© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Nationalratswahlen: In Österreich zittert das Establishment vor dem Abschneiden der Freiheitlichen
"Wenn nur das Volk nicht so blöd wär!"
Peter Sichrovsky

Jedes Land hat die Presse, die es verdient. Wer in den vergangenen Wochen in Österreich die Zeitun- gen studierte und unbelehrt über die spezifische Situation des Landes die Warnungen der Kommentatoren ernst nahm, mußte zur Überzeugung kommen, daß der kleinen Republik im Zentrum Europas demnächst die letzte Stunde schlägt. Genauer gesagt am 3. Oktober. Dann finden die nächsten Nationalwahlen Österreichs statt.

Seit 1945 regieren in Österreich mit einer Unterbrechung von wenigen Jahren die beiden Groß-Parteien, Sozialdemokraten und Volkspartei, mit der SPD und CDU durchaus vergleichbar, gemeinsam, Hand in Hand, Arm in Arm und Fuß bei Fuß. Man nennt das hier die "Große Koalition" und die beiden Parteien, SPÖ und ÖVP, verstanden in den letzten Jahrzehnten, sich dieses Land untereinander aufzuteilen. Nichts konnte ein einfacher Bürger erreichen, wenn er nicht Mitglied einer der beiden Parteien war; ob man nun Bankdirektor, Volksschullehrer oder Leiter des örtlichen Fußballvereins werden wollte. Jede Funktion, ob im Postamt in Oberstinkenbrunn, als Delegierter bei der Europäischen Union, als Techniker im verstaatlichten Rundfunk oder Vorstandsmitglied im heimatlichen Ölkonzern, wurde nach politischem Proporz vergeben. Einmal waren die einen dran, dann wieder die anderen, dann wieder die einen, die anderen, und so ging es weiter und weiter, Jahr für Jahr.

Und die Menschen akzeptierten dieses System der parteipolitischen Analakrobatik, turnten sich hoch nach den entsprechenden Regeln, entschieden sie sich schon in jungen Jahren für eine der beiden Karriereleitern und unterschrieben brav fürs Parteibuch. Die Erwartungshaltung der Genossen einer der beiden Parteien für die gewünschten Positionen stützten sich nicht auf berufliche Erfahrungen oder Kenntnisse, sondern auf parteiinterne Kontakte.

Die beiden Parteivölker konsumierten mit einer derartigen Frechheit und Selbstverständlichkeit diese Privilegien, daß eine Änderung des Systems schon bald nicht mehr vorstellbar war. Zu viele profitierten davon, zu viele warteten schon darauf, davon zu profitieren, zu wenige wollten darauf verzichten, zu viele stellten sich bald keine andere Möglichkeit mehr vor, je die angestrebten Positionen zu erreichen.

Der Siegeszug der FPÖ erstaunt das Establishment

Auch in den Medien setzte sich diese Aufteilung des Landes fort. Es gibt die rote Presse und die schwarze, und beide prügeln auf die Blauen ein. Die Blauen, das sind die Anhänger und Vertreter der FPÖ, der Freiheitlichen Partei Österreichs, jener schwer zu definierbaren politischen Gruppierung, die – ohne eine mediale Hausmacht hinter sich zu haben – von einem Wahlsieg zum anderen eilt.

Vor etwas mehr als zehn Jahren übernahm Jörg Haider die FPÖ mit einem Wählerpotential vor 5 bis 8 Prozent. Die Prognosen für die Wahl am 3. Oktober liegen bei etwa 25 bis 28 Prozent. In den zehn Jahren dazwischen eroberte die FPÖ den Posten eines Landeshauptmanns, ist Mitglied einer Koalitionsregierung in einem anderen Bundesland, stellt Dutzende Bürgermeister und liegt in Umfragen für die Wahl am 3. Oktober in drei oder vier von insgesamt neun Bundesländern an erster Stelle. Ein in Europa unvergleichbarer Siegeszug einer Partei erstaunt und schockiert die politischen Gegner und das Establishment.

Doch trotz des stürmischen Aufstieges der FPÖ in der Gunst der Wähler konnte das satte Machzentrum von SPÖ und ÖVP in den letzten Jahren vor jeder Wahl sicher sein, daß es auch nach dem Wählerprotest, der es vielleicht ein paar Prozente kostet, ausreichend Stimmen für eine "Große Koalition" geben werde. Bis plötzlich der Chef der ÖVP vor ein paar Wochen erklärte, daß seine Partei – falls sie auf den dritten Platz abrutscht – in die Opposition gehen würde. In allen Umfragen liegt derzeit die FPÖ vor der ÖVP auf dem zweiten Platz hinter der SPÖ.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten spürten die Menschen, daß es diesmal auch anders ausgehen könnte. Die kranke Bruderschaft der beiden ungleichen Zwillinge mußte nicht automatisch fortgesetzt werden. Dann kam der 19. September. Die Wahlen in Vorarlberg. Nur zwei Wochen vor dem nationalen Urnengang brachte er ein politisches Erdbeben. Die FPÖ konnte ihren Stimmenanteil von 18 auf 27 Prozent erhöhen. Alle anderen Parteien verloren. Die Presse schwieg verlegen, analysierte verkrampft oder tobte verzweifelt. Nur wenige der Journalisten versuchten, die schlagkräftigen Argumente der FPÖ gegenüber der Präpotenz der beiden Regierungsparteien zu verstehen und den Erfolg zu untersuchen. Die linke Presse schlug wie schon seit eh und je mit der Faschismuskeule um sich und machte sich nur mehr lächerlich.

Die kritischen Journalisten bemühten sich weder, ein einziges Argument der Freiheitlichen zu widerlegen, noch die Wähler gemäß der eigenen politischen Überzeugung zurück in die Arme der beiden Alt-Parteien zu treiben. Man konzentrierte sich auf das in Österreich übliche Niveau der linken Gesellschaft, Politik als Zweikampf des Kasperls mit seiner politisch roten Mütze, und schlägt auf das böse blaue Krokodil ein. Und unter dem Hurra der Anständigen im Lande wird so erneuter Faschismus verhindert, den die eigenen Väter und Großväter leider nicht verhindern wollten oder konnten, je nach Familiengeschichte.

Mit geradezu peinlicher Ignoranz und Selbstüberschätzung schrieben angeblich linke Kommentatoren von den "weniger Gebildeten", die der FPÖ ihre Stimme geben, den "Alltagsfaschisten", die Morgenluft wittern, und schämten sich nicht bei dem Vergleich, daß eine demokratische Wahl rein nichts zu bedeuten habe, da auch Milosevic gewählt wurde.

Bei all diesen Analysen des Wählerverhaltens war die Verachtung der linken Kommentatoren gegenüber dem sogenannten "einfachen Volk" leicht erkennbar. Das Volk ist gemäß ihrer Theorie als Kollektiv faschistoid und wählt daher eine faschistoide Partei, die einen faschistoiden Führer hat, der mit faschistoiden Argumenten das dumme Volk für sich gewinnt. Der Faschist im Land heißt Jörg Haider, der alle ins Lager stecken und umbringen will.

So schreiben sie jede Woche, manchmal jeden Tag, immer das Gleiche, seit Jahren und Jahren, und es wird diesen Hetzern nicht einmal langweilig dabei. Sie erkennen nicht, wie autoritär und diskriminierend ihre Argumente sind, wie weit entfernt von jeder demokratischen Überzeugung. Die linken Herrenmenschen praktizieren eine neue und doch so alte Form des moralischen Rassismus, der die Bevölkerung in zwei Klassen teilt: in jene, die den politischen Röntgenblick haben und richtig wählen, und jene, die ihn eben nicht haben und, dumpf und blöd, wie sie halt sind, die falsche Partei ankreuzen.

Für die Linke geht es schon lange nicht mehr um politische Unterschiede. Die reduziert – oder erweitert – die Wahl in der demokratischen Republik Österreich im Herzen Europas im Jahre 1999 zu einer Wiederholung der Abstimmung über den Anschluß an das nationalsozialistische Deutschland.

Damals entschieden sich fast hundert Prozent für den Nationalsozialismus. So wenige waren damals dagegen. Jetzt ist es anders. Sie werden und wollen sie zeigen, daß sie eine Wiederholung verhindern könnten. Verräterisch bezeichnen sich die politischen Gegner der Freiheitlichen auf der linken Seite daher auch gerne als Antifaschisten und umarmen einander im Kampf gegen den alten, neuen Feind.

Spitzenkandidat Prinzhorn paßt nicht ins Klischee

Unbeirrt ging die FPÖ ihren Weg weiter. Sie stellte wenige Wochen vor den Wahlen ihren Spitzenkandidaten vor und verblüffte damit das ganze Land. Thomas Prinzhorn, ein Papierindustrieller mit sieben Kindern von sechs Frauen, paßt so gar nicht in das traditionelle Bild des üblichen Partei-Apparatschnik. Der als trockener Manager verschrieene Spitzenkandidat beeindruckte nicht nur seine Anhänger bei den ersten TV-Konfrontationen. Nichts paßt auf diesen Mann so schlecht wie das alte Klischee der ewigen Nazis und Rechtsextremisten in der FPÖ.

Das politische Establishment ist verzweifelt. Die einen warnen vor einem "Rechtsdruck", ohne beschreiben zu können, was sie damit meinen. Wovor sollen sich die Menschen fürchten? Wenn das Volk doch angeblich so faschistoid ist, warum soll es dann, um einen drohenden "Rechtsdruck" abzuwenden, eine linke Partei wählen? Die Konservativen warnen vor einer rot-blauen Koalition und lagen selbst jahrzehntelang mit den Roten in einem Bett. Sind sie der bessere Liebhaber in dieser Inzuchtbeziehung?

Die Grünen versuchen sich als Linkspartei, wettern gegen die FPÖ wegen angeblicher Ausländerfeindlichkeit, ohne je zu erklären, wie sie politisch das Gegenteil repräsentieren. Das Liberale Forum wird von einer ehemaligen FPÖ-Politikerin angeführt, deren einziges politisches Motiv der Haß auf die FPÖ ist. Wie eine verlassene Ehefrau schimpft sie auf den ehemaligen Bettgenossen, wobei man nie genau weiß, ob sie die Erinnerungen quälen oder der Verlust.

Unbeeinflußt geht die FPÖ ihren Weg. Ein strenger Oppositionskurs, eine gezielte Kritik an den politischen Verhältnissen und ein Programm mit Erneuerungen ergänzen sich zu einem attraktiven Ganzen. Von Beginn an hat die FPÖ nie versucht, sich als Partner der Macht anzubieten, das ist auch der entscheidende Unterschied zur FDP in Deutschland. Man versucht nicht, den Wähler durch falsche Versprechungen zu täuschen. Die FPÖ ist nicht wie die FDP das hölzerne Lenkrad in einem Pkw, das den Eindruck der Naturverbundenheit und grünen Überzeugung vermitteln soll, während der Wagen mit seinen Abgasen die Luft verpestet. Die FPÖ ist der Stoppel im Auspuff, der den Motor abwürgt. Eine politische Konsequenz, die die FDP nie bereit war einzugehen. Nun zahlt sie schwer für ihr jahrelanges Anbiedern an die jeweils Mächtigen. Es ist eben nicht einfach, sich in zwei Richtungen gleichzeitig verbeugen zu können.

Was wird also am 3. Oktober passieren? Die SPÖ wird trotz Verlusten weiterhin die stärkste Partei sein. Von den ehemals 53 Prozent eines Kanzlers Kreis-ky sind etwas mehr als die Hälfte übrig geblieben, und die Sozialisten fühlen sich immer noch als die Erbmonarchen Österreichs. Die ÖVP hat angekündigt, in die Opposition zu gehen, falls sie nicht an zweiter Stelle ins Ziel einlaufe. Nun, auch diese Meinung kann sich ändern, wenn sie einen neuen Parteiführer wählen, der dann die Koalition mit den Sozialisten weiterführt, bis sie in ein paar Jahren völlig von der politischen Bühne verschwinden. Grüne und Liberale kämpfen um das gleiche Wählerpotential und versuchen sich als die Anständigen des Landes zu verkaufen. Je sechs und drei Prozent sind die Vorhersagen für sie; nicht viele Anständige scheint Österreich zu haben. Beide wollen in die Regierung, warum, können sie ihren Wählern allerdings nicht erklären; und beide würden nur mit der SPÖ eine Koalition eingehen.

Bleibt das große Fragezeichen, wie die FPÖ abschneidet. Wird sie die Nummer Zwei, so hat sie Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Doch selbst wenn sie bis zur nächsten Wahl warten muß: sie ist die Partei der Zukunft in Österreich, wenn sie es schafft, eine entsprechend schlagkräftige Organisation aufzubauen. Wie bei einem zu schnell gewachsenen Unternehmen brachte der notwendige enorme Personalaufwand Probleme mit sich, die bereinigt werden müssen. Ein straffes Management, ein gut geschulter und hoch motivierter Mittelbau wird der Spitze die Rückendeckung geben, die sie braucht, um sich den Wählern und den Koalitionspartnern als regierungsfähig anbieten zu können.

Die FPÖ muß weiterhin situativ handeln, weder links noch rechts, sondern für den Wähler überzeugend, spontan, problemlösend und veränderungsfreudig. Traditionelle Ideologien interessieren und motivieren kaum noch einen Wähler. Er möchte einen Politiker wählen, der seine Wünsche nach Veränderungen durchführt.

Ähnlich wie der moderne Mensch auf seinem Arbeitsplatz heute gefordert wird, schnell, kreativ und konfliktlösend zu handeln, erwartet er das gleiche Verhalten von einem Poltiker; und auch zu Recht. Die Konkurrenz am Arbeitsplatz, die Gewinnerwartungen der Besitzer, der Erfolgsdruck durch die Vorgesetzten bietet dem modernen Menschen, wenn er sich durchsetzt, unendlich viele Möglichkeiten bei einer großen Gefahr, auch zu scheitern. Er muß sich in der modernen Leistungsgesellschaft durchsetzen und wird nach den Resultaten beurteilt, die er liefert.

Wen wundert es, wenn er Gleiches von den Politikern fordert: Man möge die Politik der FPÖ als populistisch bezeichnen, doch die Alternative ist die Ideologie der Scheinheiligkeit. Wenn der Populist volksnah seine Argumente anbietet, versteckt sich sein Gegenspieler hinter einer theoretischen Mauer, die so durchsichtig ist wie ein Duschvorhang: Vage sieht man hindurch, ohne genau zu erkennen, wer sich dahinter verbirgt. Warum sollte man so einem verschwommenen Schatten noch trauen?

Ein Erfolg der FPÖ hat Auswirkungen in Europa

Die Wahl am 3. Oktober hat den Charakter eines Testmarktes für ganz Europa. Wenn sich die Politik der Freiheitlichen durchsetzt, muß es wie ein Warnsignal für die etablierten Parteien in den europäischen Demokratien wirken. Neue Parteien werden sich durchsetzen und die alten Apparate ersetzen – doch nur dann den politischen Markt auch wirklich auf die Dauer durchdringen, wenn sie mit der organisatorischen Perfektion ihrer Gegner den Unterschied zu ihnen vermarkten. Daß Politik zu einer Ware geworden ist, spricht nicht gegen sie. Der Konsument entscheidet sich für ein Produkt, das seinen Bedürfnissen entspricht und einen Konflikt löst. Er läßt sich nur schwer täuschen. Weder beim Kauf einer Marmelade, eines Autos, noch von einer Partei, die er wählen soll.

 

Peter Sichrovsky ist Europaabgeordneter der FPÖ. Er lebt in San Franzisko und in Wien.


 
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