Welt, daß im Kosovo täglich so viele Menschen umgebracht werden, "wie während des einjährigen Guerilla-Krieges vor dem Nato-Einsatz. Jeder Monat fordert 120 Todesopfer, meist Serben und "albanische Verräter"(meint: Albaner, die mit Serben "kollaboriert" haben). In jüngster Zeit sind auch die Kfor-Soldaten nicht mehr sicher vor gewalttätigen Übergriffen von UÇK-Anhängern, die der britische Kfor-Kommandant Mike Jackson dem Umstand zuschreibt, daß die UÇK angeblich "die Kontrolle über ihre radikalsten Mitglieder verloren" habe.

Diese Sichtweise kommt einer eklatanten Fehleinschätzung des Charakters der UÇK gleich, für die Mord von jeher zum Repertoire der "Befreiung des Kosovo" gehörte.Nicht einige Mitglieder der UÇK sind "radikal", sondern die UÇK selber.

Die Verbrechen der UÇK sind auch nicht (nur) Ausdruck sogenannter "Vergeltung" gegenüber den Serben, sondern Kalkül und zentraler Bestandteil der Politik der ethnischen Säuberung im Kosovo durch die UÇK. Vor diesem Hintergrund können die Übergriffe gegen Serben (wie zum Beispiel in Gracko) oder andere Nicht-Albaner im Kosovo nicht als vereinzelte Verbrechen bewertet werden, sondern als Ausfluß einer Ideologie, die nicht erst seit Ende des Kosovo-Krieges mehr und mehr zum Vorschein kommt, sondern den Charakter der UÇK seit ihrer Gründung bestimmt hat.

UÇK betreibt ethnische Säuberung im Kosovo

Daß die Ziele der UÇK insbesondere in Deutschland bis vor kurzem unbekannt blieben liegt daran, daß der Krieg der Gutmenschen der westlichen Wertegemeinschaft eben nur schwarze und weiße Pinselstriche verträgt. Belege dafür, welchen Charakter die UÇK hat, gab es bereits vor Ausbruch des Krieges im Kosovo genug. Dafür nur ein Beispiel: Am 10. April dieses Jahres berichtete Associated Press (AP), daß die UÇK durch systematische Folter und Morde Zivilisten, die der UÇK kritisch gegenüberstünden, eine ganz klare Botschaft übermittle: daß sie das Kosovo zu verlassen haben. Der Verfasser zählt in diesem Zusammenhang eine Reihe von Todeslagern der UÇK auf, so zum Beispiel in Klecka, Izbica, Lipovica, Glodjane und Junik. Traurige Bekanntheit erlangte der Befehlshaber des Todeslagers Klecka, der 22 Zivilisten foltern und ermorden ließ, um sie dann in einem Krematorium zu verbrennen. Unter den Toten waren mindestens zwei Kinder unter zehn Jahren.

Mit Todeslagern, Bombenanschlägen, Morden und regelrechten Hinrichtungen hat die UÇK die moderaten Stimmen unter den Kosovo-Albanern verstummen lassen. Diese spielen im Kosovo derweil keine Rolle mehr.

Im gleichen Maße, wie die moderaten Stimmen zurückgedrängt worden sind, betreibt die UÇK immer unverhohlener die "ethnische Säuberung" des Kosovo. Auch hierfür ein Beispiel: Am 19. November 1998 wurden Aida Zejnulahu und ihr Vater von Schergen der UÇK mit Maschinengewehren regelrecht hingerichtet. Das Vergehen von Aida Zejnulahu bestand darin, daß sie eine jugoslawische Schule besuchte. Die Vertreter der UÇK bestehen aber darauf, daß albanische Kinder ausschließlich albanische Schulen besuchen. Es gibt eine Reihe von Hinweisen, daß diese perfide Hinrichtung von dem UÇK-Befehlshaber Remi, einem früheren Studenten der Rechtswissenschaften, angeordnet wurde, der die nördliche Region des Kosovo kommandiert. Remi soll auch für die Bombenanschläge auf ein albanisches Restaurant in Pristina verantwortlich sein.

Ein besonderes Ziel der UÇK sind römisch-katholische Familien. Allein auf die Familie Keljmendi in Kacanik wurden sieben Überfälle verübt. Dabei bedient sich die UÇK jeder noch so teuflischen Methode. Am 15. Februar des Jahres, so berichtete Associated Press, wurde vor der Tür des Hauses der Familie eine Landmine vergraben. Als die Kinder Agim (12), Valdet (12) und Valdrin (6) zum Spielen gehen wollte, explodierte die Mine und die Kinder trugen furchtbare Wunden davon. Für diesen Anschlag soll der UÇK-Kommandeur Bardh, der die 162. UÇK-Brigade "Agim Bajrami" befehligt, verantwortlich zeichnen.Diesen zitierte Kosovapress am 4. März: "Wenn wir unsere Häuser verlassen, helfen wir nur den serbischen Barbaren, daß diese ihr Ziel erreichen. Wir sollten alles tun, daß dies nicht geschehen kann. Der Kosovo ist unser und wird unser bleiben. Unsere Waffen, unser entschiedener Kampf und unser Blut fließt für die Freiheit des gesamten Kosovo." Dieser Kampf macht auch vor wehrlosen Kindern nicht halt, deren Tod die UÇK für die "Freiheit" des Kosovo billigend in Kauf nimmt.

