© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Kurt Sontheimer: So war Deutschland nie. Anmerkungen zur politischen Kultur
Normalität ohne Schatten
Georg Willig

Der Titel "So war Deutschland nie" ist auf den ersten Blick ein wenig obskur. Kurt Sontheimer will ihn in zweifachem Sinne verstanden wissen: Deutschland ist etwas ganz anderes geworden als das, was in seiner früheren Geschichte angelegt war; und die Bundesrepublik war nie so, wie sie ihre inneren Feinde böswillig oder von Vorurteilen erfüllt, gezeichnet und zur Karikatur verzeichnet haben.

Die gewählte Form von knappen Essays zu bestimmten Leitmotiven, wie "Der Geist der Stunde Null", "Deutschlands Weg nach Westen", "Der Geist wird politisch", "Deutschland nach der Wiedervereinigung" verhindert nicht den Gesamteindruck einer konzentriert dargestellten Geschichte: in großen Zügen, mit den wichtigsten Stationen, ohne ideologischen Ballast.

Vielleicht hat sich Sontheimer doch etwas zu sehr von seinem nicht mehr ganz frischen Steckenpferd, Geist und Macht immer wieder als getrennte Kräfte zu sehen, mitreißen zu lassen: Wo ist ein gemeinsamer Geist zwischen Dichtern und Schriftstellern wie Grass und Walser? Ist die politische Einsicht bei Romanschriftstellern wirklich größer als bei Ärzten und Angestellten? Wer hat eigentlich "die Macht"? Wie wirkt sich das im einzelnen aus? Dazu gibt es bei Sontheimer keine Antworten.

Das Schlüsselwort der kritischen Diskussion der fünfziger und sechziger Jahre über den Weststaat, dem viele Intellektuelle die DDR als Hoffnungsträger gegenüberstellten, war "Restauration". So konnte es geschehen, daß der bedeutende Philosoph Karl Jaspers, der damals nach Basel emigrierte, in seinem 1966 erschienenen Buch "Wohin treibt die Bundesrepublik?" diesem Land den Weg von der bestehenden Parteienoligarchie zum autoritären Staat, zur Diktatur und in einen neuen Krieg voraussagte. Und der kluge Essayist H. M. Enzensberger hielt 1968 den Zustand der Bundesrepublik für unheilbar. "Das politische System läßt sich nicht mehr reparieren. Wir müssen es durch ein neues System ersetzen." Inzwischen hält er seine Rede von damals für "Quatsch". Immerhin ein Zeichen von seltenem Bekennermut. Aber viele sind diesen Kritikern in ihrem Absolutheitsanspruch gefolgt, ihren Haß steigernd bis zum Terrorismus gegen den "Bullen- und Überwachungsstaat".

Es ist gut, an diese Dinge beiläufig noch einmal erinnert zu werden, denn von dieser Kritik ohne Maßstab sieht Sontheimer auch heute noch einen einflußreichen Teil unserer Medien beherrscht, was dazu führe, daß "ein nicht unbeachtlicher Teil unserer Gesellschaft mürrisch und unzufrieden in verhältnismäßig optimalen Verhältnissen lebt".

Eines der aufschlußreichsten Kapitel ist das über das Für und Wider der Wiedervereinigung, versehen mit zum Teil grotesken Zitaten von "Geistesgrößen", die sie heute wohl lieber vergessen möchten. Sontheimer gehörte nie zu denen, die vor einem neuen, vereinigten Deutschland Angst hatten. Er schreibt: "Gerade für die weitere Entwicklung Europas ist es wichtig, daß der deutsche Nationalstaat demokratisch und fest fundiert ist, denn allein der nationale Staat bietet ungeachtet aller supranationalen Zusammenschlüsse wie die Europäische Union den eigentlichen Raum für die Entfaltung und Bewährung demokratischer Politik". Und er zitiert den Ostberliner Professor Richard Schröder mit dem Satz: "Eher könnte es nun das Zusammenleben der Völker stören, wenn die Deutschen sich weiterhin weigerten, ein Volk unter Völkern zu sein, weil sie schon wieder etwas Besonderes sein wollen, etwa eine postnationale Gesellschaft bestehend aus Europäern oder auch bloß aus Menschen, die bloß Menschen sein wollen und sonst nichts".

Das überwiegend positive Bild, das Sontheimer mit Sympathie und Zuversicht von der Bundesrepublik zeichnet, muß aber auch von dem, der nicht zum Pessimismus neigt, etwas eingedunkelt werden, wenn er an Fragen denkt, die der Autor beiseite läßt. Der Hinweis gilt dabei nicht, daß es sich bei seinem Buch nur um "Anmerkungen" handele, denn es bietet ja auch eine komprimierte Bestandsaussage über den heutigen Zustand des Landes. Da ist das große Problem der explodierenden Staatsausgaben, der Verschuldung, die wir auf kommende Generationen schieben, der Parteien, die mehr versprechen, als sie halten können, nur um die Wahlen zu gewinnen. Es ist das, was der große Liberale Hayek einmal bitter als "Schacherdemokratie" bezeichnet hat. Das "Deutsche Modell" ist wohl doch nicht mehr so gut, wie noch mancher glaubt. Die Wolken am Horizont, die ja auch die politische Landschaft eintrüben, will Sontheimer in diesem Buch nicht sehen.

 

Kurt Sontheimer: So war Deutschland nie. Anmerkungen zur politischen Kultur der Bundesrepublik. Verlag C. H. Beck, München 1999, 262 Seiten, 38 Mark


 
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