© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Wahlkampf: Kleinere Parteien im Endspurt zur Abgeordnetenhauswahl
Die Schlacht um Berlin
Markus Schleusener

Laß Dich nicht naß machen" verkündet der Braunbär auf dem CDU-Plakat. Auch wenn Eberhard Diepgen es permanent leugnet, kämpft die CDU inzwischen in der Hauptstadt um die eigene Mehrheit. 52 Prozent der West- und 27 Prozent der Ost-Berliner wollen am 10. Oktober Union wählen. CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky soll bereits beim FDP-Landesvorsitzenden Rolf-Peter Lange vorgefühlt haben, ob dieser nicht bereit wäre, die FDP-Wähler zur Wahl der Union aufzurufen, so wie das in Thüringen unlängst der Fall war. Als das nicht funktionierte, wandte sich Landowsky in einem offenen Brief an die FDP-Wähler, um sie zur Stimmabgabe für seine Partei zu begeistern.

Berlin droht die Unregierbarkeit. Erleiden die Sozialdemokraten eine weitere derbe Niederlage, könnten sie sich aus dem Senat zurückziehen. Eine Große Koalition, die diesen Namen verdient, wäre eine Zusammenarbeit zwischen der Union und einer auf 15 bis 18 Prozent geschrumpften SPD ja ohnehin nicht mehr. Eine PDS-Funktionärin äußerte neulich über den Koalitionsausschuß, dem die Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky und Klaus Böger angehören: "Demnächst besteht der Koalitionsausschuß nicht mehr aus Klaus und Klaus, sondern aus Derrick und Harry. Und es ist klar, wer den Wagen vorfährt."

Angebliche Verbindungen Walter Mompers zum KGB

Allein in der vergangenen Woche mußten die Hauptstadt-Genossen drei weitere Tiefschläge einstecken. Just in der Woche, in der die "Willy-Brandt-Straße" von Walter Momper eingeweiht wurde, veröffentlichte der Ullstein-Verlag ein Buch, in dem neue KGB-Verbindungen des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters aufgedeckt wurden. Ferner gelangten weitere Kontakte eines Berliner SPD-Abgeordneten zur SED-Spitze in den achtziger Jahren an die Öffentlichkeit. Mit einer Zustimmungsrate von 13 Prozent bewegt sich Walter Momper auf einem der letzten Plätze der lokalen Polit-Größen. Die SPD hat mittlerweile begonnen, Momper-Plakate zu überkleben. Jetzt steht auf den Plakaten nur noch "Für Berlin. Wir kämpfen." Um welcher Inhalte willen man sich kämpferisch gibt, verschweigt die Partei.

Zentrale Aussagen bleibt auch Arbeitssenatorin Gabi Schöttler schuldig. Die hat bislang nur ihre Stöckelschuhe ablichten lassen, darunter steht "Platz für Ideen". Im bürgerlichen Bezirk Zehlendorf hat man ein wichtiges Thema entdeckt, um das Sozialdemokraten sich sorgen: den latenten Rechtsradikalimus. Die dortige Gliederung der Partei plakatiert seit einigen Tagen den Slogan: "Mit Haarausfall können wir leben. Mit Glatzen nicht." Daß Walter Momper damit gemeint sein könnte, scheint den Verantwortlichen entgangen zu sein.

Mit Plakaten werben auch die kleinen Parteien. Durch den Wegfall der Fünf-Prozent-Klausel haben die Miniparteien Aufwind erhalten. So der Bürgerbund, der in ganz Berlin präsent zu sein scheint. Die Splittergruppensammlung wirbt mit einem Plakat, das zeigt, wo die einzelnen unterschiedlichen Gruppen antreten. Nur wer genau hinsieht, erkennt, daß zum Beispiel im Bezirk Neukölln der Bund Freier Bürger auf der Liste steht, während man als potentieller Wähler in Weißensee die Liste der Kleingärnter ankreuzen muß. Ein weiteres Plakat zeugt stolz von der medialen Präsenz des Bürgerbundes: Ein Zeitungsartikel, in dem der Bürgerbund Erwähnung fand, soll die Wähler an die Urnen locken. Am 2. Oktober will der Bürgerbund gegen das Holocaust-Mahnmal am Potsdamer Platz demonstrieren.

