© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Wissenschaft: Die Fraunhofer-Gesellschaft feiert dieses Jahr ihr 50jähriges Bestehen
Eine praxisorientierte Ideenfabrik
Rüdiger Ruhnau

Um die Hälfte leichter als entsprechende Stahlteile, aber zehnmal stabiler, sind Autoteile aus geschäumtem Aluminium. Al-Pulver wird mit einem Treibmittel aufgeschäumt und durch Pressen verdichtet. Ein Zukunftswerkstoff für die Automobilindustrie? Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Materialforschung in Bremen entwickelt zusammen mit dem Karosseriebauer Karmann Fertigungstechnologien für konkrete Produkte. Dieser Werkstoff ist nur ein Beispiel für den Ideenreichtum und die Forschungsbreite der 1949 gegründeten Fraunhofer-Gesellschaft, benannt nach dem Physiker Joseph Fraunhofer (1787–1826).

Fraunhofer, Professor in München, untersuchte die Spektren von Planeten und Fixsternen, wobei er im Sonnenspektrum die als "Fraunhofersche Linien" bezeichneten dunklen Linien entdeckte. Er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Methodik im Bereich Optik und Feinmechanik. Nie verlor er das Ziel seiner Arbeit aus den Augen, nämlich die Umsetzung seiner Forschung in die Praxis. Dieser Zielsetzung hat sich auch die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) mit ihren 47 Instituten und 9.000 Mitarbeitern, davon ein Drittel Wissenschaftler, verschrieben, eine der weltweit größten Organisationen der angewandten Forschung. Die FhG betreibt mit staatlicher Förderung Vertragsforschung für Industrie und öffentliche Hand. Das jährliche Forschungsvolumen beträgt 1,4 Milliarden Mark.

Die Kombination von Erfinden und Vermarkten ist ein besonderes Merkmal der Fraunhofer-Forscher, sie wollen, daß ihre Entdeckungen wirksam werden. Innovative Industriepolitik nennt man das. Angewandte Forschung will mit klar formulierten Entwicklungszielen Probleme lösen und konkrete Anwendungen möglich machen. Wenn Deutschland wettbewerbsfähig bleiben soll, dann braucht es beides, Innovationen und Grundlagenforschung. Die Bedeutung der Grundlagenforschung zeigt beispielsweise das Studium der Oberflächenstrukturen auf den Blättern verschiedener Pflanzen. Die regelmäßige Anordnung von Wachskristallen auf manchen Blättern verleiht diesen eine wasser- und schmutzabweisende Eigenschaft. Durch das Aufbringen solcher den Blättern nachempfundenen Mikrostrukturen können Oberflächen aus fast jedem Werkstoff mit einem Selbstreinigungsmechanismus ausgestattet werden.

Der vorjährige Europäische Innovationspreis ging an das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. Ausgezeichnet wurde die Erfindung des weltweit ersten Roboters zum automatischen und emissionsfreien Betanken unterschiedlicher Fahrzeuge. Der Autofahrer muß an der Roboter-Tankstelle weder aussteigen, noch kommt er mit dem Kraftstoff in Berührung. Über einen an der Fahrzeugunterseite angebrachten Datenträger erhält das Robotsystem beim Einfahren alle erforderlichen Daten über Fahrzeugtyp, Lage des Tankdeckels und die benötigte Treibstoffsorte. Zwei Laserscanner bestimmen die genaue Fahrzeugposition. Sobald der Tankwunsch eingegeben ist, dockt der Roboter an, öffnet den Tankdeckel und betankt das Fahrzeug.

Die 50jährige Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft ist geprägt von mancherlei Umbrüchen. Auf der Grundlage einer erfolgsunabhängigen Grundfinanzierung neben strenger Ausrichtung auf den Markt setzte in den achtziger Jahren ein stürmischer Wachstumsprozeß ein. Die Forschungslandschaft wurde in acht Sektionen gegliedert. Die Gesamtaufwendungen stiegen in den letzten Jahren von 700 Millionen Mark auf das Doppelte an. Der seit 1993 amtierende Präsident, Hans-Jürgen Warnecke, versucht durch konsequente Verflechtung der Institute und enge Verknüpfung mit der Wirtschaft Synergieeffekte zu erzielen. Aus der staatlich grundfinanzierten Forschungseinrichtung soll ein marktorientiertes Unternehmen werden. Wichtig ist, daß die 47 Forschungsinstitute mit ihrer flexiblen Grundstruktur rasch auf sich ändernde Märkte reagieren können.

