© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Frankreich: Die Rechte kehrt in die Bedeutungslosigkeit zurück
Rebellen in der Sackgasse
Charles Brant

Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret bringen den schlimmsten Sommer ihres Lebens hinter sich. Von ihrem brudermörderischem Zwist ist nichts übriggeblieben als ein Ruinenfeld.

Noch vor einem Jahr brüstete der Front National (FN) sich damit, 20 Prozent der französischen Wähler an sich gebunden zu haben. Im Vorfeld seiner Sommeruniversität brachte eine Welle innerer Spannungen den FN zum Erzittern. Die mögliche Kandidatur der Ehefrau Jean-Marie Le Pens an der Spitze der Parteiliste bei den Europawahlen veranlaßte den Generaldelegierten Bruno Mégret dazu, seine Stimme zu erheben und zu verkünden, er halte sich selbst für geeigneter. Im Herzen einer Bewegung, die der Debatte wenig zugeneigt ist, verselbständigten sich die gegenseitigen Vorwürfe so schnell, daß nichts mehr wiedergutzumachen war.

Für die Presse war dieser Streit ein Glücksfall, den sie auf beiden Seiten weiter schürte. Mégret ging zur Offensive über. Er gab zu verstehen, daß er sich anschicke, "den Rubikon zu überqueren". In einer gegenseitigen Überbietung kam eins zum anderen, und der Bruch war vollkommen. Bei den Europawahlen einige Monate später bekamen die verfeindeten Brüder das Ausmaß dieses Erdbebens zu spüren. Zu dem katastrophalen Wahlergebnis (kein einziger Sitz für Mégret, fünf für Le Pen) gesellt sich der Verlust jeglichen Einflusses auf die öffentliche Meinung.

Bis jetzt haben sich beide Fraktionen geweigert, den Ursachen ihres Zwistes auf den Grund zu gehen oder gar das Ausmaß seiner Konsequenzen zu ermitteln. Im FN haben die Vorstöße von Le Pens Schwiegersohn Samuel Maréchal neue Streitigkeiten um die Parteiführung hervorgerufen. Im Mouvement National herrscht ferienbedingte Stille. Dennoch wird eins deutlich: Die radikale Rechte Frankreich ist nach dem beinahe ununterbrochenen Erfolgskurs der letzten fünfzehn Jahre wieder in ihrer Ausgangsposition am Rande des politischen Geschehens gelandet. Die offensichtlichsten Ursachen liegen im Scheitern der "Erneuerung", die Bruno Mégret in Angriff genommen hatte. Dessen größter Fehler war sicherlich, auf die Legalität zu setzen und sich davon einen Legitimitätsbonus zu erhoffen. Indem er sich strikt und gewissenhaft an den orthodoxen "Lepenismus" hielt, versuchte er von Anfang an, sich als Garanten der Interessen des FN darzustellen.

Der Erbfolgestreit hat die Mängel sichtbar gemacht

In diesem Licht präsentierte er seine Forderung nach einer "außerordentlichen Versammlung" und hielt diese in Marignane ab. Nachdem er erwartungsgemäß zum Präsidenten des "zweiten FN" gewählt worden war, versteifte er sich auf diese Strategie und wiederholte bei jeder möglichen Gelegenheit, die Bewegung stünde hinter ihm. Kraft seiner eigenen Worte überzeugte er sich selbst, Jean-Marie Le Pen aus dem Rennen geworfen zu haben. In diesem Wahn sollte er sich solange wiegen, bis ein Gerichtsurteil Le Pen den Anspruch auf den Parteinamen und die Gelder der Bewegung zuerkannte.

