© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Thüringen: CDU in Umfragen vorn / SPD in der Defensive / Rechtes Bündnis hofft
Wähler frustrieren Politiker
Jörg Fischer

Nach einer vom MDR veröffentlichten Infratest/Dimap-Umfrage von Anfang August scheint eine Alleinregierung der CDU in Thüringen möglich zu sein, wenn der Erfurter Landtag weiterhin ein Drei-Parteien-Parlament bleibt. Diese Umfrage sieht die CDU bei 44 Prozent (plus zwei Prozent), die SPD bei 26 (minus vier) und die PDS bei 19 (plus zwei). Mit einer rechnerisch möglichen Mehrheit der Mandate im Landtag könnte Ministerpräsident Bernhard Vogel nach dem 12. September ohne die ungeliebte SPD unter dem Ex-Saarländer Reinhard Dewes regieren.

Für einen Sieg der CDU spricht auch, daß nach der Umfrage Amtsinhaber Vogel mit 58 Prozent klarer Sieger bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten wäre, für den jetzigen Innenminister Dewes würden sich nur 23 Prozent entscheiden. Dies zeigt, daß der inzwischen 67jährige ehemalige rheinland-pfälzische CDU-Landeschef und Ministerpräsident in seiner neuen Heimat Thüringen hohes Ansehen genießt – über die Parteigrenzen hinweg. Daher setzt die Wahlwerbung im Land voll auf den seit 1992 regierenden Landesvater: "Sie können sich auf mich verlassen!" verspricht er im CDU-Landeswahlprogramm.

Den Wahlkämpfern der SPD machen vor allem die Sparpläne der rot-grünen Bundesregierung und die neoliberale Umorientierung der SPD zu schaffen. Die Landtagskandidatin Sabine Günther (46) schüttete Anfang August dem MDR ihr Herz aus: "Ich muß ehrlich sagen, es ist total schwierig, zum Teil auch frustrierend. Sie haben es selber gesehen, die Leute gehen einem mitunter auch aus dem Weg. Sie wollen gar nicht befragt werden."

Von den Kandidaten auf der Landesliste der SPD dürfte lediglich der ehemalige SPD-Chef und Wissenschaftsminister Gerd Schuchardt aus Jena einem größeren Publikum bekannt sein. Als Bürgerrechtler trat der promovierte Elektronik-Ingenieur im Januar 1990 der SPD bei und steht einer Zusammenarbeit mit der PDS noch immer ablehnend gegenüber – ein Grund dafür, warum er 1994 den SPD-Landesvorsitz abgeben mußte. 20 Jahre war er im Zeiss-Forschungszentrum Jena tätig und erlebte dort, wie SED-Kader den einstigen Weltruf von Carl Zeiss Jena ruinierten.

Bei der Bundestagswahl 1998 wurde die SPD zwar mit über 34 Prozent erstmals stärkste Partei, doch nach rot-grünem Doppelpaß und Ökosteuer rutschten die Thüringer Genossen wieder unter 26 Prozent. Wie die Partei bei einem solchen Trend "stärkste politische Kraft" – wie es im Wahlprogramm optimistisch heißt – werden will, kann keiner der Genossen sagen.In dieser Lage könnte die PDS am Wahlabend der lachende Dritte sein. Mit einem "öffentlich geförderten Beschäftigungssektor" will die 44jährige Spitzenkandidatin Gabriele Zimmer die Arbeitslosigkeit im Freistaat senken. Das sei alles andere als eine "verrückte Idee", verteidigt die gebürtige Berlinerin ihre wirtschaftspolitischen Rezepte in ihrem Wahlaufruf.

Schillerndster der Kandidaten auf der Landesliste ist aber der 43jährige Bodo Ramelow, ehemals Chef der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung (HBV) in Thüringen. Der aus Osterholz-Scharmbeck bei Bremen stammende gelernte Kaufmann hat inzwischen seinen gut dotierten Posten bei der HBV aufgegeben und sich ganz der PDS verschrieben. Die anderen Bewerber sind meist blasse ehemalige SED-Kader, wie die einstige Freundschaftspionierleiterin Cornelia Nitzpon. Die Jugend spielt immer noch eine zu geringe Rolle, beklagt daher auch zu Recht der vorbestrafte Totalverweigerer Steffen Dittes (26), der auf dem wackeligen Listenplatz 18 antritt. Menschlich verständlich, denn der militante Gegner der Thüringer Waldautobahn genießt nur dann wieder parlamentarische Immunität für weitere Aktionen, wenn die PDS nahe an die 20-Prozent-Marke kommt. Ob "Gysis bunte Truppe" sogar mit der SPD koalieren kann, wollen die Sozialdemokraten erst nach der Wahl entscheiden – vorausgesetzt die Mehrheitsverhältnisse geben es überhaupt her.

