© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Zwangsarbeiter: Schröder wird unter Druck gesetzt
Sanfte Erpressung
Ivan Denes

Vergangenen Donnerstag sind in Bonn die dreitägigen Verhandlungen zwischen Vertretern der deutschen, amerikanischen, israelischen und mehrerer osteuropäischer Regierungen, der deutschen Wirtschaft, jüdischer Organisationen sowie Rechtsanwälten, die ehemalige Zwangsarbeiter vertreten, ergebnislos auf Anfang Oktober vertagt worden. Es gibt mehrere hart umstrittene Punkte, die zur Zeit noch den Weg zu einer Einigung versperren, darunter der Umfang des einzurichtenden Entschädigungsfonds der deutschen Industrie, Banken und Versicherungen, die Zahl der zu Entschädigenden, die Kompensation für die "Arisierung" jüdischer Vermögenswerte, die Umrechnungsschlüssel der damaligen Löhne zur Kompensierung der Inflation und der Zinsen usw.

Bundeskanzler Gerhard Schröder soll sich am 6. September zu einer "Informationszusammenkunft" mit den Vertretern der Wirtschaft treffen. Am 14. und 15. September wiederum soll der Bankenausschuß des Repräsentatenhauses eine Anhörung zu Fragen der im Holocaust verlorenen jüdischen Vermögenswerte halten. Und am 16. September tagt der ad-hoc-Ausschuß Alan Hevesis, des New Yorker Stadtkämmerers. Hevesi hat ungefähr 900 städtische und einzelstaatliche Finanzkontrolleure zu einer lockeren Organisation zusammengefaßt, die in der Lage ist, Boykottmaßnahmen gegen Unternehmen, Banken oder Versicherungen zu beschließen, die auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten tätig sind.

Und an dieser Folge von Veranstaltungen hat der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Israel Singer, angesetzt. Wie es in einem ausführlichem Reuters-Bericht heißt, hat Singer (und nach ihm der WJC-Direktor Elan Steinberg) ein Junktim zwischen dem Ergebnis der Beratung Schröders mit den Vertretern der deutschen Unternehmen und dem Votum des WJC bei den Anhörungen im Kongreß hergestellt. Abhängig von den Ergebnissen dieser Beratung wird der WJC entscheiden, ob er bei der Anhörung im Kongreß sich positiv oder negativ zu den Bemühungen der deutschen Seite äußern wird. "Was wir sagen wollen: der Kanzler ist rechenschaftspflichtig" (accountable).

Singer, der in den letzten Monaten immer aggressiver auftritt, hat dann noch einige sehr widersprüchliche Äußerungen gemacht. So forderte er, daß die jüdischen "Sklavenarbeiter" mehr Geld bekommen als andere – was grundsätzlich den Prinzipien der neuen Stiftung widerspricht. Im Klartext: "Bist du nicht willig, so gebrauch ich Gewalt." Wenn Schröder nicht pariert, werden vom Kongreß aus Maßnahmen gegen die deutsche Wirtschaft eingeleitet.

Die beiden WJC-Funktionäre benutzen ihren üblichen Informationskanal, um den Bundeskanzler unter Druck zu setzen – es gibt eine Redakteurin namens Joan Gralla, die am "municipal desk" der ansonsten so hoch angesehenen und für ihre Sachlichkeit geschätzten Nachrichtenagentur Reuters sitzt und die ihren Arbeitgeber über Monate hinweg zu einem schlichten Propagandakanal degradiert hat.

Wie aus gutinformierter Quelle zu vernehmen war, wurde Stuart Eizenstat – selbst bekennender Jude, zur Zeit Staatssekretär im US-Schatzamt und Sonderbeauftragter des Präsidenten für Fragen der Holocaust-Entschädigung – beim WJC vorstellig und wies darauf hin, daß solche Äußerungen sich zutiefst schädlich und belastend für die deutsch-amerikanische Beziehungen auswirken könnten.

Am Freitag, dem 27. August, sprach Singer erneut mit Journalisten und milderte seine Stellungnahme vom Vorabend ab. Wenn Kanzler Schröder bei seinen gegenwärtigen "Auffassungen" bleibe, werde es einen Kompromiß geben. Er ging scharf ins Gericht mit den Anwälten, die die ehemaligen Zwangsarbeiter vertreten (die neuerdings Forderungen in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar stellen!). "Man hat stark übertrieben. Wenn man jeden zufriedenstellen will, endet man bei der Unzufriedenheit aller", sagte Singer. Der WJC und die Anwälte stehen seit geraumer Zeit auf Kriegsfuß. Singer begrüßte ausdrücklich die Position der deutschen Unternehmen, die bereit seien, 200.000 Opfer zu entschädigen. Das sollte Rechtsanwalt Michael Hausfeld ins Stammbuch geschrieben werden, der erst vor wenigen Tagen ein "Gutachten" eines Unternehmen namens "Nathan" auf den Tisch legte, aus dem hervorging, daß nicht weniger als 2,3 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter berechtigt seien, entschädigt zu werden.

Zur Erinnerung: Zwei Dritel aller Zwangsarbeiter kamen aus der Sowjetunion und aus Polen. Seit Kriegsende sind 54 Jahre vergangen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Rußland, der Ukraine und in Belarus liegt zur Zeit bei 59 Jahren. Der Rest ist eine Milchmädchenrechnung.

Und was in der bundesdeutschen Berichterstattung nie erwähnt wird: auch wenn der Form nach die Unternehmen in erster Reihe die finanzielle Last tragen werden – letztendlich wird wieder einmal der deutsche Michel geschröpft, denn mindestens zu einem erheblichem Teil werden die Unternehmen ihren Beitrag abschreiben können.

 

Ivan Denes war von 1972 bis 1981 Archivar und Redakteur im Axel Springer Verlag. Heute leitet er die Berliner "West-Ost-Nachrichtenagentur" (WONA).


 
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