Wie die UÇK die Rolle der Nato sieht, darüber hat sie nie einen Zweifel gelassen. So berichtete Associated Press am 8. März dieses Jahres über einen besonders militanten Kommandeur der UÇK, der Hajredinaj genannt wird. Dieser wird wie folgt zitiert: "Wenn die Nato kommen wird, werden wir keine Befreiungsarmee mehr sein. Wir werden uns verändern und eine reguläre Armee werden." Und weiter: "Washington weiß, was wir wollen. Darüber haben wir von Anfang an keinen Zweifel gelassen."

Tatsache ist, daß die Nato-Okkupation des Kosovo die Tür für die UÇK ganz weit aufgestoßen und unter dem Vorzeichen der "Vergeltung" eine neue Stufe der Übergriffe auf Nicht-Albaner und albanischen Kollaborateure eingeleitet hat.

Bis heute wurde nicht hinreichend ausgeleuchtet, wie es der UÇK gelingen konnte, die bis Anfang 1998 militärisch keine Rolle spielte, zwischen dem Frühling und dem Sommer 1998 30.000 Guerillas zu rekrutieren und zu bewaffnen. Unter diesen waren bis Ende des Kosovo-Krieges an die 1.000 ausländische Söldner aus Albanien, Saudi-Arabien, Yemen, Afghanistan, Bosnien-Herzegovina und Kroatien, die zum Teil bereits in Bosnien-Herzegowina kämpften.

Ein Grund für das unerwartete Erstarken der UÇK dürfte in der albanischen Gesellschaft zu suchen sein. Aufgrund ihrer engen Familienbande und ihrer regional gewachsenen Verbindungen, in die Nicht-Albaner nicht eindringen können,vermochte die UÇK hinter dem Schild des gewaltfreien Widerstandes der Demokratischen Liga des Kosovo und ihres Führers, Ibrahim Rugova, die Zahl gewalttätiger Übergriffe auf Serben und "albanische Kollaborateure" immer weiter zu steigern. Diese Eskalationsstrategie verdrängte den von Rugova intendierten gewaltfreien Widerstand schließlich vollkommen.

Die UÇK-Aktivisten wandten sich zunächst an ehemalige politische Gefangene mit der Absicht, diese zum bewaffneten Widerstand zu bewegen. Viele dieser ehemaligen Gefangenen waren früher Studenten, die in den achtziger Jahren aufgrund ihres Einsatzes für eine Republik Kosovo innerhalb der Republik Jugoslawien ins Gefängnis kamen. Diese studentische Bewegung war zunächst von idealistischen Motiven bestimmt, wurde aber durch die drakonischen Maßnahmen der Regierung, durch die hohen Haftstrafen für die Aktivisten dieser Bewegung und aufgrund der Unmöglichkeit, nach Verbüßung der Gefängnisstrafe einen Beruf aufnehmen zu können, radikalisiert. Diese Studenten waren auch bereit, einen bewaffneten Kampf gegen die Serben zu führen.

Eine Kalaschnikow für 100 US-Dollar

Zu diesen stießen aber auch Lehrer, Doktoren, Mitglieder einflußreicher Familien und auch bekannte Kriminelle. Dazu kamen kosovo-albanische Armee- und Polizeioffziere, die aus dem Dienst entfernt worden waren. Letztere waren zunächst die einzigen, die über hinreichende militärische Kenntnisse verfügten.

Neben der Steuer, die die selbsternannte Regierung der "Republik Kosovo" auf drei Prozent des Einkommens der Exilanten in Deutschland, der Schweiz und Österreich erhob, wurden die Mittel, die die im Ausland arbeitenden Familienmitglieder für die Finanzierung des Kampfes der UÇK überwiesen, immer wichtiger. Daß diese Mittel auch aus Drogengeschäften, Prostitution und anderen Feldern der organisierten Kriminalität stammten, wurde vom Autor bereits an anderer Stelle (JF vom 4. Juni) dargestellt.

Eine wichtige Rolle bei der Eintreibung der Mittel für den bewaffneten Widerstand spielte der in der Schweiz eröffnete Fond "Ruf der Heimat" (Verndlindhja Therret), in dem gro·e Spendensummen floßen, zunächst aus Europa, dann auch aus den USA.Allein in New York weist die albanische Diaspora im Ausland ca. 200.000 Mitglieder auf. Diese augenscheinlich sehr finanzkräftige Diaspora hat bereits erhebliche Summen für den kommenden amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zur Verfügung gestellt. (Die Summen können im Internet unter www.tray.com/fecinfo/   abgerufen werden.)

Waffenkäufe wurden anfangs über alle möglichen Kanäle betrieben, paradoxerweise aber waren zunächst die Serben selber der Hauptlieferant. Als sich das Auseinanderbrechen des ehemaligen Jugoslawiens abzeichnete, befürchtete die serbische Regierung einen frühen Aufstand der Kosovo-Albaner und verteilte rund 75.000 Gewehre an die Serben im Kosovo.

