© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Vergessene Schriftsteller (VI): Die Georg-Büchner-Preisträgerin Elisabeth Langgässer
Verkünderin christlicher Hoffnung
Werner Olles

Eberhard Horst hat Elisabeth Langgässers literarische Arbeit in seiner nicht gedruckten Dissertation 1955 als "christliche Dichtung und moderne Welterfahrung" beschrieben. Dies trifft jedoch nur zum Teil zu, denn Elisabeth Langgässer war zwar eine christliche Dichterin der Gegenwart, aber ihre Sichtbarmachung einer christlichen Wirklichkeit unter dem zentralen Aspekt des Erlösungsgedankens ist immer nur verständlich vor dem Hintergrund und dem tragenden Element ihrer Dichtungen: dem heimatlichen Ried und dem Altrheintal, dem von Geschichte und Mythen gesättigten Boden Rheinhessens.

Am Erlebnis dieser alles überwuchernden und überdauernden Natur entzündete sich ihr Sinn für das animalische und vegetative Element. So sind ihre wichtigsten Gedichtbände Jahreszyklen, die vor allem der Naturlyrik Annette von Droste-Hülshoffs verpflichtet sind. Schon ihre ersten Veröffentlichungen standen im Zeichen der magisch und antik-mythisch begriffenen Natur. "Der Wendekreis des Lammes" (1924), ihr erster Gedichtband, ließ bereits klar die Grundkonstellation erkennen, die Zuordnung von Wort und Element, Pneuma und Leiblichkeit und den Willen, "Natur durch Gnade ernst erlöst zu sehen". In diesem liturgisch-kosmischen Jahreskreis sah Elisabeth Langgässer das Elementare von Anfang an christlich, als unerlöste Natur. Das vegetativ Triebhafte, als Wollust, Sexus und zerstörerische Grausamkeit, entfaltete sich elementarisch in den "panischen Kräften der rohen Natur".

Elisabeth Langgässer wurde am 23. Februar 1899 in Alzey geboren. Nach einer pädagogischen Ausbildung war sie fünf Jahre lang Volksschullehrerin, zog 1928 nach Berlin, wo sie als Dozentin für Pädagogik arbeitete und schließlich freie Schriftstellerin wurde. Hier gehörte sie dem Kreis der "Kolonne" um Günter Eich, Peter Huchel und Oskar Loerke an. 1935 heiratete sie, ein Jahr später erhielt sie als "Halbjüdin" Schreibverbot und wurde schließlich 1944 zwangsdienstverpflichtet. Nach dem Krieg kehrte sie mit ihrer Familie in die rheinpfälzische Heimat zurück. Am 25. Juli 1950 verstarb Elisabeth Langgässer im Alter von 51 Jahren nach schwerer Krankheit in Rheinzabern im Landkreis Germersheim in der Pfalz.

Noch in den dreißiger Jahren ließen ihre Dichtungen nicht klar erkennen, welcher Ordnung ihr Werk zugehörig war. In der Kindheitsmythe "Proserpina" (1932) schilderte sie die "magische Inbesitznahme einer Kinderseele durch fortwirkende Bodenkräfte". Das Kind erlebt das Geschick der mythischen Proserpina und gerät in einen dämonischen Sog. Höhepunkt ist die Zerfetzung einer Puppe, in "mänadenhafter Wollust".

In der im gleichen Jahr erschienenen Erzählung "Mithras", der Darstellung einer mythischen Männerfreundschaft, heißt es:"Ist es nicht süß, in den Schoß der Natur und ihrer Geister zu fallen?" Der Prozeß, der aus naturmagischer Verstrickung in Wollust und Vernichtung einmündet, wiederholt sich vielfach, so auch in der orgiastisch endenden Novelle "Mars" (1932).

Ihr erster Roman "Der Gang durch das Ried" (1936) zeigte hingegen die wechselseitige Spiegelung einer Landschaft mit einer menschlichen Seele. Ein Heimkehrer, der Namen und Gedächtnis verloren hat, mit dunkler Blutschuld beladen, sucht seine Identität wiederzufinden. Er haust in einem verlassenen Militärlager, einem von Verbrechen, Hunger und Unzucht infizierten Niemandsland. Die Figuren bleiben anonym, Marionetten vor der naturmagischen Kulisse, die sich aus Jahreszeit und Landschaft erbaut. In diesem mystischen Zyklus gibt es nur die ewige Wiederkehr von Werden und Vergehen, von Zeugung und Vernichtung.

Noch einmal beschwort sie diese Bilder in "Tierkreisgedichte" (1935). In diesem Zyklus mischt sich das Heilige mit dem Unheiligen, Christus mit Pan, Dionysos, Orpheus, das himmlische Bild Mariens mit der Totengöttin und den Muttergottheiten der Erde, die nach dem Blut der Unschuldigen schreit.

Auf dieser Seite lagen die Gewichte, bis Elisabeth Langgässer nach ihrem zehnjährigen Schreibverbot durch die Nationalsozialisten sagen konnte: "Der Kreis der Magie ist nun endgültig abgeschlossen." So stellte sie in ihrem Hauptwerk "Das unauslöschliche Siegel" (1946) der Schuld des Einzelnen die mächtige Kraft der durch die Taufe erlangten göttlichen Gnade gegenüber.

Im Mittelpunkt des Romans steht der Jude Lazarus Belfontaine, der sich am Tag vor seiner Hochzeit taufen läßt. Obwohl er Gott leugnet, erfährt er die transzendentale Wirkmacht des Taufsakramentes. Diese parabolische Bekehrungsgeschichte spielt in einem Welttheater, dessen Entwurf an die barocken Mysteriendramen erinnert. Das Individuum löst sich in transpersonale Gründe auf, die providentiell und akausal wirken. Hinzu kommen eine gewagte Satanologie und ein oft recht verwirrendes Nebeneinander von verschlüsselter Mythologie, Mysterientheologie und Geschichtphilosophie, Naturschilderungen und Bruchstücken eines Intrigenromans nach französischem Muster.

In ihrem letzten Roman "Märkische Argonautenfahrt" (1950) geschieht die gnadenhafte Erwählung sieben Menschen, die aufgerufen sind, ihre zerstörte Stadt zu verlassen und in einem märkischen Auferstehungskloster Zuflucht zu suchen. Die Erzählerin schildert Weg und Ankunft, dazu treten meditative, essayistische Einschübe. Elisabeth Langgässers Romane spiegelten jetzt ganz ihren katholischen Glauben. Die Hinneigung zu weltlichen Reizreaktionsschemen streitet jedoch mit dem Willen zu geistiger Ordnung. So ist es im Grunde eine quälerische Promiskuität von Heiligkeit und Satanismus, von Askese und Wollust, die eine Atmosphäre blasphemischer Verruchtheit schafft. Immer erscheint der Mensch bei Langgässer als radikal triebverfangen, verdorben und demzufolge ohnmächtig. Retten kann ihn letztlich nur der Sprung in die Agnosia des blinden Glaubens, eine Vorstellungswelt, die stark in die Nähe gnostischer und manichäischer Spekulationen rückt.

Manchmal gelang es der mehr synkretistisch als synoptisch veranlagten Dichterin nur schwer oder erst am Ende, die mythologische Welt Pans in den christlichen Kosmos heimzuholen. Doch schon der vorletzte Gedichtzyklus "Der Laubmann und die Rose" (1947) erhob sich aus der Naturverfangenheit. Neben dem "Laubmann", einer lyrischen Metapher für die unerlöste Natur, steht die "Rose", die rosa mystica der Lauretanischen Litanei, Maria, in deren Gestalt die Schöpfung heil geblieben ist, verwandelt durch die Gnade Gottes. Auch ihr letztes Buch, die "Märkische Argonautenfahrt", ist in dieser Weise mariologisch grundiert. Es sind gerade ihre letzten Romane, Erzählungen und Gedichtszyklen, die in ihrer Kühnheit und radikalen Katholizität den großen Romanen des französischen renouveau catholique vergleichbar sind.

1950 erhielt Elisabeth Langgässer den Georg-Büchner-Preis für die Prägnanz ihres Ausdrucks und die Musikalität ihrer Sprache, die immer frische und treffsichere Bildfindung und die große dichterische Intensität ihres Werkes. Wie kaum ein anderer Dichter hat sie das Wirken der göttlichen Gnade im Chaos menschlicher Leidenschaften, Verirrungen und Verbrechen als Heilsfrage metaphorisch-literarisch konkretisiert. Trotz manch düsterer Prognosen blieb Elisabeth Langgässer indessen stets eine Verkünderin christlicher Hoffnung.

 

In der Reihe "Vergessene Schriftsteller" sind bisher Beiträge von Baal Müller über Ernst Bertram (JF 7/99),Rudolf Borchardt (17/99) und Ludwig Klages (27/99), von Magdalena Gmehling über Ernst Wiechert (10/99) sowie von Ulli Baumgarten über Edwin Erich Dwinger (23/99) erschienen.


 
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