Für Thüringens Bündnisgrüne geht es am 12. September um Sein oder Nichtsein. Sollten sie erneut deutlich den Einzug ins Parlament verpassen, dürften sie auf Dauer im politischen Spektrum des Freistaates fehlen. Im Wahlkampf wollen sich der 37jährige Diplommathematiker Olaf Möller und seine äußerst kleine Truppe vor allem in der umstrittenen Verkehrspolitik profilieren. Denn ob mit Forderungen wie nach einem "flächendeckenden Beratungsnetz für Zugewanderte" und "multikulturelam Zentren" die brennenden Themen in Thüringen aufgegriffen werden, scheint fraglich. Auch die Forderung nach "verstärkter Einstellung von MigrantInnen im öffentlichen Dienst" dürfte zumindest bei den zigtausend Arbeitslosen Verwunderung hervorrufen. Die FDP verfehlte mit drei Prozent 1994 ebenfalls den Einzug in den Landtag, zur Europawahl im Juni konnten sich gar nur knapp zwei Prozent für die Liberalen entscheiden.

Da wundert es nicht, daß der CDU-Sprecher Detlef Baer auf die öffentlich geäußerte Bitte der Liberalen, sie bei der kommenden Landtagswahl zu unterstützen, mitleidig reagierte: "Eine Hilfe für die FDP wäre bedauerlicherweise sogar brandgefährlich, weil es genau jene Stimmen kosten könnte, die die CDU bräuchte, um Rot-Rot zu verhindern."

Elf Prozent der Thüringer Wahlberechtigten neigen nach der zitierten Umfrage Rechtsparteien zu. Wie sich das am Wahlabend auswirkt, darüber kann nur spekuliert werden. Nur wenige Befragte haben den Mut, sich zur Wahl von Parteien jenseits der Union zu bekennen.

Auch wenn aus formaljuristischen Gründen die Republikaner als Namensgeber der Liste 7 fungieren, treten diesmal REP, der Bund Freier Bürger (BFB) und ehemalige Mitglieder der DM-Partei von Bolko Hoffmann gemeinsam auf einer Liste an. Zusammen hatten die drei Parteien bei der letzten Bundestagswahl 4,2 Prozent in Thüringen – weit mehr als FDP oder Grüne.

Listenführer ist der 1939 in Breslau geborene Diplomphysiker Heinz-Joachim Schneider aus Jena von den Republikanern. Auf Platz zwei kandidiert der 56jährige Kaufmann Franz-Josef Reischmann vom BFB. Otto Gerhardt, selbständiger Journalist, ist einer der beiden Kandidaten der DM-Partei. Auf der Liste sind erstaunlich viele Selbständige zu finden. Entsprechend wirtschaftsfreundlich sind die Forderungen des Bündnis’99 formuliert. Und zum Thema Zuwanderung heißt es im Programm des Drei-Parteien-Bündnisses: "Wir hassen keine Ausländer, treten aber gegen Überfremdung und Zwietracht erzeugende Kulturvermischung ein."

Einen Einzug von Liste 7 könnte die DVU verhindern. Mit kräftiger Unterstützung der Parteizentrale in München bewerben sich 18 Kandidaten für den Erfurter Landtag.

Listenführer Otto Reißig, ein 50jähriger Bauunternehmer, ist einer der jüngeren Kandidaten auf der Liste. Mit 2,9 Prozent wurde die DVU bei der Bundestagswahl die weitaus stärkste Rechtspartei im Freistaat. Bei den Europawahlen trat die Partei von Gerhard Frey allerdings nicht an. Mit einem Stimmenzuwachs kann die NPD rechnen. Während sämtliche Parteien bei der Europawahl wegen der niedrigeren Wahlbeteiligung an Stimmen einbüßten, war die NPD die einzige Partei, die bundesweit zulegen konnte – auf niedrigem Niveau. In Thüringen durfte die NPD wegen Fristversäumnis zur Bundestagswahl 1998 nicht antreten, doch verdoppelte sie im Vergleich zur Europawahl ’94 ihren Stimmenanteil Auch die Kandidaten der NPD sind wie die Wähler meist unter dreißig und in ihrer Mehrzahl keine Akademiker.

Eine Besonderheit ist der Volksinteressenbund Thüringen (VIBT), der sich vor allem als Reaktion auf die immensen Wassergebühren in Thüringen zusammengefunden hat. Der Wasserpreis ist zwischen Eisenach und Altenburg fast doppelt so hoch wie in Bayern.

Da die große Koalition in Erfurt nur abwiegelnd reagierte, bildeten sich landesweit Bürgerinitiativen, aus denen schließlich ein Verband (VIBT) entstanden ist. In einem Gespräch mit der Ostthüringer Zeitung befürchtete der CDU-Politiker Stephan Illert wohl zu Recht, daß der VIBT der CDU entscheidende Stimmen zum Wahlsieg kosten könnte, hat doch der VIBT in der Lokalpresse inzwischen Aufmerksamkeit gefunden.

Auf der Liste des VIBT sind übrigens auch einstige DSU-Mitglieder zu finden. Warum sich die DSU um die 54jährige Fachkrankenschwester Angelika Burkhardt aus Gera nicht mit dem VIBT zusammengetan hat, begründete Klaus Trommer aus Erfurt in einem Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT so: "Mit Rechtsradikalen will der VIBT nichts zu tun haben."

Unverdrossen tritt die Deutsche Soziale Union (DSU) daher auch diesmal allein zur Landtagswahl an. Die 1990 mit Hilfe der CSU in Leipzig gegründete bürgerliche Alternative zur CDU saß mit über sechs Prozent in der ersten und zugleich letzten frei gewählten Volkskammer der DDR. Bei den Landtagswahlen 1994 erreichte sie nur 0,2 Prozent. Auch die Partei das "Neue Forum" tritt wieder an.


 
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