Eine Leistung der Fraunhofer-Forschung werden die meisten Zuschauer aus dem Wetterbericht des Fernsehens kennen, den virtuellen, von einem Computer simulierten Flug über verschiedene Städte Deutschlands hinweg, in denen es entweder regnet, schneit oder vielleicht auch die Sonne scheint. Entwickelt wurde die virtuelle Realität vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt. Überhaupt sind die Darmstädter bei diesem Trendthema Spitze. Virtuelle Simulationen haben Einzug in Konstruktionsbüros und Fabriken gehalten. Komplizierte Datenberge sollen in einprägsame Bilder umgesetzt werden. Unternehmen wie BMW oder Volkswagen lassen ihre Designer in virtuellen Fahrzeugen probesitzen. Wo früher Holzmodelle oder Papierpläne angefertigt wurden, kann der Prototyp eines Autos heute als 3D-Modell im virtuellen Raum (CAVE) betrachtet werden. Bei BMW rechnet man damit, in fünf Jahren alle Autos nur noch im Computer zu entwickeln.

In den Werkshallen der Automobilindustrie sind die Laser auf dem Vormarsch, unentbehrlich beim Schweißen, Schneiden, Härten und Formen von Werkstücken. Ein 20 Kilowatt starker Lichtstrahl wird auf einen winzigen Brennfleck von einem halben Millimeter Durchmesser gebündelt, in dem Stahl punktgenau schmilzt. Das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen entwickelt in Kooperation mit Autofirmen sogenannte diodengepumpte Festkörperlaser, meist Neodym-YAG-Laser hoher Leistung. Die kurze Wellenlänge gestattet es, auch Aluminium zu schweißen, das wegen der Gewichtsreduzierung im Fahrzeugbau zunehmend verwendet wird. Die Vorteile der Hochleistungsdiodenlaser werden in den Fertigungsstraßen der Autobauer die Produktionsmethoden erheblich beeinflussen. Mittlere und kleine Unternehmen sind häufig nicht in der Lage, ausreichende Forschungskapazitäten zu unterhalten, sie erteilen dann Aufträge für bestimmte Forschungsprojekte, wodurch es wiederum der FhG ermöglicht wird, zwei Drittel ihrer Ausgaben aus eigener Kraft zu finanzieren. Etwa fünf Prozent des Haushalts entfällt auf die Verteidigungsforschung. Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie verfügt über eine langjährige Kompetenz bei chemischen Energieträgern wie Explosiv- und Treibstoffen. Es ist das einzige Explosivstoff-Forschungsinstitut in Deutschland und Forschungspartner des Bundesverteidigungsministeriums. Bedeutsam sind auch alle Arbeiten des Instituts auf dem Gebiet Feststoffraketenantriebe für die Raumfahrt.

Forschungsergebnisse, Patente und daraus resultierende technische Erneuerungen sind die Grundlage für wirtschaftliches Überleben. Schon Werner von Siemens hatte vorausgesagt, daß die Industrie eines Landes niemals eine Spitzenstellung erreichen kann, wenn das Land nicht gleichzeitig führend auf naturwissenschaftlichem Gebiet ist. In den USA und Japan kommen 800 Beschäftigte in Forschung und Entwicklung auf 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es 550.

Die Fraunhofer-Gesellschaft geht aktiv gegen den Nachwuchsmangel bei Ingenieuren und Naturwissenschaftlern vor. Fast alle Institute geben Schülern und Studenten die Möglichkeit, den Forschungsbetrieb von innen kennen- und schätzenzulernen.

Hightech-Produkte, wie die Magnetbahn Transrapid, der Cargo-Lifter, der 160 Tonnen Nutzlast ohne Zwischenlandung um die Welt befördern kann, oder der gerade seine Testflüge absolvierende Zeppelin NT begeistern nicht nur weltweit Ingenieure, sie sind für das Ansehen einer Industrienation unerläßlich.

Die vielfältigen Aktivitäten zum 50-jährigen Jubiläum der FhG stehen ganz im Zeichen ihres Anliegens, Forschung und Wissenschaft den Menschen näher zu bringen. Technologietransfer und Kommunikationspolitik sind wichtige Entwicklungspotentiale, auch hier hat die Gesellschaft eine Pionierrolle übernommen, um ihren Beitrag zur technologischen Zukunftssicherung unseres Landes zu leisten.


 
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