© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Ausstellung: "Traum und Mythos" – Bilder von Birgit Hans in Dresden
Inspiriert von uralten Mythen
Helene Scharl

In der Veranstaltungsreihe "Kunst im Lesesaal" präsentiert die Außenstelle Dresden des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erstmals eine Werkausstellung der Malerin und Bühnenbildnerin Birgit Hans. Die Gemäldeausstellung "Traum und Mythos" der zur Zeit in Erfurt engagierten Künstlerin zeigt Arbeiten aus ihrem fast zwei Jahrzehnte umfassenden Schaffen. Schirmherr der Ausstellung ist der Sächsische Kultusminister Matthias Rößler.

In einem vor Ausstellungsbeginn veröffentlichten Interview erläutert Birgit Hans ihre Ansichten: "Mich fasziniert immer wieder die Vorstellung des Irrealen – Räume, die es eigentlich nicht gibt, Farben und Formen, entstanden aus Bild gewordenen Emotionen. Es ist eine erdachte und erträumte Welt, inspiriert von uralten Mythen. In meiner Einbildung sind diese Legenden mit Eindrücken und Stimmungen aus der Natur und der Musik verwoben."

"Traum und Mythos": Welche Persönlichkeit verbirgt sich hinter der Künstlerin? Das Wort "Traum" ist mit dem Begriff "trügen" verwandt, bedeutet Phantasieerlebnis und im weitesten Sinne unwirkliches Ersehen. Künstlerische Phantasie verbindet real Gesehenes mit eigenen Anschauungen: Darstellungen mittels des Genres. In früheren Hochkulturen und der Antike maß man dem Traum und der Traumdeutung eine wichtige Rolle bei. In den Religionen spielt der Traum oft eine dem wachen Erleben gleichgestellte oder dies sogar übersteigende Wirklichkeit vor. Die vorgeschichlichen Vorstellungen verschmolzen im Mythos, gingen später in landlebigen, thematisch oft variierten Legenden auf. Die symbolische Verklärung finden wir noch heute in den modernen Legendenbildungen, Idole schaffend, vor.

Wir treffen uns zur Ausstellungseröffnung Anfang August in den Räumlichkeiten des Stasi-Beauftragten. Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung betrachten die mehr als 50 erschienenen Gäste die Gemälde, tauschen ihre Eindrücke aus. Ein Gemälde fällt sofort auf, es trägt den Titel "Die Seherin". Frau Hans erklärt: "Diese Frauenfiguren aus dem Grenzbereich Mythologie und Geschichte haben mich schon immer fasziniert, jene alten Göttinnen, Urzeitschamaninnen, Priesterinnen, von der Wala bis zur Kassandra. Im Traum sehen, im Schlaf wissen – von der Wala erzählt die Sage, daß sie, die Urmutter, im Schoß der Erde, die sie selbst ist, schläft und im Traum alles sieht, im Schlaf alles weiß." Kurz allein gelassen, schweift der Blick über die Darstellung der "Rusalka", von Normen, Wassweweswn, dem Fährmann Charon aus der Orpheus-Legende, und dem Gemälde "Die Höhlen".

Beim Betrachten dieses Bildes glaubt man, hinter jeder Biegung ein Geheimnis entdecken zu können. Magisch empfängt mich der organische Innenraum, nicht vergleichbar mit künstlich errichteten Gebäuden. Scheinbar willkürlichen Formen folgen die Linien: Die Kraft des Wassers gestaltete das Gestein; irreal und wirklich zugleich empfängt den Betrachter ein unbekannter Raum – anziehend, Geborgenheit vortäuschend, bedrohlich.

Unwillkürlich zieht es einen wieder vor "Die Seherin". Ob es ein Selbstporträt der Künstlerin sein könnte? Wie hinter einer sich lichtenden Nebelwand taucht das Gesicht mit den geschlossenen Augen auf. Keine scharfen Begrenzungen leihen dem Gesicht Ausdruck für äußere Erkennbarkeit der Gefühlswelt. Die Konturen sind schemenhaft, die Frau scheint in sich gekehrt – transzendent und abwesend. Kontraste gehen weich über, verklärt der Gesichtsausdruck. Die Farbgebung: Schwarz in Grau übergehend, das hellhäutige Gesicht behauptet sich nach oben in fließenden, sich scheinbar lichtenden Räumen. "In der antiken Welt gab es vielerorts Orakelplätze, an denen Frauen in Trance versunken, Dinge wahrnahmen, die für uns heute nicht mehr nachvollziehbar sind. Wir leben zu rational. Wo blieb unsere Intuition, das in sich Ruhende, das tiefe Wissen, unsere Seele, unser Selbst? Wir haben viel gelernt, aber was wissen wir wirklich?" setzt Birgit Hans das kurzzeitig unterbrochene Gespräch fort, bevor sie sich endgültig verabschiedet

Ein letzter Blick fällt auf das Gemälde "Die Meditation im Wald". Es erinnert an Eindrücke aus der Natur, die Suche nach Ruhe und Ausgeglichenheit. Unterwegs im Gebirge oder im Wald, ist der allgegenwärtige Eingriff des Menschen in der Natur zu sehen. Der Blick gaukelt unverdorbene, ungerührte, intakte Umwelt vor. Doch was hat der Mensch seiner Umwelt angetan! Die scheinbar unentbehrlichen Dinge des Lebens bekommen ein anderes Gewicht. Das An- und Abschwellen des Windes in den Wipfeln kommt aus der Ferne wie eine Woge, schwillt an, verebbt. Wie lange schon, wie lange noch? Das Schwirren der Insekten, das Grollen des Donners, die Mittagsstille, die Dämmerung – jede Stimmung hat ihre Zeit, ihren eigenen Duft. Es ist ein Stück Sehnsucht nach dem Leben im Einklang mit der Natur, und es ist die Zeit der Seherin...

Die Ausstellung "Traum und Mythos" in der Gauck-Behörde, Risaer Straße 7, 01129 Dresden, ist bis zum 22.Oktober werktags von 17 bis 22 Uhr zu sehen.


 
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