© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Bruno Bandulet: Tatort Brüssel
Pikante Details
Carlos E. Izquierda

Während des zurückliegenden Europawahlkampfes wurde kurioserweise wenig über das eigentlich zur Wahl stehende Parlament der Europäischen Union (EU) gesprochen. Die Auseinandersetzungen waren fast ausschließlich bundespolitischer Natur. Die Opposition legte den Finger in offene Wunden, wie den Reformstau auf dem Steuersektor und Versäumnisse bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Regierungsparteien hingegen versuchten das Augenmerk der Wähler auf ihr Engagement bei der Friedensschaffung im Kosovo zu lenken. Keiner mochte sich jedoch so recht der Europäischen Union und ihren Einrichtungen widmen. Vielleicht aus Angst, man könnte das Wahlvolk langweilen und somit auch nicht mobilisieren.

Das Verhalten der Parteien ist jedoch verständlich. Man hört den Otto Normalverbraucher sich über die umstrittene 630-Mark-Regelung aufregen, über die Steuerlast stöhnen, über das Chaos auf dem Balkan debattieren, aber nur selten sich über die Brüsseler "Eurokratie" auslassen. Selbst gebildete Personen weisen oft ein nur lückenhaftes Wissen über die Europäische Union und ihre Einrichtungen auf. Kaum einer weiß, wer eigentlich in Brüssel regiert, wer dort die Gesetze macht, oder wie dieser riesige bürokratische Apparat, der mit unzähligen Verordnungen und Richtlinien Tag für Tag in das Leben von 370 Millionen Menschen eingreift, überhaupt funktioniert.

Mag das Desinteresse insoweit noch nachvollziehbar sein, hört der Spaß aber beim Geld auf. Leider weiß niemand so genau, was mit den 190 Milliarden Mark geschieht, die von rund 21.000 EU-Beamten pro Jahr vereinnahmt, verwaltet und nach einem undurchsichtigen Ritual im Europa der 15 wieder verteilt werden. Dies ist um so erstaunlicher, als gerade Europas heimliche Regierung, die EU-Kommission, in der letzten Zeit schwere Fehler begangen hat.

Bruno Bandulet, Verleger und Chefredakteur des Deutschland-Brief, Autor zweier Bücher über den Euro ("Das Maastricht Dossier. Deutschland auf dem Weg in die dritte Währungsunion", München 1993; "Was wird aus unserem Geld?", München 1997) und profunder Kenner der EU-Szene, hat in seiner Neuerscheinung "Tatort Brüssel" sämtliche Fehlleistungen aufgezeigt. Seine Recherchen basieren vornehmlich auf dem Anfang 1999 veröffentlichten Bericht der "fünf Weisen". Damals wurde der breiten Öffentlichkeit zum ersten Mal richtig bewußt, daß in Brüssel einiges nicht mit rechten Dingen zugeht. Fünf unabhängige Sachverständige untersuchten das Geschäftsgebaren der Europäischen Kommission und entdeckten einen Abgrund von Betrug, Mißwirtschaft und Nepotismus. Die Enthüllungen drehten sich zunächst hauptsächlich um die kratzbürstige EU-Kommissarin Edith Cresson, weiteten sich aber schnell auf die ganze Kommission aus. All dies kulminierte schließlich am 16. März 1999 in dem geschlossenen Rücktritt der 20 Kommissare.

In seinem neuen Buch erzählt Bandulet nicht nur die Geschichte dieses Skandals, sondern untersucht auch die Verflechtungen von Geld und Macht in der EU-Bürokratie und gibt zugleich eine skeptische Bilanz von mehr als 40 Jahren europäischer Integration, die nach seiner Ansicht trotz aller Verdienste an die Grenzen des Machbaren gestoßen ist. Wie bereits in seinen anderen Werken, vermag der Autor durch zahlreiche Insiderinformationen, Zitate und Materialfülle zu verblüffen. So enthält das Buch neben vielen Fotos und (Internet-)Adressen auch einen umfangreichen Dokumentationsteil.

Es ist sehr lobenswert, daß sich Bandulet dieser schwer zugänglichen Thematik angenommen hat. Viele pikante Details würden sonst nicht ans Licht der Öffentlichkeit dringen. Wenn man zum Beispiel – wie in Bandulets Buch – die Gehälter von EU-Beamten mit denen von deutschen Bundesbeamten vergleicht, wird man eine Diskrepanz feststellen, die man nur noch als unverschämt bezeichnen kann.

Der deutsche EU-Nettobeitrag ist unverändert hoch, deshalb ist es wichtig, stets zu hinterfragen, ob die Gegenleistung auch adäquat ist. Gründe, an einem ausgeglichenen Äquivalent zu zweifeln, gibt es viele, wie Bruno Bandulet zeigt, sehr viele. Doch nicht nur die Geldverschwendung, sondern auch die planwirtschaftlich anmutende Bürokratie der Europäischen Union läßt einem einen kalten Schauer über dem Rücken laufen.

Bei 20 Kommissaren, 21 Räten, über 400 Komitees und einem belächelten Parlament darf es nicht wundern, wenn Spötter behaupten, das Politbüro sei von Moskau nach Brüssel umgezogen. Es ist demnach auch nur konsequent, wenn der Autor abschließend für ein anderes, ein besseres Europa plädiert.

Bandulet ist wieder ein sehr interessantes Werk gelungen, welches Aufschluß über manche offene Frage zur EU gibt. Es ist ein durchweg kritisches, teilweise auch polemisches Buch. Dadurch ist die eher trockene Materie zugleich auch sehr unterhaltsam.

 

Bruno Bandulet: Tatort Brüssel. Das Geld, die Macht, die Bürokraten. Langen Müller/Herbig, München 1999, 266 Seiten, 34 Mark


 
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