© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Vereinsmeierei: Für jedes Interesse und Bedürfnis gibt es einen eigenen Klub
Das Pi-Jahr 2297 beginnt
Anja Reichelt

"Die Sinnlosigkeit ist kein Argument gegen den Klub der Freunde der Zahl Pi, sondern vielmehr der Ausgangspunkt", erklärt Albert Washüttl, selbsternannter Präsident des ungewöhnlichen Klubs, auf den Vorwurf der Nutz- und Sinnlosigkeit seiner Aktivitäten. Sowohl ihm als auch den anderen 40 Mitgliedern der "Freunde der Zahl Pi" ist es ein Genuß, sich der Mühe zu unterwerfen, möglichst viele Stellen von Pi auswendig zu lernen, weitere Stellen zu berechnen, Pi-Gemälde zu entwerfen oder sogar Pi-Tänze aufzuführen.

Ähnlich wie Albert Washüttl fühlen sich die meisten Menschen mit einer merkwürdig anmutenden Neigung oder einem ungewöhnlichen Interesse zu ihresgleichen hingezogen, um sich mit diesen zu unterhalten oder gemeinsame Ziele zu erreichen. So entstehen die kuriosesten Klubs, Vereine und Verbände. Neben den bekannten Schach-, Auto- und diversen Hunderassen-Fan-Vereinigungen existieren eben auch Klubs wie "Freunde der Zahl Pi", "Klub der Großen", "Klub Langer Menschen", "Rekord-Klub Saxonia" oder sogar der "Whiskymania Klub".

Allein die Betrachtung dieser Vereinigungen läßt Fragen nach dem Sinn oder Unsinn beziehungsweise dem Nutzen derselben aufkommen. Was sind das für Menschen? Und vor allem: Was treiben die da?

Im Fall der 1991 ins Leben gerufenen und 1995 offiziell angemeldeten "Freunde der Zahl Pi" sind, man mag es kaum glauben, deren Begründer und Anhänger fast ausschließlich Akademiker. Albert Washüttl selbst bekam 1995 sein Diplom ausgehändigt. "Die Beschäftigung mit Pi entspringt einem inneren Bedürfnis, das klar gefühlt wird und somit real ist", rechtfertigt er sich. "Wenn man eine größere Anzahl von Stellen auswendig lernt, merkt man, daß in der Zahl Pi irgendwie eine ganz eigene Faszination, eine Schönheit dieser Zahlenabfolge drinnensteckt."

Um Mitglied in diesem Verein zu werden, muß man aber mindestens die ersten hundert Stellen von Pi auswendig können. Dies ist jedoch sehr wenig im Vergleich zu den annähernd 69 Milliarden Stellen von Pi, die den neuen Berechnungsrekord der Zahl darstellen.

Christian Kreuzer, ebenfalls Mitglied, stellte am 22. Juli 1999, dem Pi-Approximation-Day einen weiteren Rekord auf. Er ist "auf die Idee gekommen, auf einen hohen Berg hinaufzuklettern und dort Pi zu rezitieren. Mittlerweile ist er im Himalaya auf dem Muztag Ata gelandet und hat aus der Höhe von 7546 Metern Pi verkündet", erzählt Washüttl stolz.

Außerdem werde es am 24. September eine große Pi-Party in Wien geben. "Wir haben ein Jahr berechnet, dessen Länge auf der Zahl Pi basiert. Dann haben wir den Beginn dieser Zeitrechnung mit der Geburt von Archimedes, der sich erstmals mit Pi auseinandergesetzt hat, festgelegt. Und so feiern wir eben am 24. September den Beginn des Pi-Jahres 2297 nach Archimedes."

Natürlich steht nicht nur der mit Pi verbundene Spaß im Vordergrund der Vereinigung, sondern das Ziel, "in produktiver innerer Aktivität den Geist zu regen – entgegen den Tendenzen der heutigen Medien-und Konsumgesellschaft", so Washüttl. "Da die elektronischen Medien keinerlei persönliche Aktivität abverlangen, werden die Menschen passiv und außengesteuert; alles soll unterhaltsam sein, komplexe Phänomene werden vereinfacht." Das unbedeutende, verkannte Pi kämpft also gegen moderne Bequemlichkeit.

