© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Nachrufe: Was ist mit den "dunklen Stellen" in der Biographie des verstorbenen Zentralratsvorsitzenden?
Ignatz Bubis blieb den meisten fremd
Peter Sichrovsky

Über Ignatz Bubis, den am 13. Auigust verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, sind nur wenige Bücher erschienen. Es gibt kaum Sekundärliteratur über Leben und Wirken dieses Mannes, der vor ein paar Jahren noch der beliebteste deutsche Politiker war. Unter den Tausenden Zeitungsartikeln, Interviews, Reportagen, Portraits und Berichten mit und über ihn sind kaum kritische Arbeiten zu finden. Eine Veröffentlichung gleicht der anderen, die Berührungsangst der Medien gegenüber diesem Mann hat ihn den meisten Menschen eher fremd erscheinen lassen, obwohl ihn jeder kannte.

Wer mit Bubis je unterwegs war – von einer Veranstaltung zu anderen – mußte eine oft absurde Ehrfurcht der Menschen ihm gegenüber erleben, bei der man nie wußte, ob das Motiv Bewunderung oder Ablehnung war; oder beides gleichzeitig. Die Reaktionen der deutschen Umgebung auf Bubis waren so widersprüchlich wie er selbst, wie sein Leben, seine Karriere und sein Erfolg.

Ja, man bewunderte ihn, man fürchtete ihn, man bestaunte ihn und verachtete ihn, und viele beneideten ihn. Wirklich sympathisch war er seinen Zuhörern, die der begnadete Redner stets begeistern konnte. Er war ein Massenmensch, der immer erfolgreicher wurde, je größer sein Publikum war. Vom Podium aus, der nötigen Distanz, verstand er die Menschen mitzureißen und zu überzeugen. In einer kleinen Gruppe, nah vor ihm sitzend, oder nur mit ihm alleine, setzte sich jene Härte durch bei ihm, die wahrscheinlich die Grundlage für all seine Erfolge war.

Rückblickend auf sein Leben stellt sich vielen jetzt die Frage: Was ist mit den angeblichen dunklen Stellen in seinem Lebenslauf?

Woher kam das Gold, mit dem Bubis handelte?

Darf denn ein als Heiliger verehrter "Widergutmacher" so einfach Anschuldigungen ignorieren, wie die angebliche Verurteilung wegen Hehlerei, die angebliche Bereicherung mit geschmuggeltem Gold aus der Schweiz, die angeblichen illegalen Immobiliengeschäfte in Frankfurt, die angebliche Vermietung von Häusern an die Scientologen, die angeblichen Geschäfte mit dem Schah von Persien, usw, usw.

Wer hat Probleme mit so einem Lebenslauf? Jene, die ihn bewundern und benutzen? Oder jene, die ihn bekämpfen und verurteilen?

Hier stellt sich die Frage sowohl nach den Tatsachen seines Lebensweges als auch nach der Herkunft der Kritik. Bubis konnte sicherlich auf einen erfolgreichen Lebensweg als Geschäftsmann zurückblicken. Doch mit nichts oder fast nichts haben viele nach dem Krieg begonnen. Das macht ihn noch lange nicht verdächtig. Seine Verurteilung als Schieber und Schmuggler hat er selbst längst bereinigt, und sie hat sich als Fehlurteil herausgestellt. Seine Immobiliengeschäfte in Frankfurt unterschieden sich um nichts von seinen Konkurrenten. Sein Schmuckhandel? Harmlos und so legal, wie er nur sein konnte. Was bleibt also von all den Vorwürfen?

Eigentlich nur das Goldgeschäft mit der Schweiz. Damals übernahm Bubis in München Gold, das aus der Schweiz geschmuggelt wurde, und verkaufte es an deutsche Unternehmen weiter. Soweit mir Bubis erzählte, wußte er nichts von der Herkunft des Goldes und wollte es damals auch nicht wissen. Es war nicht ordnungsgemäß in der Schweiz übernommen worden, und es gab keinen Nachweis auf die Herkunft des Goldes. Kann man daraus den Vorwurf fabrizieren, daß das Gold von ermordeten Juden stammte und während des Krieges von den Deutschen in die Schweiz gebracht wurde? Nein, das kann man nicht. Aber kann man das Gegenteil beweisen? Kann man auch nicht.

