© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Indonesien: Bürgerkrieg um Ost-Timor führt zu neuem Flüchtlingsstrom
UNO vor Scherbenhaufen
P. Mägerle/ Victor V. Capé

Kaum hat die UNO im Kosovo erfahren müssen, wie schwierig ihre humanitär begründeten Missionen zu realisieren sind, ist sie in einem neuenSchlamassel: Ost-Timor.

Gerade erst haben bewaffnete pro-indonesische Milizen im Grenzgebeit von West-Timor ein Kampfbatallion von 650 Mann mit Raketen und schweren Waffe aufgestellt. Sie stehen den UN-Schutztruppen gegenüber und gefährden die Mission der 7.600 internationalen Soldaten der Interfet-Truppen erheblich. Die Haupstadt Dili ist nur 60 Kilometer von dieser Grenze entfernt. Die Menschen fliehen in Scharen mit wenig Hab und Gut, nur mit dem, was sie tragen können, vor den anrückenden Verbänden, die ein Verbleib der Provinz bei Indonesien militärisch zu erzwingen suchen.

Auch die zivilen Helfer in der Region sind in Lebensgefahr. Bischof Belo hofft weiter auf humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge in finanzieller wie auch in personeller Art, die Helfer setzen sich jedoch einem hohen Risiko aus. Sieben katholische Krisenhelfer aus Australien darunter eine Nonne, wurden ermordet. Die Täter waren vermutlich die indonesischen Milizien. Dies mag daran liegen, daß sich die katholische Kirche eindeutig auf die Seite der Unabhänigkeitsbestrebungen gestellt hat, gerade nach dem jetzigen Referendum.

Um die humanitäre Situation in Ost-Timor in den Griff zu bekommen, brauchen die Hilfsorganisationen in den nächsten Monate bis zu 200 Millionen US-Dollar. Dies bestätigte der Sprecher der UN-Mission UNAMET im australischen Fernsehen. Die Gelder würden für Wasserversorgung, Nahrunsmittel, Arzneien und Zelte benötigt.

Ost-Timor war bis 1974 eine stabile und friedliche, wenn auch etwas verschlafene portugiesische Übersee-Provinz. Die konservativen Regierungen in Lissabon von Prof. Dr. Olveira Salazar und Dr. Caetano befanden sich im besten Einvernehmen mit dem übermächtigen Nachbar Indonesien, der, seit der Absetzung des sozialistischen Präsidenten Sukarno 1965 durch das Militär, ebenfalls stramm anti-kommunistisch war und keinerlei Ansprüche auf die Inselhälfte erhob.

Am 25. April 1974 kam die Wende: In Lissabon putschten linke Offiziere die autoritäre Regierung von Ministerpräsident Dr. Caetano und installierten eine Revolutionsregierung unter maßgeblichem kommunistischen Einfluß (Nelkenrevolution). Den linksextremen Elementen in dieser Regierung, die unter direktem Einfluß Moskaus standen, war sehr daran gelegen, in den portugiesischen Überseeprovinzen im Rahmen eines hastigen Dekolonisationsprozesses ebenfalls kommunistische Kräfte an die Regierung zu bringen, um so die Weltrevolution voranzubringen. In Ost-Timor , wo Portugal seine Beamten im August 1975 abzog, ohne ein Projekt für eine ordentliche Dekolonialisierung vorzulegen, brach ein Bürgerkrieg aus –zwischen der kommunistisch dominierten Guerrille FRETILIN (Frente Revolucinaria de Timor Leste Independente), welche für die "Unabhängigkeit" eintrat, und anti-kommunistischen Ost-Timoresen, die entweder der pro-portugiesischen UDT oder der pro-indonesischen APODETI angehörten. Es flüchteten Tausende ins indonesische West-Timor und viele andere wurde von de Kommunisten ermordet.

Die UNO blieb inaktiv, nur Indonesien forderte Portugal zur Ausübung seiner Souveränität und zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung auf - erfolglos. Im November proklamierte die FRETILIN die Unabhängigkeit. Der Bürgerkrieg setzte sich über ein halbes Jahr mit wechselndem Kriegsglück fort. Schließlich verlangte eine ost-timoresiche Delegation unter der Leitung des Exekutivdirektors der provisorischen Regierung Ost-Timors im Juni 1976 Jakarta die sofortige Integration Ost-Timors in Indonesien. Dieses entsandte Truppen, um Frieden zu schaffen, und erklärte das Territorium im Juli 1976 zur 27. Provinz des Landes und zum intergralen Teil Indonesiens.

