© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Medien: Ingmar Bergman und die Wahrhaftigkeit der "Welt"
Die Pflicht zur Scham
Werner Olles

In diesen Tagen erscheint in Schweden ein Buch der Jounalistin Maria-Pia Boethius über die Kollaboration weiter Teile des schwedischen Volkes mit dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich. Das Buch trägt den Titel "Heder och Samvete" ("Ehre und Gewissen") und enthält ein Kapitel, in dem die Autorin mit dem bekannten Regisseur Ingmar Bergman ein Gespräch darüber führt, wie dieser als Jugendlicher während eines Besuchs in Deutschland zum Sympathisanten des Nationalsozialismus wurde.

Bergman weilte im Sommer 1936 als 18jähriger Austauschschüler im Hause einer Pastorenfamilie im oberhessischen Haina bei Marburg. In seinem Gespräch mit der Autorin schildert er, welch "unerhörtes Charisma" von Hitler ausging, den er bei einem Parteitag der NSDAP in Weimar erlebte. Die Mitglieder der Pastorenfamilie, bei der er damals zu Gast war, waren fanatische Nationalsozialisten, die Jungen in der Hitlerjugend, die Mädchen im Bund Deutscher Mädel. Der Vater, Pastor Heid, las sonntags in der Kirche aus "Mein Kampf" anstatt aus der Bibel. In der Schule, die Ingmar gemeinsam mit den Kindern der Familie besuchte, zitierte der Lehrer aus dem Stürmer. Bergman blieb sechs Wochen in Deutschland, aber er hatte hier nicht nur die deutsche Sprache gelernt, sondern war auch zu einem Bewunderer Hitlers und des Nationalsozialismus geworden.

Als der Junge nach Schweden zurückkam, stellte er fest, daß seine Faszination für Deutschland und das dortige Regime von vielen Schweden geteilt wurde. Sein Geschichtslehrer schwärmte für Deutschland. Bergmans Vater gehörte zur extremen Rechten, sein älterer Bruder war Mitglied der schwedischen Nationalsozialisten. Als der Bruder und seine Freunde eines Nachts Hakenkreuze auf das Haus eines jüdischen Nachbarn malten, wagte er nicht einzuschreiten.

Es war tatsächlich der "Idealismus der Deutschen", der ihm imponierte. Der Nationalsozialismus, den er kennengelernt hatte, wirkte "interessant und jugendlich" auf ihn. Damit stand er allerdings keineswegs allein. Große Teile der schwedischen Bevölkerung wünschten den Deutschen den Sieg, für sie war Rußland der Erzfeind.

Anfang April 1940 besetzten die Deutschen Dänemark und Norwegen, und Ingmar Bergman wurde einberufen. Immer noch glaubte er, daß die "Deutschen es gut meinten" und "daß sie Dänemark und Norwegen beschützen wollten". Selbst die Offiziere waren deutschfreundlich und sahen die große Bedrohung eher im Kommunismus. Nach der Befreiung der Konzentrationslager war er zunächst fest davon überzeugt, "das gehöre zur Propaganda der Alliierten". Als er die Wahrheit erkannte, erschrak er zutiefst. Seine Selbstverachtung "wuchs über die Grenze des Erträglichen hinaus". Erst sehr viel später konnte er sich seine eigene Schuldlosigkeit eingestehen. Wie so viele andere war er in "eine Wirklichkeit hineingetorkelt, die vor Idealismus und Heldenverehrung glitzerte": "Der äußere Glanz blendete mich, ich sah nicht die Dunkelheit."

Die schwedische Boulevardzeitung Expressen, der Maria-Pia Boethius das Interview übergab, zitierte daraus in ihrem Kulturteil einige ihr besonders reißerisch erscheinende Ausschnitte und warb nebenbei auf Plakaten mit einem Portrait des Regisseurs und der Schlagzeile "Deswegen liebte ich Hitler". Daß sich die Aufregung in Schweden dennoch in Grenzen hielt, ist der 1987 erschienenen Autobiographie Ingmar Bergmans "Laterna Magica" ("Mein Leben") zu verdanken. Hier hatte er bereits freimütig über seine Zeit als Austauschschüler in Haina berichtet. Alles, was er Frau Boethius jetzt erzählte, konnte man bereits damals dort lesen, und niemand hatte sich darüber aufgeregt. Erst zwölf Jahre später versuchte das Massenblatt Expressen, mit Bergmans Jugenderinnerungen einen Skandal zu provozieren.

