© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Esoterik-Tage: Geistheiler, Handleserinnen, Feng-Shui-Meister und wiedergeborene Hexen
"Materie ist nichts"
Manuel Ochsenreiter / Detlev Rose

"Nein, nein. Sie sind doch die Antenne!" belehrt uns die grauhaarige Dame hinter dem Messestand. Aus Angst vor längeren Erklärungen legen wir das Pendel sofort in die Vitrine zurück. Denn daß wir in uns höhere Geisteswesen herumtragen, wußten wir ja bereits – daß wir aber auch noch Antennen sein sollen, ist schon etwas arg belastend.

Überhaupt ist es sehr schwer, im reichhaltigen Angebot der Esoterik-Tage in Lindau das für uns Passende zu finden. Sollen wir per Aura-Fotografie herausfinden, in welcher Stimmung wir uns gerade befinden? Oder lieber eine Hopi-Kerze ins Ohr stecken? Oder uns rasch mal eben zu Geistesheilern ausbilden lassen? Alles zusammen ginge ohne weiteres an einem einzigen Nachmittag.

Mit verklärtem Blick drückt uns Tara den kopierten und liebevoll ausgeschnittenen Gutschein für eine kostenlose mediale Kurz-Lebensberatung in die Hände. Ein Schnäppchen, denn sonst verlangt die Pädagogin, Dipl.-Phys.-Astrophys., Heilerin, stolze 130 Mark pro Stunde. In ihrem kleinen Messe-Kabuff beschert sie so orgastisches, ekstatisches Heilen. Aus Sorge, sie meint tatsächlich orgastisch und nicht orgiastisch, lassen wir diesen Kelch an uns vorübergehen. Sie findet schon noch den Richtigen. Überall begegnen uns die typischen Esoterik-Freaks.

Frauen mit Ponchos und Oberlippenflaum, überschminkte Handleserinnen, hagere Männer mit sensiblem Blick, hier und da begegnete uns auch mal ein Indianer, oder zumindest ein verkleideter Studienrat, der sich dafür hält. Wo man hinschaut, protzen Feng-Shui-Meister und wiedergeborene Hexen mit ihren angeblichen Erlebnissen und beeindrucken damit glücksteingläubige Frusthennen: "Ich habe letzte Woche die Tachionen für mich entdeckt. Nachher lasse ich erst mal meine Aura reinigen."

Angeheizt durch die von Spiritualität aufgeladene Atmosphäre, lockt uns der Vortrag "Geistesheilung mit Demonstration". In der Ankündigung heißt es nämlich, daß Spontanheilung keine Seltenheit sei. Auf einem Bild posiert der Meister mit dem unscheinbaren Namen Edmund Hoffmann mit einem Ich-denke-in-Jahrtausenden-Blick. Was sind wir gespannt. Zu unserer maßlosen Enttäuschung steht keine Lichtgestalt vor uns, sondern ein schwarzgekleideter, kleiner dicklicher Mann, der wie ein Wasserfall redet. Er verblüfft mit Äußerungen wie: "Geist ist alles und Materie ist nichts!" und verspricht seinem Auditorium Allmacht, Allumfassenheit und Allwissenheit. Das finden wir cool. Doch was zeichnet einen aus, der allmächtig ist?

Nun, was Edmund Hoffmann angeht, so gesteht er, ohne Bankkonto und Krankenversicherung auszukommen. Ob er sich mit den Verrechnungsschecks, die Edmund auf seiner umfangreichen Preisliste als Zahlungsmöglichkeit angibt, die Kissen stopft oder die Wände tapeziert, bleibt uns verschlossen. Wahrscheinlich zahlt er sie aber auf sein Sparkassenkonto in Herford ein (Nummer 103005468), welches er auf seiner Homepage nennt. Ob er uns da ein bißchen angeflunkert hat? Daß aber über 100 Jahre nach Bismarck noch jemand ohne Versicherung hier lebt, beeindruckt uns wirklich.

Überhaupt meint es Edmund gut mit seinem Publikum. Ständig fordert er es auf, die Hände auseinander zu nehmen, damit die Energien besser fließen. Die aufgeschlossenen und aufnahmebereiten Gesichter signalisieren ihm, daß jetzt Zeit für die Spontanheilung ist. Nach einer mittelmäßigen Show-Einlage bestätigt eine wehleidig dreinblickende Person, daß es ein bißchen besser, aber nicht ganz weg sei. Also ein voller Erfolg!

Erstaunen löst nicht mal seine Erklärung von der Herkunft des Welt-Elends aus. Denn wir sind alle selbst schuld, und Erdbeben, Vulkanausbrüche, Flugzeugabstürze und diverse Weltkriege resultieren aus unseren unreinen Gedanken. Ob die draußen tanzende Indianer-Gruppe weiß, daß sie nach dieser Denkart selbst schuld an ihrer Ausrottung sind? Edmund Hoffmann weiß das sicherlich, denn er ist immerhin seit 1979 in der Lage, auf der Akashaebene Informationen zu empfangen. Weiter ist Edmund Hoffmann die deutsche Ausgabe des "Sensationell", denn er ist nach eigenen Angaben hellsichtig, hellhörig und hellfühlig. Dennoch verzichten wir darauf, mit dem Meister zu "channeln" (Kosten: 80 Mark) und können nur empfehlen, die 12 Mark Esoterik-Tage-Eintritt lieber für ein kühles Blondes an der Lindauer Hafenpromenade auszugeben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen