© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Parteien unter Druck
von Dieter Stein

Die Serie der Landtagswahlen in diesem Jahr wird am 10. Oktober durch den Urnengang in Berlin abgeschlossen. Hier kündigt sich nochmals ein fulminanter Sieg der CDU und eine schwindelerregende Niederlage der SPD an. In einem furiosen Finale servieren die Berliner den frisch zugezogenen Parlamentariern des Bundestages und den Mitgliedern der Bundesregierung das durcheinandergewirbelte Parteiensystem Neudeutschlands. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, sitzen mit den Republikanern im nächsten Abgeordnetenhaus der Hauptstadt auch rechte Volksvertreter.

Die Wähler haben die Partei des Kanzlers Schröder ordentlich durchgeprügelt. Schier durch den Fleischwolf gedreht wurden jedoch die beiden kleinen Parteien FDP und Grüne. Beide sind zu rein westdeutschen Formationen mit Splitterpartei-Status in Mitteldeutschland degradiert worden. Und es ist fraglich, wie sie aus dem Ghetto wieder herauskommen wollen.

Die FDP hat nur zwei Alternativen: Behält sie den jetzigen Kurs bei, dann ist ein personeller Wechsel überfällig. Parteichef Gerhard hat eine schlechte Medienpräsenz und wirkt farblos und verbraucht. Unter den beiden möglichen Nachfolgern, Brüderle und Westerwelle, wäre letzterer die konsequentere Option. Mit Westerwelle identifizieren die Menschen mittlerweile aufgrund seiner hohen Medienpräsenz die FDP. Die andere Alternative wäre ein Wechsel auf den Kurs der FPÖ, nach rechts. Das scheint aber weitgehend ausgeschlossen.

Die Grünen haben sich mit der Regierungsbeteiligung im Bund endgültig vom Charakter der Bewegungspartei verabschiedet. Joschka Fischer ist die Identifikationsfigur dieses Lagers. Konsequenterweise wird er deshalb die Parteireform durchführen, die über kurz oder lang zur Beseitigung diffuser Doppelspitzen und des typisch-grünen Personal-Wirrwarrs führen wird. Wenn überhaupt, dann haben die Grünen nur mit einer klar identifizierbaren Führung eine Chance in allen Ländern.

In allen Parteien stehen mit dem Umzug nach Berlin umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen an. Niederlagen und Verluste werden dazu genutzt, verbrauchte Pferde auszuwechseln. Schröder exerzierte dies soeben mit der erstmaligen Installierung eines Generalsekretärs (Franz Müntefering) und der Beseitigung der Funktion des Bundesgeschäftsführers (Otmar Schreiner) vor. Politik ist sicher nicht allein ein "Vermittlungsproblem", wie in diesen Tagen oft beteuert wird. Wer parteipolitisch Erfolg haben will, muß sich aber auf eine effiziente, professionelle Organisation stützen können, die dafür sorgt, daß die Konturen der Formation erkennbar sind und der Wähler auch davon etwas mitbekommt.


 
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