Daß dies nicht so recht klappte, liegt vor allem daran, daß Ingmar Bergman in Schweden große Verehrung genießt. Der heute 81jährige wird zu den brillantesten Protagonisten des modernen Kinos gezählt. Er galt jahrelang als Sprecher der Nachkriegsgeneration, und die jungen Menschen seiner Filme, an sich selbst irre, erlebten die Probleme ihres Daseins ohne Kompromiß. Der Krieg hatte ihnen das Böse als Triebkraft ihres Lebens offenbart. Darum gipfelte auch ihr Kampf um die Freiheit in der Erkenntnis, daß unser Dasein einem Gefängnis gleicht, dem man nicht entfliehen kann.

Die unerfreulichen Neurosen seiner Protagonisten verkörperten Weltangst, Selbstzerstörung und Lebensekel. Mit der Zeit des Nationalsozialismus hat Bergman sich künstlerisch nicht auseinandergesetzt. Sein Film "Das Schlangenei" spielt zwar im Berlin der zwanziger Jahre und läßt einiges von den sozialen Verwerfungen und kommenden Verheerungen ahnen, aber der Regisseur gestand selbst, daß dies "ein ziemlich mißratener Film" war.

Eine Erregungsdemokratie wie die unsere geht jedoch von anderen Prämissen aus, und so kam es, wie es wohl kommen mußte. Wenige Tage nach dem schwedischen Mini-Skandal wurde in den deutschen Medien noch einmal kräftig nachgelegt. In der Welt vom 8. September schrieb ein Thomas Delekat unter der provozierenden Überschrift "’Heil Hitler!‘, rief Ingmar Bergman", daß der Regisseur nun "erstmals die Details seiner jugendlichen Nazi-Faszination geschildert" habe. Bislang hätte Bergman nur "einige vage Andeutungen" in seiner Biographie gemacht. Zwar ist dies schlicht die Unwahrheit, aber darauf kommt es offensichtlich nicht an. Es geht einzig und allein darum, eine Verstrickung zu konstruieren, die so nie stattgefunden hat, und Bergman Unredlichkeit zu unterstellen.

Dies macht vor allem der von Feuilleton-Chef Thomas E. Schmidt zu verantwortende Kommentar zu Delekats Artikel deutlich. Schmidt schreibt: "Ingmar Bergmans Geständnisse über seine frühe Neigung zum Nationalsozialismus sind peinlich." Und dann heißt es zum Schluß: "Das alles entlastet Ingmar Bergman aber nicht davon, daß er sich für seine Gesinnung von früher zu schämen hat. Heute auch noch."

Abgesehen davon, daß an Bergmans Autobiographie und an seinem Gespräch mit Maria-Pia Boethius absolut nichts peinlich ist, ist dieser in den buntesten Farben der Heuchelei schillernde Kommentar allerdings weit mehr als nur die bloße Verinnerlichung einer überkommenen und verquasten Antifa-Ideologie, er ist vielmehr die politiko-kulturelle Instrumentalisierung derselben. Dabei argumentiert Schmidt nicht einmal mehr hypermoralisch, er versammelt vielmehr Topoi und ergeht sich im endlosen Recycling sämtlicher trivialisierter Pathosformeln, die westdeutschen antifaschisierenden Gesamtschullehrern und ihren unglücklichen Schülern seit 1968 so leicht über die Lippen kommen. Aber so verkommt Kulturkritik zur Predigt, und die Milch der frommen Denkfaulheit zum ewig gleichen Gefasel jener von unerfüllten politischen Tagträumen gequälten Zwischenrufer.

Es gibt in der Tat einen Zerstörungsgrad, eine Kaputtheit durch Wohlstand, Langeweile, Stumpfheit und Gefühlsdefizite, die, bar jeder Ahnung, 54 Jahre nach und ohne Hitler naßforsch ihre Rationalitätsgeschäfte als Erleuchtung der Aufklärung ausgibt. In ihrer unnachahmlichen Mischung aus Aggressivität, Borniertheit und Ignoranz ist sie sich auf spekulative Weise nicht zu schade, eine so heikle Materie wie diese lautstark im Affekt und gedanklich wie formal völlig unterbelichtet zu verifizieren. Da aber gegen intellektuelle Parästhesie bislang noch kein Kraut gewachsen ist, bleibt der Welt nicht einmal die Ausrede übrig, es sei ihr nur um den pädagogischen Effekt für unaufgeklärte Nachzügler und Spätheimkehrer gegangen. Wahrhaftigkeit und Respekt wird man doch auch von den selbsternannten Hütern der politischen Korrektheit erwarten dürfen!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen