© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


DDR: Die vergeblichen Versuche der SED-Führung, die deutsche Teilung zu erhalten
Als man die Nationalhymne verbot
Uwe Ullrich

Die Nachrichtenagentur Reuter meldete am 1. Januar 1979, daß das SED-Politbüromitglied Kurt Hager in Ost-Berlin scharfe Kritik am Wiedervereinigungsgedanken geübt habe. Er erklärte:" Eine deutsche Frage gibt es nicht."

Schon zu Beginn der siebziger Jahre wuchs in der DDR-Führung die Sorge, daß durch die Verhandlungen mit dem "westlichen Klassenfeind" die alten Feindbilder des Kalten Krieges langsam aber sicher verblassen könnten. Grund genug, eine Parole in der Welt zu verbreiten: Angesichts der politischen Entspannung verschärfe sich notwendigerweise und gesetzmäßig der ideologische Klassenkampf. Die Dialektik der Systemauseinandersetzung erforderte erhöhte politische Wachsamkeit. Na klar, der Klassenfeind schreckte vor keiner Unterwanderungstaktik zurück!

So monierte die SED-Bezirksleitung Halle in einem Bericht an das übergeordnete Organ, daß "eine größere Anzahl importierter Herrensocken in den Geschäften" angeboten werden, "die mit dem Bildnis des westdeutschen Profi-Fußballspielers Uwe Seeler ausgestattet waren." Aber noch schlimmeres war geschehen, teilte man "nach oben" mit. In einem wissenschaftlichen Institut sind Fachzeitschriften aus der Bundesrepublik für jeden Mitarbeiter zugänglich. Das zuständige Fachministerium wurde aufgefordert, diesem Skandal ein Ende zu bereiten. "Nichts verbindet uns mit der imperialistischen BRD und alles mit unserem sozialistischen Vaterland", lautete die stereotyp wiederholte Kampfparole. Ein Kurs verstärkter Abgrenzung von dem westlichen Nachbarland sollte die beginnende Entspannungs- und Normalisierungspolitik ergänzen.

Am Abend des 27. September 1974 erfuhren die erstaunten Zuschauer der "Aktuellen Kamera", daß die Volkskammer die Verfassung der DDR verändert hatte. Ohne breite Diskussion in der Bevölkerung, wie bereits beim Verfassungsentwurf von 1968, stimmten die Abgeordneten für die ihnen unterbreiteten Vorschläge. Während Artikel 1 in der Fassung von 1968 lautete: "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation", hieß es nun: "Die DDR ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern". Artikel 8, der "die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" als Ziel propagierte, entfiel ganz.

Danach setzte eine Welle von Umbenennungen ein. Die Bezeichnungen "deutsch" oder "Deutschland" wurden je nach Möglichkeit getilgt oder durch andere Begriffe ersetzt. Hotels und Gaststätten erfuhren neue Namensgebungen, das Stichwort "Deutschland" verschwand aus Meyers Lexikon, auf Briefmarken stand das Kürzel DDR. Lediglich die SED, ihr Zentralorgan, die Blockparteien und Massenorganisationen sowie die wegen internationaler Verträge bis 1989 gebundene Deutsche Reichsbahn machten eine Ausnahme. Die systemübergreifende Dauerkomödie der Deutschen mit ihren nationalen Symbolen fand in der DDR ihren Höhepunkt im faktischen Verbot der Nationalhymne. Sie durfte nur noch intoniert werden. Verschwunden war der Text Johannes R. Bechers: "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,...Deutschland einig Vaterland". Um den westlichen Besucherverkehr überschaubarer zu machen, erhöhte die DDR-Regierung am 9. Oktober 1980 den Mindestumtauschsatz für einreisende Bundesbürger von 5 auf 25 DM. Scheinbar an der wundesten Stelle getroffen, blieben in der Folgezeit rund die Hälfte der üblichen Gäste aus. In seiner Rede zur Eröffnung des Parteilehrjahres führte Erich Honecker im selben Monat aus: "...man kann nicht übersehen, daß zwischen der DDR und der BRD weiterhin viele Probleme bestehen, daß wir von einer umfassenden Normalisierung noch ein beträchtliches Stück entfernt sind", und präsentierte anschließend die bekannt gewordenen "Geraer Forderungen".

In fünf Punkten forderte er namens seiner von ihm geführten Partei und des Staates unter anderem die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR, die Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter und die volle diplomatische Anerkennung durch den Austausch von Botschaften. Diese Forderungen waren für den Nachbarstaat, allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen, nicht annehmbar.

Dennoch erreichte Honecker den größten Triumph seiner politischen Laufbahn. Im September 1987 empfing ihn Helmut Kohl zu einem offiziellen Staatsempfang: Der rote Teppich wurde für ihn ausgerollt, das Musikkorps der Bundeswehr spielte beide Nationalhymnen, und am Mast wehten nebeneinander die Fahnen zweier souveräner, gleichberechtigter deutscher Staaten. Honecker erhielt eine gute Presse im In- und Ausland. Der Staatsbesuch brachte ihm überall den Ruf eines verantwortungsbewußten und besonnenen Staatsmannes ein. Honecker hatte den Ruf, keinerlei Berührungsängste gegenüber dem "Klassenfeind" zu haben. Die DDR-Bürger verknüpften mit diesem Ereignis eigene Vorstellungen. Im Vorfeld warnt in einem Bericht das Ministerium für Staatssicherheit vor Hoffnungen im Land: "Breiten Raum nehmen in den Diskussionen unter allen Kreisen der Bevölkerung Erwartungshaltungen und Spekulationen über den weiteren Ausbau der Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger in die BRD und nach Westberlin."

Zwei Jahre später sind die Träume Honeckers und seines Politbüros ausgeträumt. Während er sich im Sommer 1989 in seinem Haus am Döllnsee von den Folgen der Gallenoperation erholt, nutzen Tausende DDR-Bürger ihren Ungarn-Aufenthalt, um über Umwegen in die Bundesrepublik zu gelangen. Hilflos agiert die verbliebene Führungsriege unter Egon Krenz und Günter Mittag. Im Wendeherbst skandieren die Demonstranten zwischen Elbe und Oder die Verszeile der Nationalhymne: "Deutschland einig Vaterland".


 
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