© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


EU: Das Europäische Parlament überprüft die Kandidaten für die Europäische Kommission
Kröten müssen geschluckt werden
Johanna Christina Grund

Die vorausgesagte hochnotpeinliche Befragung der 15 neuen und vier alten Kommissare durch die Abgeordneten der Fachausschüsse des EU-Parlaments in Brüssel glich in der ersten Anhörungswoche eher dem Gesang der Nachtigallen als dem Brüllen der Löwen. Nur auf zwei der 15 bis Freitag geprüften Bewerber, nämlich die Spanierin Loyola de Palacio und den belgischen Wallonen Philippe Busquin, ließen die Parlamentarier ihren Groll los und bezweifelten sowohl Redlichkeit als auch Fähigkeit. Doch die Europaabgeordneten befinden sich in einer schwierigen Situation. Der für Forschung nominierte Physiker Busquin (Sozialist) mag noch so schlecht agiert haben, als ihm der Ausschuß fachliche Inkompetenz und Verwicklung in die Agusta-Schmiergeldaffäre vorwarf, die für Verkehr und Energie nominierte ehemalige Landwirtschaftsministerin de Palacio (Konservative) mag noch so arrogant ihre Verantwortung für das Verschwinden von EU-Fördergeldern nach Spanien geleugnet haben, nehmen müssen die Parlamentarier beide doch.

Denn sie können laut Reglement am 15. September nur die gesamte designierte Kommission bestätigen oder ablehnen, dürfen nicht die schlechten Bewerber kippen, die guten aber in ihre Ämter berufen. Der neue Präsident Romano Prodi setzt zudem den Mandataren unbekümmert die Pistole auf die Brust. Er zieht keinen Kommissar zurück. Er lehnt es ab, diese Mannschaft nur bis Jahresende 1999 wählen und dann im eigentlichen Wahlturnus eine neue Abstimmung für die reguläre Periode von Januar 2000 bis Dezember 2004 veranstalten zu lassen. In einem solchen Falle werde er gleich zurücktreten und das Parlament mit dem Kommissionstorso und der Krise der EU alleinlassen. Er trifft damit die Abgeordneten an ihrer empfindlichsten Stelle. Freien Bürgern, die das EU-Syndikat lieber heute als morgen scheitern sehen, ist das Schicksal der Union kein Nachgeben wert. Die Mehrheit der Politiker in Brüssel und Straßburg aber folgt ihren Visionen vom vereinten Europa und kann deshalb die Europäische Union samt ihrer Kommission, und wäre sie noch so schlecht, nicht verkommen lassen. Sie wird am 15. September auch de Palacio und Busquin und mögliche weitere taube Nüsse für gut befinden, wird Rosinen schlecken und gleichzeitig Kröten schlucken.

Denn unabhängig von der grundsätzlichen Distanz Euroturbos gegenüber gibt es in der neuen Kommission ausgezeichnete Kenner ihrer Fachressorts. Auch dies offenbarten die Anhörungen deutlich. Franz Fischler aus Österreich als Agrarexperte, Chris Patten aus Großbritannien als Hongkong-erfahrener Außenpolitiker, Pascal Lamy aus Frankreich als Kaufmann, zuständig für Handelsfragen, hinterließen einen guten Eindruck. Und der Deutsche Günter Verheugen, der mit dem Gebiet der Osterweiterung der EU ein echtes Himmelfahrtskommando übernimmt, spielte recht glaubwürdig den energischen Anwalt aller Skeptiker veralteter Atomanlagen und das Schreckgespenst für Beitrittswerber, die energiepolitisch und finanztechnisch auf solche Stromproduzenten angewiesen sind. Er forderte einen genauen Zeitplan für die Abschaltung der Kraftwerke Ignalina in Litauen, Kosloduj in Bulgarien und Bohunice in der Slowakei, ehe die Gipfelkonferenz Anfang Dezember in Helsinki sich mit der Frage der Beitrittsverhandlungen für jene Gruppen von Ländern befaßt, die derzeit noch auf die Reservistenbank verbannt sind.

Probleme mit Kommissionskandidatinnen dürfte es bis zum Dienstag trotzdem noch gegeben haben, da die bürgerliche Mehrheit im Parlament und vor allem die deutschen CDU/CSU-Mandatare die vorgeschlagene grüne Haushaltsexpertin Michaele Schreyer auf Wissenslücken pedantisch untersuchten. Sie wollten gern beweisen, daß die Berufung eines schwarzer deutscher Kommissars viel klüger gewesen wäre. Auch mit der Griechin Anna Diamantopoulou, zuständig für Beschäftigung und Soziales, sind die Parlamentarier ausgesprochen kritisch umgesprungen. Diamantopoulou hatte nämlich ihre schriftlichen Hausaufgaben wenig überzeugend angefertigt, so daß Zweifel laut wurden, ob sie den Aufgaben des Amtes überhaupt gewachsen sei. Aber auch in diesen beiden Fällen gilt: Wer Prodi und seine Stars braucht, muß alle seine Kröten trotz Groll und Graus mitschlucken.

 

EU: Die Kandidaten für die neue EU-Kommission
Fähige und Unfähige

Romano Prodi (Italien): Präsident

Neil Kinnock (Großbritannien): Vizepräsident, Administrative Reform

Loyola de Palacio (Spanien): Vizepräsident, Beziehungen zum EU-Parlament, Verkehr & Energie

Mario Monti (Italien): Wettbewerb

Franz Fischler (Österreich): Landwirtschaft und Fischerei

Erkki Liikanen (Finnland): Unternehmen und Informationsgesellschaft

Frits Bolkestein (Niederlande): Binnenmarkt

Philippe Busquim (Belgien): Forschung

Pedro Solbes Mira (Spanien): Wirtschaft und Währungsangelegenheiten

Poul Nielson (Dänemark): Entwicklung und humanitäre Hilfe

Günter Verheugen (Deutschland): Erweiterung

Chris Patten (Großbritannien): Außenbeziehungen

Pascal Lamy (Frankreich): Handel

David Byrne (Irland): Gesundheits- und Verbraucherschutz

Michel Barnier (Frankreich): Regionalpolitik

Viviane Reding (Luxemburg): Bildung und Kultur

Michaele Schreyer (Deutschland): Haushalt

Margot Wallström (Schweden): Umwelt

António Vitorino (Portugal): Justiz und Inneres

Anna Diamantopoulou (Griechenland): Beschäftigung, soziale Angelegenheiten


 
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