© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Grüne: Nebenkriegsschauplatz Basisdemokratie
Macht den Weg frei
Volker Kempf

Parteien, die den Erwartungen enttäuschter Wähler entgegenkommen und erstarrte politische Strukturen aufbrechen können, werden diffamiert, in radikale Ecken gedrängt oder totgeschwiegen. Gesellschaftlicher Wandel wird so gehemmt. Das war auch zu Gründerzeiten der Grünen so. In Hessen und Berlin nahmen sie in den achtziger Jahren erstmals an der Macht teil, heute sind sie sogar Teil der Bundesregierung. Doch was ist von den hehren Zielen Pazifismus, Umweltschutz und Basisdemokratie geblieben?

Der erste grüne Außeminister ist Protagonist des ersten Krieges der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Der Stellenwert des Umweltschutzes reduziert sich allmählich auf Verbalaktionismus. In den Urlaub fliegen will schließlich selbst die grüne Klientel alljährlich, womit deutlich wird, daß nicht Umweltbewußtsein, sondern die Zugehörigkeit zu gehobenen sozialen Schichten für eine negative Ökobilanz entscheidend ist. Abgesehen davon läuft die naive grüne Ausländerpolitik darauf hinaus, daß interethnische Konflikte zunehmend hierzulande ausgetragen werden, womit der Umweltschutz einmal mehr in die hinteren Reihen der Prioritätenskala der zu bewältigenden Probleme verwiesen wird.

Tschernobyl, Sandoz, Seveso, das waren noch richtige Katastrophen, die den Grünen heute fehlen, um eine harte Gangart in der ökologischen Ausrichtung der Regierungspolitik einzuklagen. Die schleichende Umweltzerstörung, etwa durch Flächenversiegelung oder den zusätzlichen Treibhauseffekt, geht unterdessen weiter. Umweltverbände sind enttäuscht von ihrem Hoffnungsträger. Doch nicht nur die äußeren Umstände – erwähnt sei hier die Arbeitslosigkeit – bremsen die Grünen in ihren Anliegen aus der grünen Gründerzeit. Die lächerliche alternative Parteistruktur taugt kaum, um es mit den etablierten Kräften in Wirtschaft und Politik aufzunehmen. Diesen Hemmschuh will Joschka Fischer seiner Partei denn auch ausziehen.

Von einer "umfassenden Strukturreform" auf dem Parteitag im nächsten Jahr träumt der Außenminister. Das könnte das Aus für Doppelspitze und Rotation bedeuten. Doch wer zuviel fordert, erreicht gar nichts, mahnte Umweltminister Jürgen Trittin in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Konkret fordert Fischer für sich zunächst die Führung im parteiinternen Koalitionsausschuß, der aus der Partei- und Fraktionsspitze sowie den drei Bundesministern besteht. Ein Generalsekretär müsse außerdem her, bis die Grünen eben eine ganz normale Partei sind. Joschka Fischer wäre als beliebtester Politiker in Deutschland ohnehin das einzige Zugpferd, das auch über inhaltliche Engpässe der Partei hinweghelfen könnte. Je mehr Fischer in Spitzenpositionen sitzt, desto eher identifizieren die Wählerinnen und Wähler die Alternativpartei mit besagtem Publikumsliebling. Fischer aber als Parteivorsitzender, das geht selbst den Realos zu weit, Fischer wagt dies denn auch nicht einmal laut zu denken. So wird das basisdemokratische Erbe der Grünen die Partei noch weiter blockieren.

Es stellt sich aber grundsätzlich die Frage, was grüne Politik in diesem Lande heute noch bedeuten kann. Die Grünen könnten zur Öko-FDP mutieren, wird gemunkelt. Sind sie das aber nicht schon längst? Linksliberal verwalten die Grünen den Zeitgeist von gestern und damit das Milieu, das sich mit Martin Walser schwertut und Jürgen Habermas liebt. Die junge Wählerschaft vermag mit einer solchen Haltung nicht viel anzufangen und wandert zum Klassenfeind CDU ab.

Für die Grünen ungünstig, hat der Umweltschutz gegenwärtig keine Hochkonjunktur. Doch wo bleibt der Aufschrei gegen die tierquälerische Massentierhaltung, Pelztierzucht und Tierversuche? Warum gaben knapp ein Prozent der Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl der Tierschutzpartei ihre Stimme?

Allmählich rächt sich, was schon in den achtziger Jahren in Hessen und Berlin begann: aus Lust an der Macht streicht man die eigenen Positionen immer mehr zusammen. Je länger die Grünen in der Regierung sind, desto weniger wird man wissen, was sie dort eigentlich noch durchsetzen wollen. Die große Aufgabe der Haushaltssanierung ist mit den Grünen ohnehin nicht zu erreichen. Einerseits sind sie die Anwälte der Umverteilung. Andererseits geht bei jeder Einsparung ein Aufschrei durch die betroffenen Bevölkerungsteile, was die CDU aus wahltaktischen Gründen gnadenlos auszunutzen weiß. Bleibt den Grünen nur, sich aus der Regierungskoalition zurückzuziehen und damit den Weg für eine große Koalition frei zu machen – sich selbst kann die Partei dann neu profilieren und den Preis überlegen, zu dem sie für eine Koalition zu haben ist.

Die basisdemokratische Parteistruktur ist zwar längst zu überborden, um die Organisation zu straffen und die eigenen Personen nach außen besser darstellen zu können. Doch geht es längst nicht mehr um die Struktur der grünen Partei; es geht um die vernünftigste Antwort auf die Frage, welche Regierungskoalition die Haushaltssanierung am besten vornehmen kann. Wenn die Grünen den Weg für eine große Koalition nicht freimachen, werden die Wähler im Mai nächsten Jahres bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen dies einfordern.


 
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