© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


Vor zehn Jahren wurde das Neue Forum gegründet
(JF)

Die Kommunalwahlen in der DDR vom 7. Mai 1989 hatten erstmalig die Kraft einer vorhandenen Opposition in der Bevölkerung gezeigt. Die zahlreichen Anzeigen wegen Verdachtes auf Wahlfälschung bewiesen den Unmut weiter Teile der Bevölkerung. Als im Juli die Schulferien begannen und etwa drei Millionen DDR-Bürger die ihnen zugänglichen Ostblockstaaten bereisten, nutzten bis zum 16. August rund 600 Mitteldeutsche die Gelegenheit, in Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Dies war die Reaktion auf die völlige Mißachtung der spürbaren Unzufriedenheit der Deutschen in der DDR durch die SED-Führung unter Honecker. Seit der 8. ZK-Tagung vom 22. und 23. Juni 1989 stand sogar die Mehrzahl der Ersten Bezirkssekretäre der SED im Widerspruch zu ihrem Generalsekretär. Lediglich die Statthalter von Rostock, Schwerin, Gera und Suhl standen noch bedingungslos hinter Honecker. Als der sich Anfang August einer Gallenoperation unterziehen mußte, blieb das Politbüro bis Ende September 1989 führungslos. Seine Vertreter, Egon Krenz und ab Mitte August Günter Mittag, fühlten sich lediglich "verwaltungstechnisch" zuständig und bereiteten die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR vor. Diese Situation schuf günstige Bedingungen für die Opposition, sich zahlenmäßig zu vergrößern und an die Öffentlichkeit zu treten.

Am 11. September 1989 versammelten sich 30 Regimekritiker in Grünheide, unweit von Erkner am östlichen Stadtrand Berlins. Zu den Teilnehmern zählten die Grafikerin Bärbel Bohley, der Arzt Jens Reich und der Rechtsanwalt Rolf Henrich. Letzterer war bereits mit Berufsverbot belegt worden, seit im April 1989 sein Buch "Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus" erschienen war. Der ehemalige SED-Parteisekretär aus Frankfurt/Oder wurde nun von der Staatssicherheit, wie etwa 10.000 weitere DDR-Bürger, als "feindlich-negative Kraft" bewertet.

Die Grünheider Gruppe gab sich den Namen "Neues Forum" als politische Plattform für die ganze DDR, für die Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen und Parteien. Als Ziel wurde im Gründungsaufruf "die Umgestaltung der Gesellschaft" gefordert, "weil in unserem Land die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört (ist)". Den Aufruf unterzeichneten 1.500 Bürger, darunter zehn Prozent SED-Mitglieder.


 
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