Inzwischen war es jedoch zu spät, ein eigenes politisches Terrain abzustecken und den Bruch anders zu rechtfertigen als durch wütende Enthüllungen über die Vetternwirtschaft im FN, die denjenigen, die der Bewegung nahestehen, sowieso wohlbekannt ist. Ein Teil der Kader steht in der Tat hinter Mégret, weil sie die Jahre des zerstörerischen Militarismus satt haben, in den die Bewegung ständig abzugleiten drohte. Davon lassen die Sympathisanten und die Wähler des FN sich jedoch nicht täuschen. Aus deren Sicht bleibt die Glaubwürdigkeit dieser "Offenbarungen" zweifelhaft, nicht zuletzt weil Mégret – der Le Pen zum Paten seines ersten Kindes machte – und seine Freunde fünfzehn Jahre lang niemals irgendeine Kritik gegenüber dem "Gründer", seinen Söhnen, seinen Schwiegersöhnen oder seiner Gefolgschaft zu äußern wagten. Der Bruch wurde niemals politisch verstanden. Statt dessen deutet man ihn als Folge der Intrigen und Ambitionen von Mégret und seinen Freunden: als "Komplott" gegen Jean-Marie Le Pen. Die Gründung des Mouvement National, die in aller Eile und auf einer blutleeren programmatischen Grundlage beschlossen wurde, kann den anfänglichen Mangel an Kühnheit nicht ausmerzen und erst recht nicht das ersehnte Wunder bewirken. Das Ergebnis: der katastrophale Ausgang der Europawahlen.

Die Schuld des FN an seinem eigenen Unglück ist offensichtlich. Der Erbfolgestreit hat im übrigen lediglich Mängel ins Rampenlicht gerückt, die uralt, wenn nicht gar angeboren sind. Abgesehen davon, daß die Verantwortlichen durch unnötige verbale Provokationen und die Ausschweifungen, die sich ihr Vorsitzender anmaßt, einen gewissen Gefallen an ihrer eigenen Ausgrenzung zu finden scheinen, gibt es vieles an ihrem Politikverständnis auszusetzen. Im Glauben, auf ihre Wählerschaft bis ans Ende aller Zeiten zählen zu können, haben sie an Reflexion, Analyse und Voraussicht gespart. Sie haben sich niemals wirklich der Frage gestellt, worauf ihr Handeln letztendlich abzielte: auf Macht oder auf Protest.

Ihre Behandlung der zentralen Frage der Identität ist symptomatisch für diese Blindheit und Inhaltslosigkeit. Anstatt sie in ideologischen, historischen oder kulturellen Begriffen anzugehen, gibt der FN sich damit zufrieden, die in Teilen der Bevölkerung vorhandene Stimmung gegen die algerische Immigration auszunutzen. "Franzose zu sein, muß man sich verdienen" – der Slogan, den Jean-Yves Le Gallou, der derzeitige Generaldelegierte des MN erfunden hat – ist orthodoxer Jakobinismus. Er bedient sich unausgesprochen der voluntaristischen Mechanik der "Grande Nation" – "Assimilation" oder "Integration" – und kennt als Alternative dazu nur eine hypothetische "Rückführung". In den letzten zwei Jahrzehnten hat jedoch eine völlig andere Entwicklung begonnen. Die Aufregung um den Sieg der französischen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft lieferte hierfür den besten Beweis. So weit, so gut: Es war höchste Zeit, daß Frankreich sich überzeugen ließ, daß diese Entwicklung nicht mehr rückgängig zu machen ist. Für die Politik bedeutet diese Feststellung, daß die einzige Leistung des FN darin bestand, jegliche Debatte unmöglich zu machen. Auf diese Weise hat er lediglich den Befürwortern einer multikulturellen Gesellschaft nach amerikanischem Vorbild in die Hände gespielt.

Als einzige Marktlücke bleibt ihnen der "französische Sonderweg". Der FN ist sich darüber im klaren, daß diese Linie derzeit wieder im Kommen ist.