Die Tragik des Goldgeschäftes war die unklare Herkunft des Wertmetalls. Bubis wußte nicht, wo es herkam, und konnte daher auch nicht ausschließen, daß es von ehemaligen jüdischen Häftlingen stammte. Diese Ungewißheit verursacht zumindest ein gewisses Unbehagen. Doch bei wem? Was hat der Mann in der Tat hier verbrochen?

Oder nehmen wir sein Engagement für den Schah von Persien. Bubis hielt sich in den letzten Wochen vor dem Sturz des Schahs in Persien auf. Gemeinsam mit einem israelischen Partner hatte er den Auftrag, Kasernen für die persische Armee zu bauen. Nur wenige Tage vor der Rückkehr Chomeinis verließ er das Land.

Geschäfte mit dem Schah, einem blutrünstigen Diktator? Ein Vergehen, ein Fehler? Wohl kaum, wenn man die vielseitigen Geschäfte der Deutschen mit den verschiedensten Führern in Teheran in den letzten Jahrzehnten berücksichtigt.

Wo lagen dann Bubis’ Fehler? Entweder sind sie gut getarnt, oder es gibt in der Tat keine. Bubis hat während der Arbeit an seinem Buch mit mir immer sehr offen über alles gesprochen. Sogar über das Goldgeschäft. Seine Ablehnung gegenüber den Hausbesetzern in Frankfurt wurde in der Endausgabe seiner Biographie vom Verlag beschönigt und die aggressivsten Stellen herausgestrichen. Seine ursprünglichen scharfen Worte gegenüber den Linken damals, denen er einen faschistoiden Antisemitismus vorwarf, saßen tief in ihm, und seinen Zorn von damals hatte er bis zuletzt nicht vergessen.

Ich hatte während der Gespräche nie das Gefühl, daß Bubis etwas verheimlichte. So war er eben. So wurde er reich, und so wurde er berühmt, und wem es nicht paßte, der hatte eben Pech. Nur der Erfolg zählte bei ihm, sowohl im Geschäft als auch in der Politik und auch in der Religionsgemeinschaft. Das machte ihn manchmal hart, sogar jähzornig, dann wieder weich und einfühlsam, rücksichtsvoll und rücksichtslos, je nach Situation und Gegner.

Eine kriminelle Tat läßt sich dem Mann nicht vorwerfen, ich weiß auf jeden Fall keine Situation, die diesen Vorwurf rechtfertigen würde. Und die Frage nach der Moral? Was ist überhaupt im Geschäftsleben moralisch? Wie besiegt man einen Konkurrenten, überlistet ihn, unterbietet, überbietet ihn, nimmt ihm sein Geschäft weg, sein Einkommen, seine kommerzielle Grundlage, wo sind hier die Grenzen der Moral, und wann hat Bubis sie überschritten?

Ich möchte ihn nicht als Konkurrenten gehabt haben, egal ob in der Politik, in der Glaubensgemeinschaft oder im Geschäftsleben. Der Mann war beinhart, wenn es ums Gewinnen ging, verloren hat er einmal im Leben, und es sollte sich nicht wiederholen. Als ginge es in jeder Konkurrenzsituation später ums Überleben, kämpfte Bubis um sein persönliches Recht und seinen Erfolg.

