© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Nachruf: Zum Tod der Fado-Sängerin Amalia Rodrigues
Die Sympathien reichten bis nach Übersee
J. Peter Achtmann

Es ist bemerkenswert, daß die portugiesische Sprache mit der Beschreibung "a minha terra" ("meine Erde") dem in anderen europäischen Sprachen nicht vorhandenen deutschen Wort "Heimat" am nächsten kommt. Seit Beginn ihrer Staatsgeschichte Mitte des 12. Jahrhunderts sind die Portugiesen eben ihrer "terra" stets besonders eng verbunden gewesen. Es ist die Konfrontation des schmalen Landstreifens im äußersten Westen der iberischen Halbinsel mit der schier unendlich scheinenden Weite des Atlantischen Ozeans, die für die Menschen jener Region immer Auseinandersetzung mit dem Unendlichen und der Endlichkeit der Dinge bedeutete.

Für diese Empfindung, die dort Veränderungen immer schwierig und schmerzlich gestaltet, kennt das Portugiesische mit "saudade" ein letztlich unübersetzbares Wort. Es hat aber viel mit dem Hinnehmen der Vergänglichkeit der äußeren Welt zu tun.

Das alles findet Ausdruck in Liedern des Landes, die den Namen "Fado" tragen und sich nicht zuletzt vom Wort fatum (Schicksal) ableiten. Ihre Wurzeln reichen weit in die portugiesische Geschichte zurück. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts lebte der Fado-Gesang zunächst in den Hafengegenden der Hauptstadt Lissabon wieder auf. Schließlich schätzte das ganze Land die von Gitarren begleiteten Fado-Sänger und -Sängerinnen. Sie wurden zu Identifikationssymbolen der Menschen zwischen Porto und Algarve schlechthin.

Amalia Rodrigues gilt ohne Abstriche als eine Fado-Sängerin, die es wohl am besten verstand, die Seele des portugiesischen Volkes mit ihrem Gesang gewissermaßen zu verkörpern. Wer Amalias unvergleichliche Stimme hörte und ihre Texte verstand, der wußte, daß dabei das Wesen Portugals zu vernehmen war. Und wie keiner anderen Interpretin des Fado ist es ihr gelungen, die Sympathie eines ganzen Volkes zu gewinnen. Dazu gehören nicht zuletzt auch Menschen in den ehemaligen überseeischen Besitzungen Portugals, die ungeachtet der Zeitläufte in Angola, Mosambik oder anderswo die portugiesische Sprache als einendes Ferment behalten haben.

Die Karriere der schönen Frau, mit der eigenwillige Stimme begann in kleinen Verhältnissen. Sie nahm in den Kaffeehäusern in Lissabon ihren Anfang. Aber bereits 1941, mit 21 Jahren, hatte die Sängerin den Durchbruch geschafft. Tourneen durch das ganze Land und schließlich ins Ausland folgten, Plattenaufnahmen schlossen sich an, und die keineswegs nur melancholische Stimme Amalias zog um die ganze Welt. Nicht selten wurde Amalias Gesang mit den Gospels im nördlichen Amerika verglichen.

Einen Teil ihres Leben verbrachte Amalia unter der diktatorischen Herrschaft von Antonio Oliveira Salazar und Marcelo Caetano. Sie hat sich dem nicht verweigert und sang ihre Fado-Botschaften auch und vor allem im Wissen darum, daß sie gleichfalls allen jenen galten, die damals nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen. Wie nach ihrem Tode bekannt wurde, soll sie an die unter Salazar illegale Kommunistische Partei Potugals Spenden gegeben haben. Von ihren Kontakten zum früheren Salazar-Schüler an der Universität Coimbra und späteren KP-Chef Alvaro Cunhai wurde allenthalben immer gemunkelt. Die Sängerin war indes ein viel zu unpolitischer Mensch, als daß man sie opportunistischer Rückversicherung bezichtigen könnte. Ihr ging es immer um "o provo", um das Volk.

Die "Revolution der Nelken" von 1974 hat ihr diese Nähe zum Regime zunächst reichlich übelgenommen. 1976 aber trat Amalia mit einem ausverkauften Konzert in Lissabon wieder auf den Plan. Einmal mehr brachten die Portugiesen zum Ausdruck, daß "terra" durchaus über den politischen Zeitläuften steht. Jetzt ist die Sängerin 79jährig in Lissabon gestorben.


 
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