Die waffenvernarrten Albaner versuchten sofort, an so viele Waffen wie möglich zu kommen, indem sie die Waffen ihren serbischen Nachbarn kazften. Diese verkauften ihre Waffen bereitwillig, weil sie auf die Stärke der jugoslawischen Armee setzten.

Eine weitere wichtige Quelle war das mehr oder weniger von Mafia-Clans beherrschte Albanien, in dem aufgrund des völligen Zusammenbruchs staatlicher Strukturen nach den Plünderungen vieler Militärdepots bis zu eine halbe Millionen Waffen auf den Markt geschwemmt wurden.

Der Preis für eine Kalaschnikow fiel im nördlichen Albanien unter 100 US-Dollar, die Hälfte des Preises, der im Kosovo für eine derartige Waffe gezahlt werden mußte. Allmählich bildeten sich regelrechte Nachschubwege von Albanien in das Kosovo aus. 200 Ponies und etwa 1.000 Mann sorgten nach Angaben des Hintergrundmagazins Jane’s Intelligence Review (4/99) dafür, daß der Strom der Waffen in das Kosovo nicht abriß.

Ausgebildet wurden die UÇK-Guerrillas nach Angaben der Federation of American Scientists (FAS) in Ljanbinot nahe Tirana, Tropoja, Kuks und in Bajram Kuri nahe der jugoslawisch-albanischen Grenze.

Mit dem Wachsen der UÇK ging eine steigende Unsicherheit seitens serbischen Polizeikräfte darüber einher, wie die Untergrundarmee wirksam zu bekämpfen sei. Mehr und mehr ging die UÇK dazu über, freie Territorien auszurufen und wichtige Straßen zu blockieren. Dennoch verfügte sie zu diesem Zeitpunkt keineswegs über eine zentrale Kommandostruktur. Jede Operationszone agierte für sich, zapfte isoliert entsprechende Fonds an und kaufte Waffen an.

Erst im Winter 97/98 bildete sich so etwas wie ein zentrale Kommandostruktur heraus. In dieser Phase wurden auch sieben Operationszonen (OZ) geschaffen. Zu den bereits sechs vorhandenen kam die OZ Nr. 7 hinzu, die entlang der südlichen Flanke verlief.

Seitdem werden alle Fäden von dem Generalstab der UÇK (ShP= Shtabi i Pergjithshem) gezogen, der aus 16 bekannten Mitgliedern besteht, allerdings 20 Mitglieder umfassen soll. Jedes Mitglied hat bestimmte Zuständigkeiten.

Den größten Einfluß hat allerdings die politische Führung, die von dem neuen Star der UÇK und Chef der kosovo-albanischen Verhandlungsführer in Rambouillet, Hashim Thaci, kommandiert wird. Als dessen stärkster Rivale wird allgemein Hxavit Haliti eingestuft, der einige Jahre als politischer Häftling in Haft war. Dieser wird allerdings bezichtigt, mit Serben kollaboriert zu haben. Haliti hat sehr enge Verbindungen zur albanischen Regierung und versucht, die Finanzierung der UÇK ganz unter seine Kontrolle zu bekommen.

Eine andere wichtige Figur ist Sylejman Selimi, genannt "Sultan", dessen Teilnahme an den Rambouillet-Verhandlungen dem Hardliner und ehemaligen Chefideologen der UÇK, Adem Demaci, zugeschrieben wird.

Demaci agitierte gegen jegliche Zugeständisse in Rambouillet, konnte sich aber nicht durchsetzen und hat daraufhin seine politische Arbeit (vorerst) eingestellt. Trotz des Versuches des Generalstabes, die Fäden in die Hand zu bekommen, ist dieser immer noch relativ schwach.

Vereinigung aller Albaner auf dem Balkan im Visier

Die Schwäche zeigt sich zum Beispiel gegenüber den Kommandeuren der OZs. Obwohl der ShP die Führung beansprucht, agieren die OZs immer noch in relativer Unabhängigkeit. Es gibt Kommandeure wie Drini und Remi, die keinen Wert darauf legen, daß sich dieser Zustand ändert. Sie bringen jedem Versuch, eine stärkere Gewalt seitens des ShP durchzusetzen, erheblichen Widerstand entgegen. Dennoch hatte die Reorganisation der UÇK im Winter 97/98 zur Folge, daß die sogenannte Befreiungsarmee heute die stärkste Kraft im Kosovo ist und die politische Szene eindeutig bestimmt. Daß für die UÇK ein unabhängiges Kosovo noch keineswegs das Ende der politischen Ziele ist, gab deren Sprecher Jakup Krasnicki im Juli 1998 unmißverständlich zu Protokoll: "Wir wollen mehr als die Unabhängigkeit: wir wollen die Vereinigung aller Albaner auf dem Balkan." Der letzte derartige Versuch einer Vereinigung unter deutscher Hilfe schlug 1945 fehl.


 
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