© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Falsche Empörung
von Philip Plickert

"Deutschland muß in Kreuzberg wieder erkennbar sein": Ganz vorsichtig formulierte die Junge Union Kreuzberg auf einem Aufkleber ihre Sorge um das Stadtviertel, welches sich durch Überfremdung, hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität zu einem regelrechten Ghetto entwickelt. Mangels substanziellerer Probleme stürzten sich SPD, Grüne und PDS auf den verruchten Spruch und schrieen Zeter und Mordio. Akademische Schützenhilfe erhielten die Wahlkämpfer von Hajo Funke, Professor an der FU. Die JU betreibe Stimmungsmache gegen Ausländer, wenn sie diese für die soziale Schieflage verantwortlich mache, empörte sich der "Rechtsextemismusforscher", und sie fördere die Gewaltbereitschaft des rechtsextremen Bodensatzes in der Bevölkerung.

Auch die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) meldete sich zu Wort. "Menschlich abstoßend" fand sie die JU-Aufkleber, sie, die es vor einiger Zeit vorzog, still und leise von Kreuzberg ins feine und sichere Zehlendorf umzusiedeln. Aus gehörigem Abstand läßt sich jetzt wieder gut für das multikulturelle Miteinander schwärmen und die bösen JU-Buben "menschlich abstoßend" finden. So ermutigt, fanden sich denn auch "Antifaschisten", die die Fensterscheiben der JU zertrümmerten.

In diesem Klima der Einschüchterung schrieb die Berliner Zeitung: "Die Kreuzberger Junge Union hat entgegen anderslautender Ankündigung ihre umstrittenen Aufkleber verteilt. Auf Anfrage griff der Kreuzberger JU-Vertreter Florian Graf am Sonnabend in sein Jackett und gab den Aufkleber weiter. Graf gab den Aufkleber so verdeckt weiter, daß für Umstehende nur die Rückseite erkennbar war. Anschließend weigerte er sich, seinen Namen zu nennen, als ihn ein Pressevertreter danach fragte". Die Zeilen ähneln eher einem Polizeibericht als einer Meldung in einer angeblich liberalen Zeitung. Von dieser Schilderung bis zum herzhaften "Steinigt ihn!" der autonomen Antifa ist es nur ein kleiner Schritt.

Der ganze Vorgang hat die Absurdität des politischen Geschäfts in Zeiten der "Political Correctness" deutlich gemacht. Nicht die katastrophalen Zustände in Berlin-Kreuzberg sind Gegenstand der Empörung, sondern der harmlose JU-Aufkleber. Die Empörung der Linken und der Presse gleicht einem Pawlowschen Reflex. Unausgesprochen sind die Sympathien vieler "Liberaler" vermutlich bei der gewalttätigen "Antifa". Die politische Bewegungsfreiheit der CDU-Jugend wird von Gewalttätern eingeschränkt, doch selbst jetzt kann sich die Union nicht zu einer Solidaritätsbekundung aufraffen. Auch in ihren Reihen hat sich der PC-Virus schon eingenistet.


 
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