Wer wagt nun heute die Linie zu ziehen zwischen Recht und Unrecht in seinem Leben? Hatte er das moralische Recht, später über die Schweizer Banken zu urteilen, obwohl er sich selbst am Gold aus der Schweiz bereichert hatte? War es eine Form von Ehrlichkeit, einem Konkurrenten aus den jüdischen Gemeinden vorzuwerfen, er habe Kontakt zu den Scientologen und selbst diesem Verein ein Haus zu vermieten? Klingen mahnende Worte über die Verantwortung einer Demokratie von einem Mann überzeugend, der mit einem Diktator wie dem ehemaligen Schah von Persien Geschäfte machte? Scheiterte Bubis mit dieser Form von Doppelmord oder eher jene, die vom Vorsitzenden der Juden in Deutschland ein besonderes Verhalten erwarteten? Durfte ein Überlebender nur mahnen, wenn er selbst makellos und vorbildlich lebte?

Wir, die wir heute versuchen, seine historische Bedeutung rückblickend zu erkennen, dürfen nicht an unseren eigenen Widersprüche scheitern. Die Erwartungen an Bubis haben mehr mit uns zu tun als mit ihm.

Wie sagte einst ein KZ-Überlebenden: "Nicht alle KZ-Wärter waren Teufel, und nicht alle KZ-Überlebenden waren Engel!"

Ob es jenen gefällt oder nicht, die Bubis eine Generation lang benutzten: Bubis war ein einfacher, wenn auch geschickter und intelligenter Geschäftsmann, im Grunde genommen jedoch ein stinknormaler Mann mit Sehnsüchten und Wünschen und allem, nur kein Symbol, wozu ihn seine Benutzer ernannten.

Er wurde zum "Wiedergutmacher vom Dienst" ernannt und hatte den historischen Auftrag, jene "wiedergutzumachen", die, zerfressen von Schuldgefühlen, ihn als psychische Stütze benutzten. Liest man all jene wohlwollenden und auch kritischen Nachrufe, so kommt man nicht herum um die Befürchtung, daß ihn eigentlich niemand wirklich gekannt hat. Er war weder der Heilige, zu dem ihn die einen ernannten, noch der gerissene Gauner, den andere in ihm zu erkennen glaubten.

Psychische Stütze für die von Schuld Zerfressenen

Er war einer der letzten "Überlebenden", geprägt von einem Erlebnis, das ihn ein Leben lang verfolgte. Vielleicht haben ihn nur andere Überlebende wirklich verstanden? Während der Arbeit an seiner Biographie begleitete ich Bubis auch nach Israel. Ich wohnte im Sheraton Hotel in Tel Aviv, wo Bubis eine Wohnung im obersten Stock besitzt. Zwischen den vielen Terminen, die er auch dort hatte, saßen wir in seinem Arbeitszimmer rum, er erzählte von seinem Leben.

Einmal rief er mich spät am Abend an, ich sollte noch zu ihm kommen. Im Wohnzimmer saß er mit seiner Frau und einem Besucher, einem älteren Mann, der aufgeregt auf polnisch redete. Bubis übersetzte zu Beginn, vergaß dann auch mich und sprach nur noch mit seinem Gast.

Es war für mich gar nicht so wichtig, wer der Besucher war, was er wollte und worüber er sprach. Es war mehr die Begegnung der beiden "Überlebenden", die faszinierte. Ich habe Bubis nie wieder so aufgeregt und begeistert erlebt wie während dieses Gesprächs. Zwei Menschen trafen dort aufeinander aus einer Welt, die nur sie beide miteinander teilten. Das Erlebnis verband sie miteinander und trennte sie von allen anderen.

Mitten im Gespräch verstummten die beiden für ein paar Sekunden und sahen mich an. In ihren Augen konnte ich die Frage lesen: Was weißt du denn schon von unseren Leben? Sie hatten recht. Ich wußte nichts und weiß bis heute nichts. Alle Bücher und Bilder der Welt können das Erlebte nicht ersetzen, und die Überlebenden ließen uns mit diesem Mangel zurück, wann immer wir uns ihnen nähern wollten.

 

Peter Sichrovsky lebt als Schriftsteller in Wien und San Franzisko und ist Europaabgeordneter der FPÖ. Er schrieb 1996 mit Ignatz Bubis die Autobiographie "Damit bin ich noch längst nicht fertig"


 
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