Seit im Frühjahr 1998 Indonesiens Präsident Suharto in Zuge der Unruhen und in Folge der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Ostasienkrise auf Druck der USA zum Rücktritt gezwungen wurde, esklaliert die Situaiton in Osten der Insel. Portugal, dessen linke nach-revolutionäre Regierungen den Verlust ihrer Provinz an ein nicht-kommunistisches Land nie verwinden konnten und bei der UNO de jure weiterhin als Vertreter Ost-Timors anerkannt war, spielt sich weiter als Schutzmacht der Inselhälfte auf und forderte die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit. Bei Präsident Suharto bissen die Portugiesen damit seinerzeit auf Granit, und auch der neue indonesische Präsident Habibie verweigerte dies zunächst, ließ es dann jedoch im Rahmen einer allgemeinen "Demokratisierung" und unter internationalem Druck zu.

Am 30. August 1999stimmten 78,5 Prozent der Ost-Timoresen in einem, unter UNO-Aufsicht durchgeführten Referendum gegen den Verbleib bei Indonesien. Die Abstimmung wurde durch zahlreiche Provokationen und Einschüchterungen seitens der Pro-Indonesier und auch der Separatisten gestört. Daß die Verlierer das Resultat nicht akzeptieren würde, ist weniger verwunderlich. Dennoch hielt die UNO am Referendum fest.

Sie führte eine Abstimmung durch, deren Resultat sie nicht durchsetzen konnte, und trägt auch Mitverantwortung für die jetzige Situation. Die nun entsandte UNO-Blauhelmtruppe (UNAMET), die für den Erhalt des Friedens zu spät kommt, besitzt auch für Wiederherstellung vermutlich nicht die notwendige Autorität.

Pro-indonesische Gruppen wollen die Besetzung ihres Landes durch Ausländer jedenfalls nicht ohne weiteres hinnehmen und werden die Arbeit der UNAMET-Truppen in jedem Fall äußerst schwierig gestalten. Besonders düster ist die Rolle, die Australien im Rahmen dieser UNO-Operation spielt: Nachdem es als eines der wenigen westlichen Länder die Souveränität Indonesiens über Ost-Timor jahrelang anerkannt hatte, nutzt es die derzeitige Schwäche des Inselreiches und unterstützt plötzlich offen die FRETLIN. Die Regierung in Canberra läßt sich dabei offensichtlich von der Hoffnung leiten, die Ausbeutung von Öl- und Erdgasvorkommen im Timor-Graben würde für Australien vorteilhafter ausfallen, wenn es mit einem formell unabhängigen, aber hilfsbedürftigen Ost-Timor zu tun hat, als mit einer selbstbewußten asiatischen Großmacht. Dabei wäre gerade Australien den Ost-Timoresen ganz besonders verpflichtet: Im zweiten Weltkrieg haben die Australier zusammen mit den Niederlanden, die damals den Rest Indonesiens beherrschten, in krasser Mißachtung der portugiesischen Neutralität Ost-Timor besetzt. Dies wiederum veranlaßte Japan, das die Neutralität Portugals respektierte und deshalb Macao unangetastet ließ, zur Eroberung der Inselhälfte. Das chaotische Klima nach der im Westen von linken Kreisen lautstark bejubelten "Demokratisierung" und Liberalisierung des einst autoritär geführten Indonesiens vermag die Aufgabe der UNO freilich auch nicht zu erleichtern. Und so werden die Menschen in Ost-Timor nach der Nelkenrevolution in Portugal und der überstürtzten politischen Öffnung Indonesiens nun zum dritten mal in der Geschichte das Opfer einer externen Fehleinschätzung. Die sich abzeichnende, wenn auch mehr als fragwürdige, "Unabhängigkeit" dürfte vieleher zur Herrschaft einer kleine FRETLIN-Elite über das leidgeprüfte Volk und einer Abhängigkeit vor westlichen Hilfsgeldern führen als zur erhofften Freiheit.


 
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