© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Tierschutz: Wissenschaftler werfen Bundesamt für Naturschutz gefährlichen Übereifer vor
Millionen landen im Kochtopf
Ulrich Karlowski

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) möchte die südostasiatischen Scharnierschildkröten der Gattung Cuora durch Handelsbeschränkungen vor dem Aussterben schützen. Eine Idee, die bei Experten auf Unverständnis und heftige Ablehnung stößt. Dadurch werde der nahende Artentod eher beschleunigt denn aufgehalten, lautet der schwerwiegende Vorwurf.

Etwa 70 Prozent aller Cuora-Arten leben in der Volksrepublik China. Ihre Bestände sind in den vergangenen zehn Jahren massiv zurückgegangen, denn die wohlhabender gewordene chinesische Bevölkerung schätzt die gepanzerten Sumpfschildkröten als Nahrungsmittel und für medizinische Anwendungen. Aufgrund eines Vorschlags der weitgehend unbekannten Tierschutzorganisation "Pro Wildlife" will das BfN daher alle Cuora-Arten auf Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (WA) setzen. Die Tiere dürften dann nur noch mit entsprechenden Papieren versehen, in kontrolliertem Umfang gehandelt werden.

Der Verzehr hat in China eine lange Tradition

"Sollte der Antrag angenommen werden, wäre dies das sichere Aus für die meisten Cuora-Arten. China stellt unseren Informationen nach keine Ausfuhrpapiere aus, der Export würde vollständig unterbunden", befürchtet Markus Baur, Tierarzt am Institut für Zoologie, Fischereibiologie und Fischkrankheiten der Ludwig-Maximilians-Universität München. Damit würde Erhaltungszuchtprojekten, wie der im Allwetterzoo Münster in Zusammenarbeit mit privaten Haltern und Züchtern geplanten ersten wissenschaftlichen Zuchtstation in Deutschland, die notwendige genetische Basis entzogen. "Es ist unabdingbar, den Erhalt dieser Reptilien im Ausland zu sichern mit dem langfristigen Ziel, sie eines Tages wieder auszuwildern. Derzeit werden sie in China schlichtweg aufgegessen", betont Professor Rudolf Hoffmann, Lehrstuhlinhaber des Münchner Instituts.

Der Verzehr von Schildkröten hat in China eine lange Tradition, deren Ausmaß heute kaum vorstellbare Dimensionen angenommen hat. Harald Artner, Obmann des Vereins der Schildkrötenfreunde Österreich, fand 1995 auf dem Xing Ping Markt in Kanton an einem Tag über 3.000 Schildkröten von 21 verschiedenen Arten. Im Juli 1997 entdeckte William McCord, ein Tierarzt aus New York, auf Schildkrötenmärkten in Kanton in zwei Tagen über 10.000 Tiere. Unter den 37 Arten befanden sich auch fünf mit einem strikten Handelsverbot (WA-I-Status) versehene, nicht-chinesische Arten. Rechnet man diese Zahlen auf Gesamtchina hoch, so wandern nach Meinung von Experten jährlich viele Millionen Schildkröten in Kochtöpfe und Apotheken.

Die meisten von ihnen stammen nicht mehr aus dem Land selbst, sondern aus Indien, Vietnam oder Malaysia, wie die in großen Stückzahlen gehandelte Amboina-Scharnierschildkröte (Cuora amboinensis). Besonders begehrt sind aber seltene Arten wie die Dreistreifen-Scharnierschildkröte (Cuora trifasciata), die als "Golden Turtle" verkauft wird und auf keinem vornehmen Hochzeitsbankett fehlen darf. Für die früher in China häufig vorkommenden Tiere zahlen gutbetuchte Hochzeiter heute pro Paar bis zu 5.000 US-Dollar.

Eine Schildkrötenart nach der anderen verschwindet

"Die starke Nachfrage nach eßbaren Tieren in China wirkt wie ein Staubsauger, in dem eine Art nach der anderen verschwindet", beklagt Rudolf Hoffmann. Das Resultat: Trotz relativ intakter Biotope sind heute mindestens 30 südostasiatische Schildkröten-Spezies vom Aussterben bedroht, darunter fast alle Cuora-Arten, unabhängig davon, ob sie bereits durch das WA geschützt sind oder nicht.

"Für die Umsetzung der WA-Bestimmungen muß in China noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden", gibt Harald Martens, Reptilienexperte beim BfN, zu. Dennoch sei der geplante Schritt sinnvoll, denn nur so könne man das Ausmaß des Handels erfassen und Schutzmaßnahmen in China und anderen Ländern initiieren. Für Züchter sei der WA-Status kein unüberwindbares Problem, zumal schon genügend Exemplare ihren Weg nach Deutschland gefunden hätten. Eine Annahme, die Hoffmann heftig bestreitet: "Von den chinesischen Cuora-Arten gibt es bei uns noch viel zu wenige Exemplare, um die Nachzucht auf eine genetisch gesunde Basis stellen zu können. Die Handelsbeschränkung würde unsere Bemühungen für den Arterhalt zunichte machen und das Gegenteil dessen bewirken, was man eigentlich erreichen möchte."

Gemeinsam mit dem Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz und anderen Schildkrötenexperten wollen die Münchner Wissenschaftler den Antrag, der vom Bundesumweltministerium auf der nächsten WA-Vertragsstaatenkonferenz in Nairobi im April 2000 eingebracht werden soll, zu Fall bringen, denn, so Markus Baur: "Handelsbeschränkungen für Tiere, die nicht gehandelt, sondern im Lande verspeist werden, sind unsinnig."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen