© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lastenverteilung
Karl Heinzen

Die Generation, die den Mythos von "1968" im Audimax oder aus der Zeitung live bezeugen durfte, befindet sich heute in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt. Nach einer langen und selbstbestimmten Ausbildung neigt sich nun auch ein erfülltes Berufsleben, das dank gesellschaftlicher Subventionierung aus dem Wohlgefühl einer im Prinzip postmaterialistischen Einstellung seine Souveränität beziehen konnte, dem Ende zu. Nicht, daß die Kräfte verschlissen wären, aber eine gewisse Unruhe ist doch unverkennbar. Wer in seiner zornigen Jugend hofiert wurde und in der Blüte seiner Jahre Respekt einfordern konnte, der möchte natürlich auch im Alter eine bevorzugte Behandlung nicht missen.

Der Vorschlag des IG Metall-Chefs Klaus Zwickel, einen Renteneintritt bereits mit 60 Jahren zur Norm zu machen, deckt sich also mit der Interessenlage jener noch immer ernstzunehmenden Generation, die aus dem Scheitern des Nationalsozialismus die für ihr Leben richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen wußte. Darüber hinaus lassen sich sogar noch weitere Argumente für diese administrative Herabsetzung des Durchschnittsalters im Wirtschaftsleben anführen. Schon die simple Alltagserfahrung zeigt, daß der technologische Wandel darauf angelegt zu sein scheint, ältere Menschen am Arbeitsplatz auszugrenzen. Sie sind in einer auf nichts anderes mehr als auf Kommunikation bauenden Welt zwar prinzipiell unverändert in der Lage, sich auszudrücken, können aber kaum noch die Mittel bedienen, die ihnen als Standard dazu zur Verfügung stehen. Wer einmal einen Innovationsschub – vielleicht sogar ohne eigenes Verschulden – verschlafen hat, fliegt aus der Bahn. Je älter man wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, zu denen zu gehören, die bereits den Anschluß verpaßt haben. Bislang behalf sich die Wirtschaft mit Sinekuren, die den Betroffenen oft sogar den Eindruck vermittelten, mit ihrem Rat oder auch nur ihrer bloßen Anwesenheit gebraucht zu werden. Aufgrund der demographischen Entwicklung und der Ausweitung personaler zu globaler Verantwortung können sich aber immer weniger Arbeitgeber diesen Luxus leisten. Eine frühere Verrentung hilft, wettbewerbsfähig zu bleiben, sie stärkt durch eine Verjüngung des Erscheinungsbildes der Unternehmen deren dynamisches und mobiles Image – und sie verteilt die Lasten der Finanzierung jener Menschen, die in der Regel mental schon längst den Absprung aus dem Erwerbsleben vollzogen haben, auf mehrere Schultern: Der Staat, die Steuer- und Beitragszahler und – durch Einkommenseinbußen – die Betroffenen selbst werden zur Kasse gebeten.

Es wäre allerdings unklug, die Senkung der Altersgrenze mit mehr Inflexibilität erkaufen zu wollen: Den Wunsch, das Arbeitsleid hinter sich zu lassen, kennen auch Menschen, die jünger als 60 sind. Nur eines will sorgsam bedacht sein: Der Glaube an den Zusammenhang von Arbeit und Wohlstand darf nicht nachlassen.


 
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