© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Medien: Johannes Gross ist im Alter von 67 Jahren gestorben
Momente der Tarnung
Karlheinz Weißmann

Am Mittwoch der vergangenen Woche ist der Journalist Johannes Gross im Alter von 67 Jahren gestorben. Die taz glaubt ihn in der Hölle. Eine geschmacklose Erwägung, aber sie wäre geeignet gewesen, Gross bei Lebzeiten zu amüsieren. Er hätte ohne Zweifel gern an dem Diskurs zwischen Montesquieu und Machiavelli über das Politische teilgenommen, den Maurice Joly in seinem "Gespräch in der Unterwelt" beschrieben hat.

Gross wurde am 6. Mai 1932 im pfälzischen Neunkhausen geboren, er studierte Rechtswissenschaften und Philosophie, quittierte jedoch bald den juristischen Dienst und arbeitete seit 1959 als Bonner Korrespondent der konservativen Deutschen Zeitung. Anfang 1962 ging er als Leiter der politischen Abteilung zum Deutschlandfunk, 1968 übernahm er die Position eines Chefredakteurs und stellvertretenden Intendanten der Deutschen Welle, verließ aber kurz darauf den Sender wegen einer heftigen Auseinandersetzung mit der SPD, die ihn durch vier – ihr genehmere – Stellvertreter "einrahmen" wollte.

Gross fand sein zukünftiges Wirkungsfeld vor allem bei der Finanzzeitschrift Capital, deren Chefredaktion er 1974 übernahm. Zwischen 1980 und 1994 fungierte er außerdem als Herausgeber. Ein 1983 geplanter Wechsel in die Führung der Illustrierten Stern, die wie Capital zum Gruner + Jahr-Verlag gehörte, scheiterte erneut an politisch motivierten Quertreibereien; im selben Jahr trat Gross allerdings ind en Vorstand des Unternehmens ein. Er schrieb Leitartikel, Kommentare und Glossen für die Frankfurter Allgemeine, eine enge, langjährige Beziehung, die offenbar erst kurz vor seinem Tod gelöst wurde. Zwischen 1977 und 1984 moderierte Gross außerdem die "Bonner Runde" für das ZDF. Ein Erfolg, an den er mit seinem Versuch, eine eigene Talk-Show für das ZDF zu präsentieren, nicht anknüpfen konnte. "Tacheles" wurde wegen zu geringer Zuschauerzahlen noch im Jahr der Erstausstrahlung 1996 wieder eingestellt.

Die hier aufgeführten Daten dokumentieren eine außerordentliche journalistische Karriere. Aber es gibt neben der Schauseite des Johannes Gross noch eine andere Seite. Gemeint ist damit kein geheimes Doppelleben, gemeint ist eine zweite politische Botschaft, die Gross nicht auf den Markt tragen, aber auch nicht ganz für sich behalten wollte. Er liebte die kennerische und in ihrer Bedeutung changierende Anspielung, das halb hermetische seiner Formulierungen. So, wenn er in einem seiner letzten Interviews äußerte, er sei geistig besonders geprägt worden durch die Begegnung mit drei Denkern, die nicht zu seinen akademischen Lehrer zählten: Wolfgang Abendroth, Dolf Sternberger und Carl Schmitt. Die Art Formulierung der Antwort ist bezeichnend. Da wird der böse rechte Schmitt mit dem linken Abendroth und dem ganz und gar liberalen Sternberger gemeinsam präsentiert. Man darf wohl ahnen, daß Schmitt Gross am stärksten beeindruckt hat, aber mehr als diese Ahnung gönnte er dem Leser nicht.

Ein künftiger Biograph wird dem Moment der Tarnung in den politischen Äußerungen von Gross besondere Aufmerksamkeit widmen und den Gründen für solche Vorsichtsmaßnahme nachgehen müssen. Er selbst hat einen wichtigen Hinweis in einem seiner frühen Bücher ("Absagen an die Zukunft", 1970) gegeben, wo er bitter vermerkte: "Zu den konstanten, immer wiederholten Mustern von Politik und Geschichte gehört es, daß sie sich gerade dem Kundigen verweigern, den ausschließen, der ihre Arkana erkannt hat, während die Mittelmäßgen unbedenklich zugelassen werden."

