© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Jochen Zimmer (Hg.): Das Gauck-Lesebuch. Eine Behörde abseits der Verfassung?
Verbrechen werden relativiert
Jörg Bernhard Bilke

Man blättert im Mitarbeiterverzeichnis und stößt auf alte Bekannte: auf Dauergäste bei Talk-Shows wie die PDS-Funktionäre Lothar Bisky und Gregor Gysi, auf die frischgebackene Kurt-Tucholsky-Preisträgerin Daniela Dahn, die 1999 mit PDS-Hilfe fast Verfassungsrichterin in Brandenburg geworden wäre. Weiterhin verzeichnet sind der "Nichtschriftsteller" (Jürgen Fuchs) Hans Peter Bleuel aus München, der 1984 in Saarbrücken als Nachfolger Bernt Engelmanns zum Vorsitzenden des "Verbands deutscher Schriftsteller" gewählt wurde, und der Linksschreiber Eckart Spoo, der 35 Jahre Redakteur bei der Frankfurter Rundschau war. Hier wechselt man schon hinüber ins "bürgerliche Lager", wo es doch auch "vernünftige Leute" gibt wie die CDU-Mitglieder Peter Michael Diestel, von Gerüchten umwitterter Rechtsanwalt und 1990 letzter DDR-Innenminister, und Lothar de Maizière, letzter DDR-Ministerpräsident. Mit dem Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, der seit 1998 unablässig damit beschäftigt ist, das "Schwarzbuch des Kommunismus" zu widerlegen, ist auch die Wissenschaft vertreten. Schließlich dürfen auch, um dem Buch die objektive Abrundung zu geben, SPD-Leute wie die Bundestagsabgeordneten Friedhelm Julius Beucher und Kurt Neumann sowie der hessische Ex-Minister Horst Winterstein nicht fehlen.

Und warum stehen alle diese wackeren Leute in diesem Sammelband? Um abzurechnen mit dem Rostocker Pfarrer Joachim Gauck, der seit 1991 in Berlin-Lichtenberg die Behörde leitet, die die DDR-Staatsverbrechen untersucht. Was das Buch verhindern will, wird in Jochen Zimmers Einleitung klar benannt: die "dumme und denunziatorische Gleichsetzung von Faschismus und Bolschewismus", denn dadurch würden die "Verbrechen des Nationalsozialismus und die Vernichtung der europäischen Juden relativiert."

Diese Kernthese läuft wie ein roter Faden durch alle 21 Beiträge. Und wie das im Einzelfall aussieht, zeigt der an intellektueller Dürftigkeit kaum zu überbietende Buchbeitrag Wolfgang Wip-permanns, der dem Leser mit zwingender Logik einzureden versucht, daß zwischen dem Hungertod eines jüdischen Kindes im Warschauer Ghetto und dem eines "ukrainischen Kulakenkindes" im stalinistischen Rußland ein gewaltiger, ideologisch zu begründender Unterschied sei.

In zwei Beiträgen versucht die "Betroffenheitsschriftstellerin" (Klaus Schroeder) Daniela Dahn, den Theologen Heinrich Fink, 1992 als Rektor der Humboldt-Universität abgesetzt, vom Verdacht der Stasi-Mitarbeit reinzuwaschen. Das gleiche Verfahren wendet sie auch bei Gregor Gysi an, der keinen "Mandantenverrat" begangen haben kann, weil ihn kein Mandant deswegen angezeigt habe. Der Ex-Minister aus Hessen schließlich setzt sich vehement für den einstigen SPD-Politiker Diether Dehm aus Frankfurt am Main ein, dessen Mitarbeit bei der "DDR-Staatssicherheit" 1996 bekannt wurde. Winterstein spricht von Aktenfälschungen, mit denen der "sozialistische Menschenfreund" (Klaus Schroeder) und heutige PDS-Spitzenfunktionär diskreditiert werden sollte. Vom Aufsatz des Journalisten Henryk M. Broder, der den Frankfurter Kulturmanager Dehm 1996 schon auf wenigen Seiten als "inoffiziellen Mitarbeiter" überführte, will er nichts wissen. Dieses unappetitliche Buch hat nur ein Ziel: zehn Jahre nach dem Mauerfall die Diktaturgeschichte des DDR-Staates umzulügen!

 

Jochen Zimmer (Hrsg.): Das Gauck-Lesebuch. Eine Behörde abseits der Verfassung? Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 1999, 248 Seiten, 36 Mark


 
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