© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Intellektuelle: Peter Sloterdijk wehrt sich gegen Denunziationen
Eine Intrige per Telefon
Günter Zehm

Der intellektuelle Diskurs ist auch nicht mehr der, der er einmal war. Immer öfter verheddern sich die Strippen, an denen die Strippenzieher ziehen, so im Falle des Philosophen Peter Sloterdijk, den man der Öffentlichkeit jüngst als "Faschisten" bzw. "Krypto-, Proto- und Neofaschisten" vorführen wollte.

Sloterdijk hatte auf einem theologischen Symposium über brisant-aktuelle Fragen der vorgeburtlichen Diagnostik und Selektion referiert. Anknüpfend an Heideggers berühmten Humanismusbrief von 1946 hatte er einige interessante Ansichten geäußert, z. B., daß es einen Unterschied zu machen gelte zwischen "legitimen genmedizinischen Optimierungen für die Einzelnen" und "illegitimen Biopolitiken für Gruppen".

Alsbald hob in der linken Presse, in der Frankfurter Rundschau und in der Süddeutschen Zeitung, in der Zeit und im Spiegel, ein wüstes Geschrei an, eben über den "Faschisten" Sloterdijk. Der habe "mit ungeheuerlicher Aggressivität" eine "Wiedergeburt der Menschheit aus dem Geiste des Reagenzglases" gefordert, "und das vor teilweise jüdischen Zuhörern".

Früher hätte solches Geschrei genügt, um den Attackierten als Unperson abzustempeln und dauerhaft zum Schweigen zu bringen. Heute ist das nicht mehr so einfach. Sloterdijk, als ehemaliger 68er mit besten Beziehungen zu einschlägigen Infokanälen, wehrte sich und hat inzwischen einen "Offenen Brief" veröffentlicht, in dem er in furioser Weise und blendendem Stil die Hintermänner des Geschreis kenntlich macht, genauer: den Hintermann, nämlich den emeritierten "Diskursethiker" und BRD-Chefideologen Jürgen Habermas, der offenbar eine bösartige politische Intrige gesponnen hat, mit der ausdrücklichen Absicht, Sloterdijk, weil er für die Linken unbequem geworden ist, zu vernichten.

Ohne auch nur ein einziges Mal mit Sloterdijk selbst zu sprechen, habe Habermas, so erfahren wir, wochenlang über ihn "grob gepoltert und fein agiert". "Sie haben, sehr geehrter Herr Habermas, zwischen Hamburg und Jerusalem herumtelefoniert, um andere zu Ihrem Irrtum zu bekehren. Sie haben Kollegen, die meine Elmauer Rede bemerkenswert fanden, sogar massiv unter Druck gesetzt. Mehr noch, Sie haben Raubkopien des Textes angefertigt (der Ihnen privatim überlassen worden war) und diese, unter Verletzung aller guten kollegialen, akademischen und publizistischen Sitten, an Journalisten, die Ihre Schüler waren und sind, geschickt mit einer expliziten Anleitung zum Falschlesen und mit einer Aufforderung zum Handeln."

Und weiter lesen wir in Sloterdijks Offenem Brief an den sehr geehrten Herrn Habermas: "Sie haben Teilnehmer der Elmauer Tagung mit latent erpresserischen Vorwürfen überschüttet, daß sie in situ nicht so exzentrisch wie Sie auf meine Rede reagiert hatten. Sie haben bei einem Mitarbeiter der Zeit sowie einem Autor des Spiegels Alarmartikel in Auftrag gegeben, bei denen Ihr Name nicht fallen sollte (...) Es gibt, soweit ich sehe, in der Theoriegeschichte keinen Präzedenzfall, daß sich ein Denker in einer so prekären Sache so diskret und effizient hat vertreten lassen wie Sie."

Nun, was soll’s, ist man versucht zu fragen, so geht das nun mal zu in der von Habermas propagierten "Diskursethik". Wirkliche Debatten finden darin nicht statt, ja, es ist geradezu die Absicht, das "Anliegen", dieser putzigen Ethik, Sachdebatten zu verhindern, sie durch "ideologiekritische Analysen", vulgo Denunziationen, zu ersetzen.

Man widerlegt den Träger mißliebiger Argumente nicht, sondern man schließt ihn als Person aus dem Diskurs aus, macht ihn zum Ding. Und man leistet diese Art von Verdinglichung nicht einmal selber, sondern hält sich schlau im Hintergrund, überläßt die Dreckarbeit bequemerweise willigen Kettenhunden, die man bei einflußreichen Medien untergebracht hat und die befehlsgemäß reagieren, indem sie den Delinquenten mit den üblichen ausgekauten Stigmatisierungs-Gummis bekleben.

Worüber beklagt sich Sloterdijk eigentlich? Das ist doch genau die Methode, die einst auch er ganz ungeniert für richtig gehalten hat. Er soll froh sein, daß man ihn bisher nur denunziert hat und ihn nicht, wie beispielsweise kürzlich seinen Philosophie-Kollegen Peter Singer, dem "Volkszorn" ausliefert und ihn grün und blau prügeln läßt.

Trotzdem ist es natürlich höchst erfrischend und wegweisend, daß sich Sloterdijk so laut und so formulierungssicher über Habermas beklagt. Sein Offener Brief liefert ein neues, kräftiges Indiz dafür, daß die "intellektuelle Hegemonie der Linken", von der die Kettenhunde so gern schwärmen, definitiv zu Ende ist – so sie überhaupt je existiert hat.

"Intellektuelle Hegemonie": der Sinn des Wortes kann doch nur sein, daß der Hegemon über die besseren Argumente gebietet, über das feinere Sprachspiel, über die größere Nähe zum Leben mit seinen erlebbaren Wirklichkeiten. Solche Hegemonie hatte die Linke nie. Marx konnte Nietzsche nie das Wasser reichen, so wenig wie Gramsci Pareto, Adorno war ein kleines Licht im Vergleich zu Heidegger, Habermas verblaßt zur Unsichtbarkeit vor dem Schatten von Gadamer oder auch vor dem des neuen Sloterdijk.

Die Linke verwechselt intellektuelle Hegemonie immer mit simpler, brutaler Machtausübung. Macht hatte sie natürlich oft und hat sie auch heute. Ihre Diskursaufseher sitzen mit fetten Hintern überall in den bequemen Sesseln, aber es fällt ihnen nichts ein außer Phrasen und trostloser Sprachvergewaltigung; man sehe sich die Habermasschen Hervorbringungen unter stilistischen Gesichtspunkten an! So bringen sie ihre Tage hin mit dem Spinnen von Machtintrigen gegen diejenigen, denen was einfällt, und das nennen sie dann "Diskursethik" und "intellektuelle Hegemonie". Lange geht das aber nicht mehr gut.

 

Prof. Dr. Günter Zehm lehrt Philosophie an der Universität Jena.


 
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