© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Christoph Lauterburg: Fünf nach zwölf. Der globale Crash
Das Erbe des Neandertalers
Volker Kempf

Man muß sich um das Thema Crash nicht schamhaft herumdrücken, nur weil es von der Gesellschaft tabuisiert wird. Wer der Realität ins Auge blickt, kann letztlich besser mit ihr umgehen." Dies sind die Worte von Christoph Lauterburg in seinem neuen Buch "Fünf nach zwölf. Der globale Crash und die Zukunft des Lebens". Der Autor, Mitherausgeber der Zeitschrift für Organisationsentwicklung, war bereits als Koautor des Bestsellers "Change Management" einem breiten Publikum in Erscheinung getreten. Wie die Realität tabufrei betrachtet aussieht, beschreibt er in sechs Stücken: "Das Erbe des Neandertalers", "Zeitbombe Umwelt", "Zeitbombe Gesellschaft", "Fata Morgana – oder die Fähigkeit zu glauben", "Chaos – oder die Unfähigkeit zu steuern" und "Szenario Crash".

Lauterburg zufolge sind der Zerfall gesellschaftlicher Strukturen und die Zerstörung der biologischen Lebensgrundlagen zu weit fortgeschritten, als daß einem globalen Crash noch ausgewichen werden könnte. Die Weltbevölkerung sei zu groß, um ohne Plünderung der natürlichen Ressourcen lebensfähig zu bleiben: "Die Weltmeere sind weitgehend leergefischt, die letzten Regenwälder verschwinden, die Böden erodieren, Trinkwasser wird knapp, der massive Einsatz fossiler Brennstoffe vergiftet die Atmosphäre, die Zerstörung des Ozonschildes wird zur Gefahr für Pflanzen, Tiere und Menschen." Die Daten zur Gesellschaft lesen sich kaum besser: "In 25 Jahren werden zwei Drittel der Menschheit in Millionenstädten leben – und hier wiederum die große Mehrheit in Slums, einer Welt, die geprägt ist von mangelnder Hygiene, Alkohol, Drogen und organisiertem Verbrechen. Aber auch in den bürgerlichen Schichten zerfallen die natürlichen Familienstrukturen. Immer weniger Kinder können sich zu liebes-, arbeits- und gesellschaftsfähigen Menschen entwickeln."

Bildlich gesprochen, ist es längst zu spät, die Zeitbombe zu entschärfen: es ist fünf nach zwölf, die Bombe ist explodiert. Noch vor dem ökologischen Crash greift die Erosion von gesellschaftlichen Strukturen wie eine Druckwelle um sich und erfaßt auf unterschiedliche Weise zunehmend die ärmeren, dann mehr und mehr auch die wohlhabenderen Nationen.

Was tun in dieser Lage, fragt sich da der aufmerksame Leser. Weltweit Solidarität zu üben wäre einem Verteilungskampf um knappe Ressourcen zwar vorzuziehen und auch überlebensnotwendig. Aber Lauterburg zufolge gibt es ein uraltes Gesetz, welches die Dinge auf diesem Planeten auf andere Art und Weise regelt – im täglichen Leben genauso wie in der hohen Politik: "Erstens: Diejenigen, denen es gut geht, unterlassen alles, was zu einer grundlegenden Veränderung führen könnte. Zweitens: diejenigen, denen es nicht gut geht, haben keine Macht. Drittens: Wenn es allen schlecht geht, weil alles aus den Fugen gerät, ist es für eine friedliche Lösung zu spät." Wir gehören im Moment zu denjenigen, denen es gut geht und die sich ihr eigenes Bild von der Welt und der Wirklichkeit zurechtlegen, um weiterhin bequem leben zu können.

Der globale Crash wird auch uns um so heftiger erfassen, je länger wir glauben, wir könnten ihn mit Blick in ferne Regionen der Welt aus sicherer Distanz beobachten oder uns auf Fragen nach Steuerprozenten, 630-Mark-Jobs, Scheinselbständigkeit oder Diäten von Politikern zurückziehen. So werden die Alltagsgeschäfte noch eine Weile weitergehen und Kinofilme die Sehnsüchte nach einer heilen Welt oder, je nach Geschmack, nach fasziniertem Entsetzen befriedigen – in Hollywood lebt eine ganze Branche davon. Irgendwann, nach dem globalen Crash, werden dann alte menschliche Werte wieder wichtig werden, ist sich der Autor sicher. Vor allem aber ginge das Leben selbst dann weiter, wenn der Mensch von der Erde verschwinden sollte.

Mit "Fünf nach zwölf" hat Christoph Lauterburg ein Buch vorgelegt, das für all jene wichtig ist, die nicht irgendwelchen Wunschwelten anheimfallen wollen, dafür aber auf illusionsloser Grundlage politisch wirken und sich auf zunehmend chaotische Bedingungen im nächsten Jahrhundert einstellen möchten. Schade nur, daß sich die Medien um Lauterburgs unaufgeregte und gut leserliche Beschreibung von der gegenwärtigen Entwicklung des Lebens auf der Erde im allgemeinen und der Menschheit im besonderen sowie dem damit verbundenenen Plädoyer fürs Krisenmanagement herumdrücken. So wird das vorliegende Buch wohl weniger zur Massenware werden, als vielmehr ein Geheimtip bleiben.

 

Christoph Lauterburg: Fünf nach zwölf. Der globale Crash und die Zukunft des Lebens. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1998, 315 Seiten, 39,80 Mark


 
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