Geistige Höchstleistung ist auch Voraussetzung für den "Rekord-Klub Saxonia", dessen Mitglieder Inhaber von 112 Weltrekorden sind. Ständig gilt es neuere, bessere oder verrücktere Rekorde aufzustellen. Unter anderem dem des Briten Dean Gould: Aus dem Gedächtnis gab er in 8:40 Minuten die ersten tausend Stellen der Zahl Pi wieder. Andere Mitglieder versuchten die zum Teil absurdesten Rekorde aufzustellen, indem sie zum Beispiel 16 Stunden, 16 Minuten und 16 Sekunden bewegungslos standen, einen 20 Tonnen schweren Eisenbahnwaggon mit den Zähnen 200 Meter weit zogen, 72 Hula-Hoop-Umdrehungen mit einem 24 Kilogramm schweren Traktorreifen schafften, auf einer elektrischen Schreibmaschine über 276 Stunden ununterbrochen schrieben, 539 Eiskugeln auf einer einzigen Waffel stapelten oder 101 Liegestütze auf rohen Eiern machten.

Andere prägten sich alle Wochentage unseres Jahrhunderts ein, um sie anschließend fehlerfrei wiederzugeben, oder schrieben die Zahlen von eins bis eine Million in Worten auf der Maschine. Jeder andere, der einen originellen Weltrekord aufgestellt hat, beziehungsweise aufzustellen gedenkt, ist in dem seit 1988 existierenden "Rekord-Klub Saxonia" herzlich willkommen.

Ein anderer merkwürdig anmutender Klub, bei dem manch einem sicherlich zuerst die Garde von Friedrich I. in den Sinn kommt, ist der Klub Langer Menschen (KLM). In 13 weiteren europäischen Ländern gibt es ähnliche Vereine, die alle in der "European Federation Of Tall People" zusammengeschlossen sind. 1987 wurde in Magdeburg der Partnerverein, der Klub der Großen gegründet. Hier sind jedoch die Aufnahmebedingungen fünf Zentimeter höher angesetzt, für Frauen 1,85 und für Männer 1,95 Meter Körpergröße. Bei fünf bis zehn Mark im Monat bieten beide Klubs Hilfe sowohl in modischen als auch medizinischen Angelegenheiten. Das Ziel ist es, den Menschen die Angst vor Ausgrenzung aus der Gesellschaft zu nehmen, so zum Beispiel bei den zahlreichen Veranstaltungen wie den Klubabenden, jährlichen Europa- oder den vielen kleineren Treffen der Großen.

Natürlich wird auf jedem Treffen darum gebuhlt, wer denn nun der Größte ist, das heißt, wer die 226 Zentimeter von Mohammad Ali Chana, dem größten lebenden Menschen, überbietet und vielleicht sogar an die 272 Zentimeter des 1940 gestorbenen Robert Pershing Wadlow heranreichen könnte. Bei einem anderen Klub zählt weniger die Größe als vielmehr die Trinkfestigkeit der Mitglieder. Der "Whiskymania Klub" widmet sich einzig einem einschlägigen Thema: Whisky. Eine spannende und vor allem lohnenswerte Mitgliedschaft für alle, "die gerne Whisky trinken, günstig einkaufen möchten, andere Whiskyfreunde und -freundinnen treffen wollen, Spaß mit Whisky haben wollen oder auch Wissenswertes über das Thema Nummer 1 suchen", verspricht Clemens D. Dillmann vom Whiskymania Klub (gleichzeitig verantwortlich für den Vertrieb des zuständigen Dienstleistungsanbieters HBB GmbH).

Dieser "Spaß" kostet ein anerkanntes Mitglied jedoch 199 Mark pro Jahr. Wem das zu teuer ist, der kann aber auch als sogenannter "Freund des Klubs" für nur 49 Mark im Jahr die Vorzüge des Klublebens genießen. Einzig die Teilnahme an den Klubtreffen ist für jeden unentgeltlich. In dem bildlich vorstellbaren Gelage macht die Vertriebsgesellschaft wohl auch so, durch die zunehmende Kaufkraft der begeisterten Trinker dieses edlen Gesöffs, genügend Umsatz.

Klubs gibt es also in Hülle und Fülle, für jedermann ist etwas dabei, und irgend jemand profitiert auch immer davon. Vielleicht lohnt sich mal ein Blick ins Branchenbuch oder in die eigene versteckte Interessenschublade?


 
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