Eine größere Gruppe von Einzelkandidaten tritt in etlichen Bezirken an, um die "Zerstörung der deutschen Sprache" via Rechtschreibreform zu unterbinden. Auf den schlichten Plakaten ist "Liste Eins" zu lesen. Was die Damen und Herren ohne Parteibindung meinen, ist der Stimmzettel Eins, mit dem man die Direktkandidaten wählt. Die "Liste Eins" ist dagegen die CDU. So wird ein Flüchtigkeitsfehler zum potentiellen Desaster.

Interessant ist der Streit zwischen den Republikanern und der NPD, die gleichermaßen um Protestwähler werben. Die Konkurrenz zwischen den beiden Parteien ist so groß, daß die NPD im Osten gezielt Republikaner-Plakate zerstört haben soll. Immerhin haben diverse Rechtsparteien in Sachsen neun Prozent der Erstwähler auf ihre Seite ziehen können. Mit einem persönlichen Brief an 120.000 Erst- und Jungwähler will die Partei gezielt diese Gruppe ansprechen. In den Plattenbaubezirken Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen rechnet sich die NPD Chancen auf den Einzug in die dortigen Bezirksverordnetenversammlung aus. Jetzt aber ist sie wegen eines geplanten Auftritts des NPD-nahen Liedermachers Frank Rennicke bei der Jugendorganisation der Republikaner sichtlich erzürnt über die Konkurrenzpartei.

Republikanische Jugend legt sich kräftig ins Zeug

Während die NPD gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Überfremdung zu Felde zieht, was sie auch in einigen Westbezirken massiv plakatiert, werben die Republikaner mit Stelltafeln und Großplakaten, auf denen sie ihre Kandidaten präsentieren. Besonders ins Zeug legt sich die Republikanische Jugend, die in den nächsten Tagen ebenfalls mit einem Brief an alle Erstwähler um Stimmen werben will. Für den 4. Oktober plant die Partei außerdem eine Abschluß-Veranstaltung im Rathaus Schöneberg mit ihrem Bundesvorsitzenden Rolf Schlierer.

Das Holocaust-Mahnmal als möglichen Wahlkampfschlager haben die Republikaner noch nicht entdeckt. Sie werben mit Sprüchen wie "Laß Dich nicht linken" oder "CDU? Total verlogen", "Die sind doch für die Arbeiter". Andere Sprüche sollen qua Berliner Dialekt in Zeiten zuziehender Bonner wohl Heimatverbundenheit vermitteln: "Dat iss jejenwärtich nötich" oder "Noch mehr Diepchen. Dat iss zu ville".

Um im Westen nicht eine Splitterpartei zu bleiben, massieren die Kommunisten jetzt auch dort ihre Kampagne. Gregor Gysi eröffnete vergangene Woche im CDU-geführten Bezirk Tempelhof eine Geschäftsstelle seiner Partei, um auch im Westen zunehmend Präsenz zeigen zu können. CDU und FDP nahmen das zum Anlaß, "gegen die Mauermörder" zu demonstrieren. Auch PDS und Grüne haben Schwierigkeiten, ihr Potential ganz auszuschöpfen. Obskure linke Gruppen drohen sich auf Kosten der beiden großen linken Parteien auszubreiten. In Kreuzberg, wo auch die PDS auf ein gutes Abschneiden hofft, trommelt das Kreuzberger Patriotische Zentrum Autonome, Hausbesetzer und andere Linksradikale zusammen.

Wenigstens eine Partei auf der Linken dürfte etliche linke Wählerstimmen ins Nirvana der Bedeutungslosigkeit abziehen. Zwar ohne Plakate, aber mit vielen grünen Fundi-Funktionären zieht die Demokratische Linke (DL) in die Wahlschlacht. Die Partei ist eine neue Symbiose aus frustrierten PDS-Funktionsträgern und ehemaligen Alternativen. Als Zugpferd hat man die ehemalige Grünen-Abgeordnete Ida Schillen gewinnen können, die im Kampf um die Spitzenkandidatur der Grünen deutlich unterlegen war. Sie hatte zuvor gegen den Kosovo-Krieg und die zaghafte Haltung der Grünen in der Bundesregierung Front gemacht. Die Partei wirbt unter anderem damit, besonders viele schwule und lesbische Hobby-Politiker in ihren Reihen zu haben.


 
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