Dem FN gelang es nicht, die Isolation zu überwinden

Seit Maastricht hat die technologische Abwicklung der europäischen Einigung in Frankreich einen Sturm der Entrüstung gegen die vollständige Aufgabe der nationalen Souveränität ausgelöst. Die Bauernfängerei, mit der diese Bewegung Anhänger gewinnt, bedient sich der Schimäre eines "zu starken" Deutschlands sowie des geheimen Verlangens nach einer neuerlichen "Revanche". Sie umgeht die Kluft zwischen Rechten und Linken und findet Nachahmer und Bewunderer sowohl unter den Monarchisten der "Action française" als auch unter Republikanern wie Jean-Pierre Chevènement oder Max Gallo. Dem FN ist es nicht gelungen, aus seiner Isolation auszubrechen und sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen und Allianzen zu schmieden. Noch viel weniger hat er es geschafft, regionalistische Forderungen zu berücksichtigen und sie in eine Bewegung für kulturelle Identität und Autonomie umzuwandeln. Kein Wunder also, daß der "Souveränismus" Politikern wie Charles Pasqua, Philippe de Villiers oder Marie-France Garaud in die Hände gefallen ist; kein Wunder, daß sein Chef, ein Abkömmling gaullistischer Politikstrukturen und Experte im Zynismus, eines schönen Tages verlautbarte: "Wahlversprechen interessieren bloß diejenigen, denen sie gemacht werden."

Der Rassemblement pour la France (Vereinigung für Frankreich), dessen Anfangsbuchstaben natürlich den Rassemblement du peuple français (Vereinigung des französischen Volkes) Charles de Gaulles in Erinnerung rufen sollen, hat schon angekündigt, einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen aufstellen zu wollen. Der RPF ist dabei, ein Abkommen mit der Alleanza Nazionale Gianfranco Finis abzuschließen. Als nächstes steht ein Einverständnis mit Jörg Haider an. Kurz gesagt, der RPF verwirklicht Bruno Mégrets Träume. Wie stehen seine Chancen, als neue "nationale Rechte" akzeptiert zu werden? Die ihm dies zutrauen, lassen sich bei den Pariser Frühstücken sehen, die Alain Robert veranstaltet – Robert ist der frühere Leiter des Ordre Nouveau (Neue Ordnung) und Charles Pasquas Kabinettchef. Sie umschwärmen Marie-France Garaud, die über eine seltsame Gabe der politischen Klarsichtigkeit verfügt (unter anderem hat sie Jacques Chirac bei seinen ersten Schritten in der großen Politik Hilfestellung geleistet). Ebenso intim sind sie mit dem ehemaligen Präfekten Jean-Charles Marchiani, der sich nicht scheut, den patriotischen Tonfall des FN für seine eigenen Kampagnen anzuschlagen. Andere wiederum geben sich skeptisch. Ihrer Ansicht nach wird diese Bewegung mit großer Wahrscheinlichkeit nichts anderes erreichen, als die radikale Rechte einiger weiterer ehrgeiziger Hoffnungsträger zu berauben.

Der Gerechtigkeit halber muß man hinzufügen, daß der FN aus einem politischen Klima hervorgegangen ist, in dem – getreu den Anweisungen der Komintern-Behörden, die Willy Münzenberg für die semantische Kriegsführung ausgegeben hat – jeder Andersdenkende als "Faschist" denunziert werden muß. In Frankreich, wo ein kultureller Zentralismus wütet, ist dieses Diktum um so wirkmächtiger, als es in intellektuellen Kreisen fortlebt, von denen allgemein bekannt ist, daß sie einst massiv hinter der sowjetischen Ideologie standen.

Die Hegemonie der Linken ist hier inzwischen ebenso allgegenwärtig wie allmächtig. Die französische Rechte hat keine Existenz mehr

Die ideologische Orientierung von Männern wie Alain Madelin, in den sechziger Jahren Aktivist und Gründer des Mouvement Occident (Bewegung des Westens), heutzutage Fürsprecher des Weltstaatsgedankens, von dem Möchtegern-Clinton Jacques Chirac ganz zu schweigen, macht deutlich, daß die französische Rechte keine eigenständige Existenz mehr hat. Die "totalitäre Demokratie", wie Alexandre Zinoniev sie einmal bezeichnete, hat ihren Siegeszug in Frankreich praktisch abgeschlossen. Das Wiedererstarken einer "nationalen Rechten" wird nur gelingen, wenn diese bereit ist, sich selbst zu hinterfragen und sich auf eine Metamorphose einzulassen. Was das Ergebnis dieses Prozesses sein wird und wie lange er dauern wird, läßt sich momentan nicht vorhersehen.


 
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