Gross nennt unter den "Kundigen" Machiavelli, Mosea und Weber. Sie alle hatten sich in politischer Praxis versucht und waren gescheitert, dagegen habe die "Sphinx" einen Mann wie Eisenhower, "der nie ein Rätsel der Politik auflöste, ja nie bemerkte, daß es eines gab, … nur beschenkt: mit Ehren, Reichtum, Glück".

Gross hielt sich für einen "Kundigen", und er dachte nicht daran, auf der Seite der Verbitterten und Verlierer zu stehen. Das hat seine Strategie bestimmt. Schon bei seinem ersten Schritt in die Öffentlichkeit, als er, der Student und Akivist des RCDS, 1954 mit dem Freund Rüdiger Altmann die Zeitschrift Civis gründete, spielte Camouflage eine wichtige Rolle. Civis hatte einen halboffiziellen Status als Organ der Jungen Union und war gedacht, dem jammervollen Verhältnis der Union zur Intelligenz abzuhelfen. Gemeinsam mit Altmann – dem Assistenten Abendroths nota bene – gewann Gross auch Schmitt für die Mitarbeit. Unter Pseudonym veröffentlichte Schmitt einige Beiträge, während Gross und Altmann den Meister regelmäßig in Plettenberg besuchten, um Rat einzuholen. Es war sicherlich Schmitts Prognose vom Ende des Staates, die beide besonders beschäftigte und zur Suche nach Substituten drängte. Noch das Bemühen des Gespanns Altmann/Gross, als Berater Ludwig Erhards den Westdeutschen die "Formierte Gesellschaft" schmackhaft zu machen, kann man als Versuch werten, Ersatz für das alte Gehäuse zu schaffen und ein Trojanisches Pferd zu plazieren. Aber die Kassandren wurden gehört, und das Projekt scheiterte, lange bevor an Verwirklichung zu denken war.

Daß es danach in Westdeutschland keine Chance mehr gab, praktische konservative Politik zu machen, hat Gross instinktsicher erkannt. Er betrieb also seine Laufbahn und pflegte Kontakt zu den Mächtigen. Gleichzeitig schuf er sich als geistige Entlastung eine Art politische Spielwiese, veröffentlichte Bücher mit kürzeren Reflexionen und längeren Essays und verlieh dem FAZ-Magazin mit seinem "Notizbuch" aphoristischen Glanz. Vor allem in den achtziger Jahren fand Gross eine Leserschaft, die regelmäßig am Freitag auf die neuesten Boshaftigkeiten lauerte, die unter Belanglosem und "Pepyismus" versteckt sein würden. Aber auf die Dauer bekamen die Stellungnahmen etwas Geschmäcklerisches, mal mokierte sich Gross über das Mißtrauen des Grundgesetzes gegen das Volk, mal war er ganz Snobismus, mal verschwand die deutsche Nation im Orkus, mal sollte man ihr das notwendige Selbstbewußtsein einbleuen, mal trauerte er dem deutschen Sonderweg nach, mal beklagte er den Mangel an Verwestlichung.

Dieses Hin und Her hatte für Gross den Vorteil einer relativen Unangreifbarkeit, aber es wirkte auch auf den Wohlwollendsten ermüdend. Gross überließ sich je länger je mehr einer ironischen Pose, hatte immer eine geistreiche Bemerkung parat, aber auch nicht mehr. In seinem besten Buch, das 1967 unter dem Titel "Die Deutschen" erschien, war davon die Rede, daß in der Bundesrepublik weltanschauliche Fragen einfach keine Rolle mehr spielten, und Gross sprach über "kleine ideologische Herde, Taschen und Winkel wehmütig-verbissener Gesinnungspflege". Er hat es verstanden, sich von diesen Herden, Taschen und Winkeln fernzuhalten, das verbürgte seinen Erfolg.

 

Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Studienrat in Göttingen.


 
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